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an diese Zofe bedrückt mich doch sehr.“

      Tempera schwieg. Sie nahm ihren einfachen Hut ab, den sie auf ihrem Weg zur National Gallery getragen hatte, und glättete ihr rotblondes Haar. Tempera war schlank und anmutig, aber sie sah völlig anders aus als die eleganten Frauen, mit denen ihre Stiefmutter verkehrte. Und um diesen Unterschied scheinbar noch zu betonen, trug sie das Haar nicht in Wellen über die Stirn gelegt, sondern zu einem Knoten nach hinten zurückgekämmt. Nur wenn sie sehr beschäftigt war, hingen ihr einige Löckchen ins Gesicht und milderten so den strengen Stil ihrer Frisur, der an Madonnen früher italienischer Meister erinnerte.

      Tempera beachtete auch heute ihr Spiegelbild kaum. Sie strich einige Locken zur Seite und dachte an ihre Stiefmutter. Wie konnte sie wohl eine Zofe finden, die ihr gefiel? Nur Tempera selbst wußte, in welch schlechtem Zustand ein großer Teil der Wäsche ihrer Stiefmutter war. Immer wieder mußte sie zum Beispiel ihre Strümpfe stopfen. Dabei hätte sie diese viel lieber fortgeworfen, wie es jede andere modebewußte Frau tat.

      Lady Rothley mußte ähnliche Gedanken gehabt haben, denn plötzlich sagte sie mit einem kleinen Seufzer: „Oh, Tempera, wenn du doch nur mit mir kommen könntest.“

      „Das würde ich eigentlich sehr gern tun. Ich würde viel dafür geben, Südfrankreich kennenzulernen. Papa hat es mir oft beschrieben. Einmal ist er sogar in Lord Salisburys Villa in Beaulieu gewesen und hat auch die Villa Victoria besucht, die Miss Alice Rothschild gehört. Er sagte, sie sei voller Kunstschätze gewesen. Das Haus mußt du unbedingt sehen, Alaine.”

      „Ich bin nicht an Kunstschätzen interessiert, sondern nur am Herzog. Hoffentlich fällt mir immer das Richtige ein, wenn ich mit ihm rede.“

      „Der Herzog ist sehr an Gemälden interessiert“, sagte Tempera. „Er hat eine großartige Sammlung in Chevingham House. Die hast du bestimmt schon gesehen. Und auf seinem Landsitz hat er einige phantastische alte Meister. Papa hat oft von der Chevingham-Sammlung erzählt.“

      „Wenn der Herzog nun davon erzählt, was soll ich ihm denn darauf antworten?“ fragte Lady Rothley verdrossen. „Du weißt doch, daß ich mir die Namen dieser ermüdenden Maler nie merken kann. Raffael und Rubens bekomme ich immer durcheinander. Und was noch schlimmer ist: Für mich sehen sie alle gleich aus.“

      „Dann sagst du am besten gar nichts“, schlug Tempera vor. „Als Papa noch seine Vorlesungen vor Studenten hielt, erklärte er ihnen immer, sie sollten vor allem zuschauen und zuhören. Daran solltest du dich auch halten, Alaine: nur schauen und zuhören.“

      Tempera lächelte und fügte mit weicher Stimme hinzu: „Wenn du das tust, wirst du so schön sein, daß es bestimmt nicht nötig ist, auch noch irgendetwas zu sagen.“

      „Aber manchmal kann man nicht einfach schweigen“, wandte Lady Rothley ein. „Wenn man mir zum Beispiel sagt: ,Sie lieben sicher den Stil von Petronello oder Pepiana oder Popocatepetl oder sonst so einen ausländischen Namen', dann fehlst du mir, um mir zu erklären, wer das eigentlich ist.“

      Sie schwieg einen Augenblick. Plötzlich blickte sie ganz munter: „Tempera! Warum kommst du eigentlich nicht mit?“

      „Was meinst du damit?“ wollte Tempera wissen.

      „Ich meine, wem sollte da eigentlich etwas auffallen? Niemand hat dich jemals gesehen. Und du bist noch niemals irgendwo gewesen. Für mich wäre es aber ganz toll, wenn du mitkämst, um dich um mich zu kümmern und mir zu helfen.“

      Tempera war sehr still. Dann fragte sie: „Meinst du damit, Alaine, daß ich als deine Zofe mitkommen soll?“

      „Warum nicht? Ich bin ganz sicher, man wird gut für die Zofen sorgen. Die Arnold hätte bestimmt eine Menge zu sagen gehabt, wenn es anders wäre.“

      Als Tempera schwieg, drang Lady Rothley weiter auf sie ein: „Um Himmels willen, Tempera, sieh doch ein, daß das die einzige Lösung ist! Du könntest dich um meine Kleidung kümmern und könntest mir verraten, welches die besten Bilder sind, obgleich ich sowieso nicht verstehe, warum man sich die Wände damit pflastert.“

      „Aber wenn nun der Herzog herausfindet, daß ich Papas Tochter bin?“ fragte Tempera langsam. „Würde ihm das nicht ziemlich eigenartig vorkommen?“

      „Wie soll er das denn herausbekommen? Du wirst natürlich nicht unter deinem richtigen Namen reisen. Ich glaube auch nicht, daß er überhaupt weiß, daß dein Vater eine Tochter hatte - er hat dich bestimmt nie erwähnt.“

      Tempera erhob sich und ging zum Fenster. Sie schaute auf den grauen Himmel und die benachbarten Hinterhöfe.

      Es war ein sehr kalter, stürmischer März mit Nordwind, Graupel- und Hagelschauern. Sie fröstelte noch immer, seit ihrer Fahrt mit dem Omnibus vom Trafalgar Square nach Hause. Nur weil sie schnell durch die Curzon Street gegangen war, war ihr etwas wärmer geworden, aber ihre kleine Nase fühlte sich immer noch so an, als gehöre sie eigentlich nicht zu ihr, und ihre Finger waren ganz steif.

      In dieser Situation sah Tempera plötzlich das blaue Meer vor sich und Blumen, wie ihr Vater sie ihr immer beschrieben hatte, auch weiße Landhäuser und Meeresbrandung, die gegen die Felsen schlug.

      Sie wandte sich um.

      „Ich werde mitkommen, Alaine, es wird bestimmt ein aufregendes Abenteuer! Aber wir müssen vorsichtig sein - sehr vorsichtig, damit wir nicht entdeckt werden.“

      Als sich die Mietdroschke dem Victoria-Bahnhof näherte, setzte sich Tempera von ihrer Stiefmutter weg auf den schmalen Sitz ihr gegenüber, mit dem Rücken zu den Pferden.

      Während sie Alaine betrachtete, fand sie, daß sie mit ihrem Reisekleid gute Arbeit geleistet hatte. Ihre Stiefmutter hatte dieses Kleid zwar schon mehrere Jahre getragen, jedoch war es nun so verändert, daß es bestimmt niemand wiedererkannt hätte. Das tiefe Blau des Rockes war mit seidenen Rüschen, ebenfalls in Blau, verziert. Tempera hatte die Jacke, die Alaine unter dem pelzgefütterten Umhang trug, mit demselben Material gesäumt. Das Pelzfutter war schon alt und stammte aus dem Wintermantel von Sir Francis. Tempera hatte es mit ihren geschickten Fingern in den schweren Plüsch-Reisemantel ihrer Stiefmutter genäht. Und aus den am wenigsten aufgetragenen Stellen hatte sie noch einen großen Kragen genäht, der nun Lady Rothleys liebliches Gesicht umrahmte.

      Tempera hatte sich selbst wie das Musterbild einer ehrbaren Zofe ausstaffiert. Sie trug eine Kappe, die mit Bändern unter ihrem Kinn befestigt war und im Übrigen aus einem schwer definierbaren Schwarz bestand. Die Trauerkleidung, die sie seit dem Tod ihres Vaters nicht mehr hatte ablegen können, kam ihr nun gut zustatten. Temperas schwarzes Kleid, von dem sie jeden Besatz entfernt hatte, wirkte sehr streng. Und der Umhang, den sie trug, sah fast nach einer Beerdigung aus.

      Sie war sich auch nicht bewußt, daß ihre Haut in dieser Kleidung erstaunlich weiß wirkte und der rötliche Schimmer ihres Haares erst jetzt so richtig auffiel. Tempera war in den letzten Tagen so beschäftigt gewesen, daß sie kaum an sich selbst hatte denken können. Sie hatte auch wenig geschlafen, weil sie einkaufen und nähen, bügeln und für ihre Stiefmutter Koffer packen mußte.

      Nur ein oder zweimal hatte sie protestiert, als die Kleiderrechnungen für Lady Rothley eintrafen und die fünfzig Pfund überstiegen, die sie für ihren Ausflug beiseitegelegt hatten.

      „Wir müssen etwas Bargeld bei uns haben“, hatte Lady Rothley am Vorabend gesagt.

      „Ich weiß. Aber du mußt damit sehr vorsichtig umgehen, Alaine. Du darfst wirklich nur so wenig wie möglich ausgeben. Wir haben nun schon unseren Notgroschen angegriffen, so daß davon kaum noch etwas vorhanden ist.“

      „Wenn ich den Herzog heirate, brauchen wir keinen Notgroschen mehr.“

      „Und wenn du ihn nicht heiratest?“ fragte Tempera schnell.

      Lady Rothley verzog schmollend ihr schönes Gesicht wie ein Kind.

      „Sei nicht so unfreundlich zu mir, Tempera“, bat sie. „Wir müssen mit dieser Sache durchkommen. Ich muß gewinnen! Ich muß unbedingt gewinnen!“

      „Ja, ich weiß, Liebste“, stimmte

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