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      Alaine war tieferer Gefühle völlig unfähig, und trotz ihres Aussehens war sie auch keine leidenschaftliche Frau. Sie war eher gutmütig, charmant und in mancherlei Hinsicht äußerst dumm. Sie wünschte sich, daß jeder sie liebe. Deshalb äußerte sie auch nie eine eigene Meinung und widersprach nie. Sie wollte vor allen Dingen heiter durch das Leben segeln. Daß Männer sie für schön hielten, war alles, was sie für den Augenblick und für die Zukunft begehrte.

      Es wäre jedoch jedem Menschen und vor allem Tempera unmöglich gewesen, ihre Stiefmutter nicht zu lieben. Obgleich Tempera so viel jünger war als Lady Rothley, war ihr klar, daß Alaine noch wie ein Kind war, um das sie sich kümmern mußte, eine Debütantin, die sich im Leben nicht allein zurecht fand.

      Und doch war es Alaine selbst, die eine Lösung für ihre Probleme entdeckte. Sie sah wie abwesend auf die Zahlen, mit denen ihr Tempera klarmachen wollte, wie wenig Geld ihnen blieb, nachdem die Beerdigungskosten und die Schulden ihres Raters beglichen waren.

      „Wir müssen eben heiraten“, erklärte sie entschlossen.

      Ihre Stieftochter starrte sie voller Überraschung an.

      „Heiraten?“ rief sie aus.

      Irgendwie schien es ihr Unrecht, über ein solches Thema zu sprechen, da doch ihr Vater gerade erst gestorben war.

      „Es gibt keine andere Lösung“, erklärte Lady Rothley und breitete ihre Hände aus. „Wir beide brauchen Ehemänner, die für uns sorgen. Außerdem, warum sollten wir auch den Wunsch haben, allein zu leben?“

      Tempera fand später, dies sei die einzig vernünftige Idee gewesen, die ihre Stiefmutter jemals gehabt hätte. Aber sie sah natürlich auch gleich die Schwierigkeiten voraus, die auf sie zukommen würden.

      „Wenn es zum Beispiel darauf ankommt, daß wir gut gekleidet sind“, überlegte sie laut, „werden wir nicht genug Geld für uns beide haben.“

      Die beiden Frauen sahen sich an.

      Dann erklärte Tempera: „Du mußt zuerst heiraten, Alaine. Dann kannst du mir vielleicht später etwas helfen.“

      „Natürlich werde ich dir helfen, Liebste“, erwiderte Lady Rothley. „Und du hast völlig recht. Da ich die Ältere bin, muß ich zuerst einen Ehemann finden, und zwar schnellstens.“

      Sie lächelte selbstzufrieden: „Das dürfte nicht sehr schwierig sein.“

      „Nein, natürlich nicht“, stimmte ihr Tempera zu.

      Dabei war ihr allerdings klar, daß eine gutaussehende Witwe ohne Geld zwar alle möglichen Männer anziehen würde, jedoch nur wenige bereit wären, sie auch zu heiraten.

      Tempera hatte bisher am gesellschaftlichen Leben noch nicht teilgenommen. Das wäre auch ganz ungewöhnlich gewesen, da sie noch nicht offiziell in die Gesellschaft eingeführt worden war. Aber sie hatte einige wichtige und vornehme Herren kennengelernt, die den Rat ihres Vaters in Kunstfragen suchten und ihn gelegentlich zu Hause besucht hatten.

      Während der Krankheit ihrer Mutter und nach ihrem Tode hatte ihr Vater mit Tempera häufiger über diese Besucher gesprochen und ihr erklärt, wer sie eigentlich waren. Dabei ging es natürlich in erster Linie um ihre wertvollen Bilder. Aber manchmal gab er Tempera in seiner unnachahmlichen geistreichen Art auch einen kleinen Einblick in ihr Leben und in ihre Interessen.

      Tempera war sehr intelligent und hatte ein gutes Gedächtnis. Sie erinnerte sich an alles, was ihr Vater ihr über diese Persönlichkeiten erzählt hatte, und genauso an seine Schilderungen über das Leben der großen Meister der Malerei aus den vergangenen Jahrhunderten.

      Die Interessen ihrer Stiefmutter hingegen beschränkten sich ausschließlich auf das gesellschaftliche Leben der Gegenwart. Und so wußte sie stets, welcher neuen Schönheit der König im Augenblick gerade nachstellte, welcher Mann sein Herz der schönen Herzogin von Rutland zu Füßen gelegt hatte, oder wer gerade der Liebhaber der lieblichen Lady Curzon war, die überall nur in den Farben Rosa, Weiß und Gold erschien. Für Tempera war diese Welt des Glanzes und des Luxus faszinierend, jedoch erschien sie ihr genauso unwirklich wie die Glaskugeln, in denen es eine Schneelandschaft zu bewundern gab.

      Und weil sie praktisch denken konnte, übernahm sie es, ihre schöne Stiefmutter zu lenken und ihre Auftritte wie bei einer Bühnenschauspielerin zu inszenieren. Sie war es auch, die dafür sorgte, daß Alaine Rothley zur rechten Zeit am rechten Ort war und damit die richtigen Einladungen bekam, die für sie so wichtig waren.

      Bei den Pferderennen in Ascot, zur Eröffnung der Royal Academy, kurz überall, wo sich die Feinen und Mächtigen ein Stelldichein gaben, konnte man daher Lady Rothley bewundern. Immer sah sie erstaunlich reizvoll aus, stets ein Lächeln auf den vollen Lippen, und ihre blauen Augen, die auf die meisten Männer unwiderstehlich wirkten, strahlten.

      Weitaus strenger als jede ehrgeizige Mutter sortierte Tempera die Männer aus, die Lady Rothley zwar beständig wie einer Vision nachliefen, dabei aber ganz andere Absichten hatten als Lady Rothley und Tempera selbst.

      „Abend habe ich einen äußerst charmanten Mann kennengelernt“, hatte Lady Rothley erst vor zwei Tagen erklärt. „Er ist nicht von meiner Seite gewichen. Und als er mir zum Abschied die Hand küßte, hat mein Herz richtig geflattert - wirklich, Tempera!“

      „Wie hieß er?“

      „Lord Lemsford. Hast du je von ihm gehört?“

      „Ich weiß es nicht. Ich werde mal im Adelskalender nachschlagen.“

      Sie stellte das Frühstückstablett neben ihre Stiefmutter. Lady Rothley setzte sich schnell auf, um sich den Kaffee einzuschenken und nachzusehen, was in der zugedeckten Schüssel lag.

      „Oh, Tempera, nur ein Ei?“ rief sie vorwurfsvoll.

      „Du weißt doch, Alaine, daß ich deine Kleider schon um mehrere Zentimeter ausgelassen habe“, antwortete Tempera.

      „Aber ich habe doch Hunger“, beklagte sich Lady Rothley. „Ich habe immer Hunger.“

      „Du ißt viel zu viel von diesen üppigen Mahlzeiten, wenn du ausgehst“, erwiderte Tempera fest. „Zu Hause mußt du etwas Diät leben, außerdem sparen wir dabei.“

      Lady Rothley schwieg. Sie verschlang ihr Ei und beschloß, die beiden Scheiben Toast, die Tempera ihr zugestanden hatte, dick mit Butter und einigen Teelöffeln Marmelade zu bestreichen. Sie aß sehr gern. Aber gleichzeitig wollte sie auch ihre schmale Taille behalten, denn diese Taille war einer ihrer wesentlichen Anziehungspunkte.

      Aber es fiel ihr schwer, wirklich sehr schwer, wo doch alles so vorzüglich schmeckte, und das Essen auf den Partys so außerordentlich gut war. Kein Gastgeber zur Zeit König Edwards konnte hinter anderen zurückstehen, wenn es um großzügige Gastlichkeit ging.

      Es dauerte einige Minuten, bis Tempera aus dem Arbeitszimmer ihres Vaters zurückkam. Dort verwahrte sie nämlich die Nachschlagewerke. Die meisten betrafen allerdings die Künste. Aber ihr Vater hatte auch ein Adelsregister besessen, denn es war wichtig, daß Tempera die Briefe, die sie für ihn an vornehme Edelmänner schrieb, richtig adressierte.

      Als sie das Schlafzimmer ihrer Stiefmutter erneut betrat, sah Lady Rothley sie erwartungsvoll an.

      „Nun?“ fragte sie.

      „Lord Lemsford ist neununddreißig“, zitierte Tempera, „besitzt ein Haus in London und eines in Somerset, gehört den besten Clubs an und ...“ sie machte eine effektvolle Pause, „hat eine Frau und fünf Kinder.“

      Lady Rothley war empört.

      „Jeder verheiratete Mann sollte ein Brandzeichen auf der Stirn tragen oder eine Kette um sein Handgelenk“, sagte sie übellaunig.

      Tempera lachte.

      „Macht nichts, Alaine. Vielleicht kann er seine Frau dazu bringen, dich zu einer gepflegten Party einzuladen, wo du einige geeignete Junggesellen triffst.“

      „Aber er war so besonders charmant“, schmollte Lady

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