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Geschäftsleute passte sie am Flughafen Frankfurt ab. Bei schönem Wetter mit offenem Verdeck, oft mit einer dunklen Brille, manchmal mit Lichthupe.

Tatverdächtige Heinz Pohlmann bei einem polizeilichen Ortstermin. (Frankfurt, 4. Juli 1960)

      Tatverdächtige Heinz Pohlmann bei einem polizeilichen Ortstermin. (Frankfurt/Main, 4. Juli 1960)

      In nur anderthalb Jahren legte die tüchtige Nitribitt aber auch im Schritttempo 42 000 km zurück. Innerhalb von nur vier Jahren etablierte sie sich als erste Edelprostituierte der Nachkriegszeit. Sie verkaufte sich geschickt - dem millionenschweren 24-jährigen Mathematikstudenten Gunter Sachs verrechnete sie die ersten beiden Treffen inklusive Dreier und «Mundverkehr» nicht, was ihm schmeichelte (ihre Freundin Irene verlangte 50 DM). Bald war sie so bekannt, dass eine echte Frankfurter Dame des konsularischen Corps von Männern belästigt wurde, weil sie dasselbe Mercedes-Modell in der gleichen Farbe fuhr.

      Eine Prostituierte, die in aller Öffentlichkeit ihre Freier suchte, war eine beispiellose Provokation. Mit dem Gesetz wollte Nitribitt aber nicht mehr in Konflikt geraten. Der berüchtigte Kuppeleiparagraph verbot bis 1969 selbst Eltern noch bei Strafe, unverheiratete Paare im selben Zimmer schlafen zu lassen. Ihr damals hypermodernes, mit weißen Marmorplatten verkleidetes Mietshaus am Eschenheimer Turm schien Nitribitt der ideale unscheinbare Ort für ihr Gewerbe. Es war kein schmutziges Stundenhotel, nein: Rosemarie empfing ihre Kunden im bürgerlichen, fast spießigen Ambiente, das sie «Ernstl» Sachs’ Wohnung abgeschaut hatte.

      Rosemarie Nitribitt war weder rasend schön noch klug. Diese kindliche blonde Person, deren Leibspeise Milchreis war, strahlte eine finstere Lebensweisheit aus. Sie war die Frau, die außer Geld keine Ansprüche stellte und für Geld Phantasien erfüllte. Sie sah Schwulen gerne beim Sex zu, liebte lesbisch und schlug auch «mit dem Rohrstock bis zur geschlechtlichen Befriedigung» zu. Andere Männer erinnerten sich an eine zärtliche Geliebte. Manche kauften sich Zeit, wollten Nähe und nur reden; sie selbst musste dabei kaum etwas sagen. Vom Rand der Gesellschaft aus entlarvte Nitribitt Doppelmoral und schlug daraus mächtig Kapital.

      Eines Samstagabends tauchte Rosemarie Nitribitt im November 1956 im drei Stunden entfernten Bad Homburg auf dem feudalen Anwesen der milliardenschwere Industriellenfamilie Quandt auf. Sie trug ein hautenges Cocktailkleid, stellte sich dem 35 Jahre alte Harald Quandt auf der Geburtstagsparty von dessen 28-jähriger Frau als Rebecca Wolf vor, nippte am Sekt und ging wieder. «Im April oder Mai 1957» kam Quandt eines Abends «auf die Idee [...], die Nitribitt aufzusuchen», sagte er später aus. Nitribitt servierte eine Flasche Sekt, dann redeten sie ungelenk über «ein lustiges Buch», Quandt gab ihr 150 DM, sie zogen sich nackt aus und hatten «ein sexuelles Erlebnis».

      In kürzester Zeit hatte sich die Frau, die große Mühe hatte, ihren eigenen Namen zu schreiben, einen Namen gemacht. «Die Nitribitt» sprach sich herum, in einem erstaunlich großen Einzugsgebiet zu den klangvollsten Namen.

      Zu ihrer Laufkundschaft zählten bald Chefredakteure und Filmemacher, der Rennfahrer Fritz Huschke von Hanstein, Jazzmusiker Joe Zawinul, Prinzen, Fürsten, Barone. Auch Bundeskanzler Ludwig Erhard, Kurt-Georg Kiesinger und ein Bruder des Bundespräsidenten Gustav Heinemann sollen sich an «Rebecca» erfreut haben; angeblich besaß der US-Geheimdienst Fotos von Bonner Politikern auf Nitribitts Bettkante.

      Harald Quandt nannte Nitribitt ihren «Harald den Ersten». «Harald der Zweite» schien Nitribitts bester Fang. Harald Georg Wilhelm von Bohlen und Halbach, Sohn der Stahlbaronin Bertha Krupp, war Junggeselle und laut Boulevard der «reichste Mann Deutschlands». Nitribitt sprach den 41-Jährigen im März 1957 «in der Nähe des Frankfurter Hofes» aus ihrem Cabrio heraus an. Nach einer kurzen Spritztour durch die Stadt hatten sie laut seiner späteren Aussage «G. V.», also Sex. 200 DM gab er ihr danach.

      Die Nitribitt sei ihm einfach «sympathisch» gewesen, sagte von Bohlen und Halbach später. Die Anlagen des Vernehmungsprotokolls der «Spur 32» beweisen: «Harald der Zweite» war verliebt. Bei den «Korrespondenzunterlagen» handelt es sich um 19 stark romantisierte Liebesbriefe und Gedichte. Er schickte Blumen und Küsse und eine Christophorus-Plakette für ihr Mercedes-Cabrio, die sie erinnern sollte, vorsichtig zu fahren «und nicht so ganz plötzlich in die Kurve» zu gehen oder gar «frech» zu überholen. Er schrieb seiner «Sehnsucht» Postkarten mit Bergmotiven aus St. Moritz, aus Tirol, aus dem «Ritz Carlton» in Montreal, rief sie vom Apparat seiner Mutter Bertha aus an, oder besuchte sie in ihrer Wohnung.

      Auf einem Foto sitzt er auf ihrem Chippendalesessel. «Seiner Seele Seligkeit» wollte von Bohlen und Halbach für eine Nacht auf ihren «mondscheinblassen» Brüsten dahingeben. Er schenkte Rosemarie Schmuck, Perlenohrringe, eine «Pferdegruppe aus Porzellan», einen Werkzeugkasten und einen Tirolerhut. Bald besass sie einen Schmuckkoffer aus Leder, Schweizer Uhren, Wein aus der Kruppschen Hauskellerei.

      Aber was sie wirklich wollte, bekam sie nicht. Das Leben verläuft nicht nach «Pretty Woman»-Drehbuch. Nitribitts Spitzname «Gräfin Mariza» ließ sie in der Hierarchie unter ihresgleichen aufsteigen - aber die deutschen Familiendynastien waren moralische Instanzen. Und Nitribitt war keine, die man heiratet.

      Sein «Fohlen», dem er «1000 Zuckerstücke ins Maul stecken» wollte, musste er auf «Rehchen» umtaufen, weil schon ein anderer sie «Fohlen» rief.

      Schon Junggeselle Ernst Wilhelm Sachs, in den Nitribitt «sehr verliebt» war, wie sie ihrer Freundin Irene erzählte, ließ die Edelhure zwar ein paar Tage in seiner Schweinfurter Wohnung bleiben, wir erwähnten es schon, - länger aber nicht, obwohl er dort alleine lebte. Ihr Verhältnis beschrieb Sachs als «ohne jegliche ernste Absichten». 1957 heiratete er das echte Mannequin Model Eleonora Vollweiler.

      Von dem alleinstehenden Krupp-Spross hatte Nitribitt wiederum ein silbern gerahmtes Foto auf ihrem Musikschrank stehen. Sie bezeichnete ihn als ihren festen Freund. Von Bohlen und Halbach machte sich kaum Illusionen. Einmal überredete Nitribitt ihn, mit ihr das Haus zu verlassen, sie gingen zu «Betten Raab», wo er ein Muster für Steppdecken und Kopfkissen ihres Doppelbetts aussuchen sollte. Klingt, als habe Nitribitt ein wenig Nestbau betrieben. Noch vor der Angst vor Aids und der Selbstverständlichkeit der Pille sorgte von Bohlen und Halbach immer für Präservative, damit Nitribitt ihm kein Kind anhängen konnte. Als sie ihn auf eine Ehe ansprach, meinte er, da müsse man «auf den Mond fahren». «Also gute Nacht, träume süss», schrieb er ihr einmal.

      Es gibt wenige Bilder von Rosemarie Nitribitt, die meisten sind gestellt. Für einen Freier schnuppert sie in Strapsen an einem enormen Strauß Gladiolen. Für alle Freier posierte sie an ihrem Mercedes.

      Eine der seltenen Fotos, auf dem sie sich nicht inszeniert hat, entstand wenige Tage vor ihrer Ermordung. Gegenüber ihrer Wohnung in der Stiftstrasse befand sich das inzwischen abgerissene Redaktionsgebäude der «Frankfurter Rundschau». Der «FR»-Fotograf Kurt Weiner erkannte die Frau, die da alleine und scheinbar unbeobachtet tief in ihrem Ohrensessel versunken am Fenster schlief und die hohen Schuhe auf dem Sims ruhen ließ.

Wenige Tage vor ihrer Ermordung gelang dem damaligen Fotografen Kurt Weiner ein Schnappschuss von Rosemarie Nitribitt am Fenster ihrer Wohnung in der Stiftstrasse.

      Wenige Tage vor ihrer Ermordung gelang dem damaligen Fotografen Kurt Weiner ein Schnappschuss von Rosemarie Nitribitt am Fenster ihrer Wohnung in der Stiftstrasse

      Bekannte und Weggefährten beschrieben die Nitribitt als charmant, vulgär und verspielt; als knallhart und dominant; und als einsam und voller Ängste. Rosemarie Nitribitt hatte wenig Freunde, und selbst die waren eher Bekanntschaften.

      Der Klarinettist Fatty George durfte ihren Mercedes fahren und machte sie mit dem Jazzpianisten Joe Zawinul bekannt, der ihr Kunde wurde. Heinz Pohlmann, damals Handelsvertreter und später Hauptverdächtiger, lud sie eines Tages zum Tee in seine Junggesellenwohnung ein und blieb ein «platonischer Freund». Das homosexuelle «Pohlmännchen», stellte Nitribitt einmal resigniert fest, konnte ihre «Liebe nicht erwidern».

      Im Rahmen ihrer Möglichkeiten hatte Nitribitt viel erreicht. Aber

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