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„In dem Buch standen Namen, aber die waren nicht aus der großen Welt der Mächtigen und Reichen, sondern ganz normale Bürger. Das Höchste war ein Bankdirektor aus Bad Homburg.“

      Nitribitt hatte in ihrem Taschenkalender von 1957 insgesamt 60 Namen aufgeschrieben. Der Besitzer eines Lebensmittelgeschäfts in München wurde beschattet und im Dezember 1958 mehrmals verhört, weil Nitribitt seinen Namen zusammen mit den Stichworten „Düsseldorf“ und „München“ in dem Taschenkalender notiert hatte. Im Januar 1959 wurde dem Verdächtigen mitgeteilt, dass die Ermittlungen gegen ihn eingestellt wurden. Zwölf Stunden später erlitt er einen tödlichen Herzinfarkt.

      Kaum erklärbare Ermittlungspannen der Frankfurter Kripo nährten den Verdacht einer planmäßigen Vertuschung. Einige Akten verschwanden spurlos, die Beamten machten zahlreiche Fehler. Über Jahre und Jahrzehnte wurde spekuliert, dass brisante Akten und Verhörprotokolle vorsätzlich beiseitegeschafft worden seien, um prominente Freier und Verdächtige aus Politik und Wirtschaft zu schützen.

      2013 stießen jedoch Archivare der Frankfurter Polizei in ihren Archiven auf die verschollen geglaubten Dokumente. Das Spurenbuch und einige ausgewählte Dokumente waren bis 1972 von den Frankfurter Ermittlern aktiv weitergeführt und dann nach Schließung des Falls schlicht im Archiv vergessen worden. Mit dem Auffinden der Akten können viele der Verschwörungstheorien, die sich um den Fall ranken, als widerlegt betrachtet werden. Lange Zeit verloren geglaubte Teile der 24-bändigen Ermittlungsakten lagern im Polizeiarchiv Frankfurt. Darunter befinden sich vier Bände mit Vernehmungen, das Notizbuch von Rosemarie Nitribitt, weitere erkennungsdienstliche Bilder von Tatverdächtigen, 19 Liebesbriefe, Postkarten und Gedichte von Harald von Bohlen und Halbach.

      Die vielfache Behauptung, in der Wohnung Nitribitts sei ein laufendes Tonbandgerät gefunden worden, das die Ankunft des letzten Besuchers aufgezeichnet habe, kann mittlerweile als widerlegt gelten. In der Wohnung wurde zwar ein Grundig-Tonbandgerät sichergestellt, mit dem aber zuletzt Schallplatten aufgenommen worden waren. Die Aufnahme von Sprachaufzeichnungen wäre schon aus technischen Gründen nicht ohne weiteres möglich gewesen. Am Ende des eingelegten Tonbands befand sich tatsächlich eine Sprachsequenz, die offensichtlich zu einem früheren Zeitpunkt aufgenommen worden war, und zwar gegen die Laufrichtung der übrigen auf dem Band befindlichen Musikaufnahmen. Die schlechte Qualität der Sprachaufzeichnung erklärt sich durch den Bandlauf beim ersten Abspielen des Bandes durch die Frankfurter Kripo. Spielt man die Sprachsequenz gegen den Bandlauf der Musikaufnahmen ab, hört man, wie Nitribitt ihren Hund zu sich ruft.

      Der Hauptverdächtige war ein Freund Nitribitts, der damals 34-jährige Handelsvertreter Heinz Christian Pohlmann, welcher 1990 in München verstarb. Er wurde angeklagt, aber im Juli 1960 mangels Beweisen freigesprochen. Man habe trotz erheblicher Zweifel an der Herkunft des vielen Geldes, das sich unmittelbar nach der Tat in seinem Besitz befand und wahrscheinlich aus der Wohnung Nitribitts entwendet worden war, nicht mit letzter Sicherheit die Täterschaft Pohlmanns in der Mordsache erkennen können, hieß es in der Urteilsbegründung des Frankfurter Schwurgerichts.

      Pohlmanns Verteidiger Alfred Seidl – der spätere bayerische Innenminister – hatte den Todeszeitpunkt infrage gestellt, den die Polizei für den Nachmittag des 29. Oktober 1957 angenommen hatte, und bekam Recht. Unter anderem hatten die am Tatort eintreffenden Beamten versäumt, die Temperatur der Leiche oder die Umgebungstemperatur in der laut Polizeibericht sehr warmen, fußbodenbeheizten Wohnung Nitribitts zu messen, was für die exakte Bestimmung der Todeszeit unbedingt notwendig gewesen wäre. Auch gab es Zeugenaussagen, wonach Nitribitt nach dem von den Ermittlern vermuteten Todeszeitpunkt noch Besorgungen erledigt habe (in der nahegelegenen Metzgerei Matthiae) und auf der Großen Eschenheimer Straße gesehen worden sei. Für diesen Zeitraum besaß der Angeklagte nach Ansicht des Schwurgerichts ein Alibi. Die Staatsanwaltschaft verzichtete auf eine Revision.

      Die Unterlagen des Gerichtsverfahrens befinden sich heute im Hessischen Hauptstaatsarchiv in Wiesbaden, legen aber nichts mehr wesentlicheres offen, als hier berichtet.

      Versuchen wir, das wenig bekannte zu rekonstruieren. Sie war selbstbewusst, fuhr einen Mercedes und wohnte allein in einem Frankfurter Appartement - alles Affronts in den 1950er-Jahren in der BRD. Es war eine konservative Zeit, in der die Freiheiten der Frau unangebracht waren. Doch was die einen provozierte, zog die anderen wiederum magisch an. Nitribitt war eine der schillerndsten Figuren der Nachkriegszeit - mit einem tragischen Ende.

      Über ihre Liebe war nahezu alles zu erfahren, zumindest über die käufliche. Denn die 24-Jährige war eine, ja – Nutte, Edelhure, Luxus-Prostituierte? „Mannequin“, ließ Rosemarie Nitribitt ins Telefonbuch eintragen. Dabei hatte die zierliche Blondine als Model nie Fuß gefasst: Dazu war ihr Eifeler Dialekt zu breit, ihr Auftreten zu unfein und vorlaut. Also ging sie unter dem Namen Rebecca anschaffen, wurde innerhalb weniger Jahre erst zur berühmtesten Lustdame des Frankfurter Nachtlebens – und dann zu einem der großen deutschen Kriminalfälle.

      Dieser Fall scheint prädestiniert für all die Romane, Filme, Dokumentationen, die selbst noch Jahrzehnte nach Nitribitts Tod entstanden. Der Sittenskandal, der Sex, die Verschwörungstheorien: Ein Drehbuchautor hätte die grausigen und mysteriösen Einzelheiten des bis heute ungeklärten Verbrechens kaum besser arrangieren können.

      Das rosafarbene Frotteetuch, das der Mörder ihr unter die Kopfplatzwunde legte, nachdem er sie mit beiden Händen erwürgt hatte. Die schlampigen Polizeiermittlungen, die mehr zu vertuschen als aufzudecken schienen – weil Männer aus den höchsten Kreisen involviert waren, wie man munkelte. Oder jener schicksalhafte Moment im Herbst 1957, als Rosemarie Nitribitt vor einem Glas Sekt in einer Bad Homburger Bar saß und sagte: „Irgendwann schlägt mir noch jemand den Schädel ein.“

      Wenige Wochen später, am 1. November, fand man sie dann zu Hause, in der Nummer 41 des Frankfurter Apartmenthauses Stiftstraße 36. Die Leiche lag im überhitzten Wohnzimmer, halb verwest.

      Der Mord war damals ein Fall für die Mordkommission, den Erkennungsdienst und die Gerichtsmediziner. Die Liste der Personen am Tatort war überraschend lang und auch der Vizepräsident sowie der Pressesprecher der Polizei waren anwesend. Doch weshalb erregte der Mord an einer Prostituierten so viel Aufmerksamkeit?

      Das lässt sich an den Fundsachen in der Wohnung sehr gut ableiten, die von der Polizei sichergestellt wurden. Die Ermittler fanden unter anderem mehr als 1.000 DM in bar, Goldschmuck sowie Briefe eines namhaften Freiers und Tonbänder. Die Kripo versuchte, den Namen des prominenten Herren aus der Wirtschaft zu verschleiern und verwischte die Spuren.

      Doch nicht nur der namhafte Industrielle vergnügte sich mit der jungen Dame: Ein großer Teil der Frankfurter High Society klopfte an Nitribitts Tür.

      Sogar ein Fürst und ein Bonner Politiker sollen zu ihren Kunden gezählt haben. Die Gerüchteküche um ihre Kundenliste brodelte genauso wie die Frage nach dem Täter. War der Mörder etwa eine Person aus der Oberschicht?

      Als potenzielle Täter, denen man einen Mord zutrauen würde, kamen viele infrage. Rosemarie Nitribitt war eine begehrte Prostituierte und harte Konkurrenz für andere leichte Mädchen und deren Zuhälter. Zudem standen auf ihrer Kundenliste genügend Herren, die eine Liaison mit einer Prostituierten um jeden Preis hätten vertuschen wollen.

      Rosemarie Nitribitt war eine Frau, die Aufsehen erregte. Sie ging nicht auf den Straßenstrich, sondern fuhr durch die Stadt, parkte vor Luxushotels und suchte sich ihre Freier selbst: erst in einem Opel Kapitän, dann im glamourösen Mercedes 190 SL, schwarz, rote Ledersitze, Weißwandreifen. Eine attraktive Frau, stets geschmackvoll gekleidet, Nerzmantel, Brillantring, dazu ein weißer Pudel namens Joe. Sie suchte sich zahlungskräftige Kunden, bot ihre Dienste aber auch mal für einen 50-Mark-Schein an und scheffelte so ein Vermögen.

      Raubmord, vermuteten daher die Ermittler und verhafteten nach monatelanger Stümperei den Handelsvertreter Heinz Pohlmann, einen chronisch verschuldeten Freund Nitribitts. Der Indizienprozess endete allerdings, wie wir wissen, mit Freispruch.

      Weitere Prominente wurden verhört, doch deren Spuren verschwanden auf mysteriöse Weise im Laufe der Ermittlungen - wodurch die Verschwörungstheorien noch angefeuert wurden. Für Außenstehende war es nicht verständlich, warum ausgerechnet in diesen

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