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Gespräche und Trost von Freunden; solange ich nicht lerne, mich abzugrenzen und Nein zu sagen, opfere ich mich zwar für andere auf und setze dadurch vielleicht meine Gesundheit aufs Spiel, bekomme aber auch ihren Dank und riskiere nicht den Verlust von Freundschaft oder Liebe). Das bedeutet in unserem Zusammenhang, Defizite der Kinder nicht isoliert und nur negativ zu sehen, sondern auch Ausschau danach zu halten, welche Vorteile möglicherweise aus ihnen erwachsen, das heißt, welche beziehungsgestaltende Funktion sie haben, und dies in die Arbeit miteinzubeziehen. In diesem Sinne werden wir den Begriff »Defizit« im Weiteren auf der Basis eines systemisch-lösungsorientierten Verständnisses verwenden.

      Über die Bedeutung der Erfahrungsebene haben wir in Abschnitt 1.1.3 schon gesprochen. Im Abschnitt 4.1.2 (»Lernen durch Erfahrung«) stellen wir den Zusammenhang von Erfahrung, Lernen und Entwicklung in einer Entwicklungsspirale dar. Dieser Zusammenhang hat auch eine Bedeutung für das therapeutische Selbstverständnis. Wenn die Qualität der therapeutischen Arbeit stark aus der Empathiefähigkeit resultiert und diese wiederum durch Erfahrungen erweitert wird, dann haben wir es auch dabei mit einem Kreislauf zu tun. In diesem Kreislauf verstärken sich Erfahrungen und die dadurch breitere Verfügbarkeit von Handlungen und Gefühlen, die Empathiefähigkeit und die therapeutische Arbeit gegenseitig. Somit sehen wir nicht nur den Klienten, sondern auch den Therapeuten beständig auf einem Weg des Wachstums und der persönlichen Entwicklung. Eine Zusammenfassung des Kreislaufs bietet Abbildung 2.

       Abb. 2: Entwicklung des Therapeuten und seiner Arbeit

       1.3Gesellschaftlicher Kontext

       1.3.1Historische und aktuelle Entwicklungen

      Bis vor nicht allzu langer Zeit dominierte bei Kindern mit Schulschwierigkeiten die Nachhilfe als Maßnahme der Wahl. Dieser rein pädagogische Ansatz besagt im Prinzip nichts anderes als Folgendes: Wenn das, was bisher getan wurde (also der schulische Unterricht), nicht funktioniert, dann machen wir mehr davon. Dieses Vorgehen kann nur im Ausnahmefall gelingen und führt in aller Regel nur zu mehr Druck und Enttäuschung auf allen Seiten. Daran ändern auch immer ausgefeiltere Übungs- und Trainingsprogramme, mit oder ohne Computereinsatz, nichts.

      In den 1980er-Jahren leitete das von Dieter Betz und Helga Breuninger verfasste Buch Teufelskreis Lernstörungen (siehe 1998) eine Wende ein. Hier wurde, verhaltenstherapeutisch orientiert, erstmals gut dargestellt, dass Lernstörungen oft lediglich ein Symptom sind, deren Behandlung allein an der Problematik des Kindes vorbeigeht und daher keinen Erfolg bringt. Dieses Buch leitete einen Umschwung von reiner Nachhilfe, Trainingsprogrammen und dem zugrunde liegenden Gleichheitsgedanken hin zu einem individuumzentrierten Ansatz ein, der sich durch die Berücksichtigung der spezifischen Situation des einzelnen Kindes sowie auch seines Umfeldes auszeichnet. Dieter Betz und Helga Breuninger kommt somit das Verdienst zu, die Lerntherapie einen entscheidenden Schritt vorangebracht zu haben. Angesichts der neueren Erkenntnisse und Entwicklungen halten wir eine verhaltenstherapeutische Perspektive jedoch nicht mehr für zureichend. Eine ganze Reihe möglicher Interventionsformen sind bislang überhaupt nicht berücksichtigt worden. Aus unserer Sicht stellen insbesondere die Erkenntnisse aus der systemischen Therapie in den letzten Jahren wertvolle Ergänzungen dar. Sowohl von der Haltung dem Klienten gegenüber und bezüglich der therapeutischen Beziehung als auch von den konkreten Interventionstechniken her stehen hier für die Lerntherapie ideal passende Weiterentwicklungen zur Verfügung.

      Die grundlegende Erkenntnis, dass Kinder oftmals nur Symptomträger sind, verbreitet sich erst langsam und hat sich noch nicht flächendeckend durchgesetzt. Seit kurzer Zeit erstarken beispielsweise biologistische Ansätze, die auf der Basis der immer genaueren Kenntnis der physiologischen Abläufe im Gehirn auf eine stärkere Steuerung des Menschen von außen abzielen. (Mehr dazu weiter unten am Beispiel der medikamentösen Behandlung durch Ritalin®.) Wir halten dies für eine gefährliche materialistische Haltung, die die seelische Ebene und ihre Wirkkraft zu stark außer Acht lassen kann.

      Insgesamt beobachten wir in der Gesellschaft immer noch einen starken Wunsch nach Regeln, naturwissenschaftlich begründeten Interventionsformen und standardisierten Ablaufschemata, auch bei vielen Lerntherapeuten. Nach unserer Einschätzung hat dies mit dem Wunsch des Therapeuten oder des Begleiters zu tun, sich selbst als Mensch möglichst nicht mit in den Prozess begeben zu müssen. Es erscheint wohl einfacher, vermuten wir als Einstellung dahinter, für jedes Symptom und jedes Störungsbild ein Behandlungsschema anzuwenden. Diese Haltung vernachlässigt jedoch das Prozesshafte der menschlichen Entwicklung und die Wichtigkeit der therapeutischen Beziehung, deren Bedeutung inzwischen klar belegt ist. Daher kann eine therapeutische Arbeit mit vorgefertigten Behandlungsprogrammen nicht wirklich zu einem dauerhaften Erfolg führen.

      Es keimt mittlerweile vielerorts die Einsicht, dass der Machbarkeit und Steuerbarkeit des Menschen von außen Grenzen gesetzt sind und es vielmehr um Entwicklung und Wachstum von innen heraus geht. Dies betrifft, auch im Kontext der Lerntherapie, nicht nur die Kinder, sondern die Erwachsenen gleichermaßen und letztlich ebenso den Lerntherapeuten, der mit einer betroffenen Familie zu tun hat. Auch in den Wissenschaften, die in manchen praktischen Fragen mit ihren Erkenntnissen der Lebenswirklichkeit erst nachfolgen, wird langsam deutlich, dass es die Objektivität, an die lange geglaubt wurde, nicht gibt und daher der Subjektivität des Einzelnen und seinen individuellen Erfahrungen eine größere Bedeutung zugesprochen werden muss als bisher.

      Insbesondere in der Arbeit mit Menschen gilt, dass jede Person ein Individuum ist und in einer spezifischen Umwelt lebt, sodass es keine Schemata in der therapeutischen Arbeit geben kann. Eine in diesem Sinne sehr positive Entwicklung stellt die veränderte Gesetzgebung hinsichtlich der Verordnung des Wirkstoffes Methylphenidat dar, die eine Abkehr von einer gleichmacherischen Behandlung der Kinder mit ADHS-Diagnose bedeutet hin zu einer individuellen, auf den Einzelfall bezogenen therapeutischen Behandlung. Dies möchten wir im Folgenden etwas ausführlicher beschreiben.

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