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er mit einer Hand eine Antwort an seine Freundin tippt.

      * * *

      Kevin ist stolz auf sich. Er hat den Dönerladen tatsächlich gefunden. Er will gerade eintreten, da fällt ihm ein, was Miguel gesagt hatte: Stell den verdammten Koffer hin – und nimm den anderen verdammten Koffer! Kevin betrachtet seine Hände. Sie sind leer. Beide. Kevin wird heiß. Er dreht sich um und fängt an zu rennen. Nach ein paar Metern bleibt er stehen. Wo war diese verdammte Burg?

      * * *

      »Und wo ist dieses Café nun?«, fragt Sigrid gereizt.

      Claus bleibt stehen und blättert in dem Aktenordner. »Das muss …«, er zögert, schaut auf, blickt wieder auf die Karte, glotzt auf das Haus, vor dem sie stehen. »Das muss hier sein. Eigentlich.«

      »Das ist ein ganz normales Wohnhaus.«

      »Nein, das kann nicht sein. Hier …« Er hält ihr den Ordner mit dem aufgeschlagenen Plan entgegen. Plötzlich blickt er sich hastig um. »Mein Aktenkoffer!«, ruft er.

      Sigrid stöhnt. Claus dreht sich um und hastet in Richtung Burgruine.

      * * *

      Kevin ist noch stolzer auf sich. Er hat die Ruine wiedergefunden. Wo ist denn jetzt diese Bank? Er blickt sich hektisch um. Da! Und da steht auch der Koffer! Er atmet erleichtert auf. Er greift den Koffer und stapft davon.

      * * *

      »Ich habe ihn an der Bank stehen gelassen«, ruft Claus über die Schulter. »Das ist nur deine Schuld! Du mit deinem blöden Kaffee!« Er hastet am Friedhof vorbei und am Schulgebäude, aus dem gerade einige Kinder herauskommen.

      Sigrid trottet hinter ihm her. Sie holt ihn erst an der Ruine ein, er steht vor der Bank.

      »Der Koffer ist weg«, ruft er, und in seiner Stimme liegt echte Verzweiflung.

      Sie zeigt nach rechts. »Da steht er doch.«

      Claus stutzt. »Aber … Ich dachte … Ich hatte ihn doch hier abgestellt.«

      Er geht zu der anderen Bank, beugt sich hinab und hebt den Koffer in die Höhe. »Das ist nicht meiner«, murmelt er, und dann öffnet sich der Koffer. Dinge fallen heraus, viele Dinge. Kleine Säckchen. Gefüllt mit irgendeinem Pulver.

      * * *

      Stulle tippt grinsend auf seinem Display. Ein Speichelfaden läuft an seinem Mundwinkel herab. Er wischt ihn mit einer schnellen Bewegung ab.

      * * *

      Sigrid und Claus starren auf die Säckchen, die auf dem Boden liegen.

      Sie hören Geschrei. Lachen. Rufen.

      Claus blickt sich hastig um. Er bückt sich, nimmt eines der Päckchen, hebt es hoch.

      Das Päckchen reißt, weißer Staub ergießt sich, der Wind bläst einen Gutteil des Staubs gegen Claus’ schwarzen Anzug. Claus entfährt ein Schreckensschrei.

      Ein paar Jugendliche kommen näher. Jeder, wirklich jeder einzelne Jugendliche hält ein Smartphone in der Hand. Die Jugendlichen knuffen sich in die Seiten, sie richten ihre Handys auf Claus.

      »Cool, Alter«, sagt ein Junge. »Verkaufste uns was?«

      Ein paar seiner Kumpels lachen.

      »Das … Das ist nicht von mir«, stammelt Claus.

      * * *

      Kevin sitzt in seinem Seat und starrt in den Koffer. Es sind Geldscheine drin. Gebündelte Geldscheine. Er versucht sich an das zu erinnern, was Miguel gesagt hatte. Sollte er nicht Koks abholen? Es dauert einige Minuten, bis er sich einen Reim drauf machen kann. Er muss da was falsch verstanden haben, sagt er sich. Wahrscheinlich ging es nicht um Drogen, sondern um Falschgeld. Er verzieht das Gesicht. Ihm soll’s egal sein. Er zündet sich einen weiteren Joint an. Dann startet er den Motor.

      * * *

      »Das ist nicht von mir.« Claus wiederholt diesen Satz wie ein Mantra. »Das ist nicht von mir.«

      »Sie wollen uns doch nicht ernsthaft einreden, Sie hätten den Koffer hier gefunden«, sagt der Polizist.

      »Hier, in Amöneburg«, ergänzt sein Kollege und verdreht die Augen.

      »Doch!«, ruft Claus. Er dreht sich zu Sigrid um, aber seine Frau ist verschwunden.

      * * *

      Stulle sitzt in seinem Renault, der Koffer liegt auf dem Beifahrersitz. Er startet den Motor und macht das Radio an. Eine gute Stunde würde er bis nach Frankfurt brauchen. Er freut sich auf Estefania. Bis dahin würde er sich mit dem Hörbuch ablenken, das er schon auf der Hinfahrt gehört hatte. Eine total verrückte Story über einen misslungenen Drogendeal. Bereits auf dem Weg nach Amöneburg hatte er ordentlich lachen müssen über diese ganzen Deppen.

      * * *

      Sigrid sitzt auf der Terrasse des Cafés am Berghang und schaut übers Land. Die Sonne wärmt ihr Gesicht, der Kaffee wärmt ihren Körper. Sie trinkt einen Schluck. Claus soll jetzt erst mal ein bisschen warten. Amöneburg, denkt sie. Was für ein hübsches Städtchen.

      Blutmondnacht

      JÜRGEN HÖVELMANN

      Einige Kilometer südlich von Marburg, am Zusammenfluss von Lahn und Allna, ist unweit des Ortes Niederweimar die »Zeiteninsel« geplant. Auf einem künstlich aufgeschütteten Areal in den Flussauen wird in der Nähe von historischen Ausgrabungsstätten ein Gelände entstehen, auf dem fünf verschiedene Zeitstationen von der römischen Kaiserzeit (um Christi Geburt) bis zurück in die Mittelsteinzeit (ca. 9000 v. Chr.) dargestellt bzw. erlebbar gemacht werden.

      Die Geschichte, um die es hier geht, spielt in einem kleinen Weiler der Eisenzeit (ca. 500 v. Chr.), wie er in der zweiten Station der Ausstellung auf der »Zeiteninsel« präsentiert werden soll.

      Ja, man nennt mich Peredur, das ist mein Name. Ich spüre eure fragenden Blicke und auch die Anklage, die in ihnen liegt. Viele werden mich für verrückt halten, aber sagt selbst: Wie viel verrückter wäre es wohl gewesen, den Dingen ihren freien Lauf zu lassen?

      Ich lebe mit meiner Sippe am Zusammenfluss von Lahn und Allna. Früher war ich bekannt als Jäger, aber heute, wo sich mein Leben dem Ende zuneigt, bin ich für alle nur noch ein alter Mann. Sehr lange weile ich nun bereits unter den Lebenden und wer weiß schon, wie wenig Zeit mir noch bleibt, bis mich irgendeine Krankheit oder ein anderer heimtückischer Dämon endgültig dahinrafft? Es kann nicht mehr allzu lange dauern, denn ich bin einer der betagtesten Männer meiner Sippe.

      Es ist schon unzählige Monde her, dass ich bei der Jagd verkrüppelt wurde. Mein rechter Arm ist seitdem ein einziges schlecht verheiltes Wundmal. Drei Finger meiner rechten Hand fehlen, und auch Teile meines Gesichts haben die Wölfe entstellt – an jenem Tag, als sie mich in einen Hinterhalt lockten, aus dem es kein Entrinnen gab. Aber das ist eine andere Geschichte. Die Ereignisse, derentwegen ich mich heute zu rechtfertigen habe, sind erst seit einigen Monden vergangen.

      Seit ich entstellt wurde, bin ich kein Jäger mehr. Die Gemeinschaft lässt mich Holz sammeln, denn dazu tauge ich noch, wie auch zum Hüten der Schafe und Rinder. Keine Arbeiten für einen Mann, der einmal zu den stolzesten Ernährern der Sippe gehörte. Aber auch wenn mein Haar langsam grauer wird, so ist mir wenigstens meine frühere Muskelkraft geblieben. Die meisten von uns arbeiten auf dem Felde, aber dafür kann ich nicht mehr eingesetzt werden. Seit meiner Verwundung fehlt mir einfach das Geschick, einen Acker zu bestellen.

      Immerhin genießt mein Wort bei unseren Anführern einige Wertschätzung, das kann mir niemand mehr nehmen. Der weise Myrddin lässt mich häufig an seinen überlegungen teilhaben. Oft diskutieren wir bis spät in die Nacht. Wenn alle anderen schon in ihren Hütten verschwunden sind, sitzen wir noch am Lagerfeuer und teilen einander unsere Gedanken mit.

      Auch bei Koloman, der die Geschicke unserer Sippe leitet, genieße ich hohes Ansehen. Bevor er seine Entscheidungen trifft, werde ich häufig nach meiner Meinung

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