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Kredite aufnahn, drohe uns »der schlimmste Bankrott von Privathaushalten und Unternehmen in unserer Nachkriegsgeschichte«. Aber wenn der Staat den Bankrott eingestehe und sofort in Verhandlungen mit seinen Gläubigern eintrete, könnte man einen Großteil der Last mit denen teilen, die für die Schulden verantwortlich seien: den Banken, die vor 2008 rücksichtslos Kredite vergeben hätten.

      Die Antwort des Establishments fiel kurz und unmissverständlich aus: Wenn unsere Regierung um eine Umschuldung bitten sollte, würde Europa uns aus der Eurozone werfen. Meine Erwiderung war ebenso kurz und unmissverständlich: In dem Fall würden das französische und das deutsche Bankensystem explodieren und mit ihnen die ganze Eurozone. Sie würden uns nicht rauswerfen. Und selbst wenn sie es doch täten – was nützte es, in einer Währungsunion zu sein, die die Volkswirtschaften ihrer Mitglieder zerstört? Anders als die Eurogegner, die die Krise als Chance betrachteten, auf den Grexit zu drängen, argumentierte ich, der einzige Weg, nachhaltig in der Eurozone zu bleiben, sei es, die Anweisungen der Institutionen nicht zu befolgen.

      Nicht einmal zehn Tage bevor die Rettungsvereinbarung unterschrieben wurde, feuerte ich zwei weitere Schüsse in Richtung der Regierung ab. Am 26. April verglich ich in einem Artikel mit der Überschrift »Europas letzter Tango« die Bemühungen unserer Regierung um eine Rettung mit denen mehrerer aufeinanderfolgender argentinischer Regierungen, die versucht hatten, durch hohe Dollarkredite des IWF die 1:1-Bindung des Peso an den US-Dollar so lange zu erhalten, dass die Reichen und die Unternehmen ihren Besitz in Argentinien liquidieren, die Erlöse in Dollar eintauschen und dann an die Wall Street transferieren konnten – bevor Wirtschaft und Währung kollabierten und die angehäuften Dollarschulden die hilflosen Argentinier unter sich begruben. Zwei Tage später ging ich mit einem weiteren Artikel aufs Ganze. Die Überschrift lautete »Die schönen Seiten des Bankrotts«.

      Fünf Tage später wurde der Rettungskredit vereinbart. Der Ministerpräsident wählte eine idyllische griechische Insel als Hintergrund für seine Ansprache an die Nation, pries den Kredit als Griechenlands zweite Chance, Beweis der europäischen Solidarität, Grundlage unserer wirtschaftlichen Erholung, blablabla. Er war sein politisches Ende und unser direkter Weg ins Armenhaus.

      Meister der Sparpolitik

      Im September 2015, nach dem Ende meiner Amtszeit als Minister, meldete ich mich zum ersten Mal wieder öffentlich zu Wort, in der Sendung Question Time der BBC, die vor Live-Publikum in Cambridge aufgezeichnet wurde. Der Moderator David Dimbleby stellte mich als Europas Vorkämpfer gegen die Sparpolitik vor. Das war eine Einladung an einen Macho aus dem Publikum, mich mit seinen Ideen über den Nutzen der Sparpolitik zu konfrontieren: »Wirtschaft geht eigentlich ganz einfach. Ich habe zehn Pfund in der Tasche. Wenn ich drei Pint Bier in Cambridge kaufe, muss ich mir wahrscheinlich Geld leihen. Wenn ich so weitermache, habe ich irgendwann kein Geld mehr und bin bankrott. Es ist gar nicht schwierig.«

      Zu den größten Rätseln des Lebens, zumindest meines Lebens, gehört, wie leicht vernünftige Leute auf diese schreckliche Logik hereinfallen. Die persönlichen Finanzen sind eine absolut ungeeignete Grundlage, um die öffentlichen Finanzen zu verstehen. Das versuchte ich in meiner Antwort zu erklären: »In Ihrem Leben sind Ihre Ausgaben und Ihr Einkommen wunderbar unabhängig voneinander. Wenn Sie Ihre Ausgaben reduzieren, reduziert sich Ihr Einkommen nicht auch. Aber wenn ein Land massiv spart, reduziert sich auch sein Einkommen.«

      Der Grund dafür ist, dass auf nationaler Ebene Gesamtausgaben und Gesamteinnahmen genau gleich sind, denn was jemand einnimmt, hat jemand anderer ausgegeben. Wenn jede Einzelperson und jedes Unternehmen in einem Land spart, darf der Staat auf keinen Fall ebenfalls sparen. Würde er auch sparen, würde der abrupte Einbruch bei den Gesamtausgaben zu einem ebenso abrupten Einbruch beim Volkseinkommen führen, was wiederum geringere Steuereinnahmen zur Folge hätte und zu dem spektakulären Ziel der Austeritätspolitik führen würde: einem immer weiter schrumpfenden Volkseinkommen, weshalb die vorhandenen Schulden nicht mehr bedient werden könnten. Deshalb ist Austerität genau die falsche Lösung.

      Wenn es eines Beweises bedurft hätte, hat Griechenland ihn geliefert. Das Rettungspaket aus dem Jahr 2010 ruhte auf zwei Säulen: Die eine Säule waren gigantische Kredite zur Finanzierung der französischen und deutschen Banken, die andere Säule war ein kolossales Sparprogramm. Um einen Eindruck davon zu vermitteln: In den zwei Jahren nach der »Rettung« von Griechenland geriet Spanien, ein weiteres Land der Eurozone, in denselben Schlamassel und wurde gleichfalls mit Austerität behandelt, was in dem Fall eine Reduzierung der Staatsausgaben um 3,5 Prozent bedeutete. Im selben Zweijahreszeitraum von 2010 bis 2012 gingen die griechischen Staatsausgaben um sage und schreibe 15 Prozent zurück. Mit welchem Effekt? Spaniens Volkseinkommen sank um 6,4 Prozent, das griechische hingegen um 16 Prozent. Unterdessen plädierte in Großbritannien der frisch ernannte Schatzkanzler George Osborne für einen maßvollen Sparkurs, um sein Traumziel zu erreichen: einen ausgeglichenen Haushalt bis 2010.14 Osborne war einer der ersten Finanzminister, die ich nach meiner Wahl traf. Das Erstaunlichste bei unserer Begegnung – erstaunlich zumindest für die Pressevertreter, die ein frostiges oder scharfes Zusammentreffen erwartet hatten – war, dass wir keine nennenswerten Differenzen hatten. In den ersten Minuten unseres Gesprächs meinte ich: »Wir sind vielleicht über die Vorzüge der Sparpolitik uneins, aber Sie sparen nicht wirklich sehr, habe ich recht, George?«15

      Er stimmte lächelnd zu. Was hätte er auch sonst tun sollen? Wenn es eine Spar-Olympiade gegeben hätte, wäre Griechenland auf dem ersten Platz gelandet und Osbornes Großbritannien irgendwo ziemlich weit unten. Osborne schien auch dankbar für die Hilfe, die er von der Bank of England erhielt. Seit die Londoner City 2008 von schweren Turbulenzen auf dem Kreditmarkt getroffen worden war, hatte die Bank of England Milliarden Pfund gedruckt, um die Banken solvent und die Wirtschaft »liquide« zu halten. Osborne bezeichnete das als »expansive Kontraktion«: Großzügigkeit seitens der Bank of England kombiniert mit Ausgabenkürzungen des Staates.

      »Sie stehen immer hinter mir«, sagte er, offensichtlich erleichtert, nicht in meiner Situation zu sein: Geisel einer Europäischen Zentralbank, die genau das Gegenteil tat.

      »Ich beneide Sie, George«, klagte ich. »Im Gegensatz zu Ihnen habe ich eine Zentralbank, die mir bei jedem Schritt in den Rücken fällt. Können Sie sich vorstellen, wie es hier in Großbritannien aussehen würde, wenn Sie, statt ›expansive Kontraktion‹ zu betreiben, wie ich zu ›kontraktorischer Kontraktion‹ gezwungen wären?«

      Er nickte lächelnd und signalisierte mir, dass ich wenn schon nicht seine Solidarität, so wenigstens sein Mitgefühl hatte.

      Dass die Begegnung zwischen einem Schatzkanzler der Torys und einem Finanzminister, der die radikale Linke Griechenlands vertrat, so glatt lief, ist tatsächlich nicht so verwunderlich, wie es die Presse darstellte. Drei Jahre zuvor, auf dem Höhepunkt der Eurokrise, hatte ein Verband vereidigter Wirtschaftsprüfer mit Sitz in Australien beschlossen, die Teilnehmer ihrer jährlichen Konferenz mit einer Debatte zwischen einem Linken und einem Rechten aus Europa zu erfreuen. Und so luden sie Lord (Norman) Lamont, ehemals Schatzkanzler im Kabinett von John Major, und mich zu einer Debatte ein in der Erwartung, dass es gehörig krachen würde. Nur leider hatten sie das falsche Thema ausgewählt: die Krise in der Eurozone. Als wir uns auf dem Podium niedergelassen hatten vor lauter Zuschauern, die mit einem Hahnenkampf rechneten, stellten wir rasch fest, dass wir in nahezu allen Punkten übereinstimmten.

      Die Diskussion verlief tatsächlich so freundschaftlich, dass wir uns nachher mit Danae trafen und zu dritt zum Abendessen in ein Restaurant am Wasser gingen. Im strahlenden Sonnenlicht blühte unsere Freundschaft auf – mit Unterstützung des köstlichen australischen Weins, wie Norman mich immer wieder erinnert. Danach blieben wir in Verbindung und tauschten weiterhin unsere Ansichten aus in einer Weise, die mich davon überzeugte, dass wir mehr gemeinsam hatten, als ich mir vorgestellt hätte. Im Dezember 2014 schockierte ich Norman mit der unerwarteten Nachricht, dass ich in einem Monat das griechische Finanzministerium übernehmen würde. Seit diesem Tag und während meiner turbulenten Amtszeit, aber auch danach noch, erwies sich Norman als ein Fels in der Brandung, ein treuer Freund und zuverlässiger Unterstützer. Bevor ich 2015 Downing Street Nr. 11, den Amtssitz von George Osborne, betrat, hatte Norman ihn angerufen und unsere Begegnung mit einigen warmen Worten

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