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und im November 2012 ist im Direct-Verlag der dritte Band erschienen: »Geldmaschine Kassenpatient – wo bleibt unser Beitragsgeld? Die Streitschrift.« Renate Hartwig wurde 1948 in Lindau geboren, ihr Vater war Gastwirt, die Mutter Pfarrersköchin, beide Eltern waren Antifaschisten, der Vater kämpfte im Spanischen Bürgerkrieg. Sie ist verheiratet und hat drei Kinder.

      Das Einkommen entscheidet über den Grad der medizinischen Versorgung. Wer arm ist, muss früher sterben. Zugleich werden die Reichen immer reicher, schwimmen unsere Krankenkassen im Geld infolge der verordneten Sparmaßnahmen und Beitragserhöhungen. Nach Berechnungen des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) macht unser Gesundheitssystem (Gesundheitsfonds und gesetzliche Krankenkassen) im Jahr 2012 5,7 und im Jahr 2013 weitere 1,8 Milliarden Euro Überschuss. Dazu kommen 10 Milliarden von 2011 und 3,8 Milliarden von 2010. Die Überschüsse, gern »Rücklagen« genannt, betragen somit deutlich über 20 Milliarden Euro. 2 Milliarden (pro Jahr) stammen aus der sogenannten Praxisgebühr, über deren Abschaffung gerade gestritten wird. Diejenigen, die streiten und die gesundheits- und sozialpolitischen Entscheidungen treffen, sind allesamt Leute, die keinen Cent in die Kassen der Solidargemeinschaft zahlen, sondern sich im Gegenteil auch noch auf Kosten des Steuerzahlers mit luxuriösen Beihilfen im Krankheitsfall ausstatten lassen. Ohne jeden Skrupel.

      Dementsprechend gnadenlos fallen die »Reformen« aus. Die rauben den Patienten immer mehr Geld und Ansprüche. Einführung neuer Zuzahlungen für Praxisgebühr, häusliche Krankenpflege usf., die drastische Anhebung der Zuzahlungen für Krankenhausaufenthalt, Arznei-, Heil- und Hilfsmittel und ebenso die »Ausgliederung« von Leistungen aus der Erstattungspflicht der Krankenkasse wie rezeptfreie Medikamente, Zahnersatz, Glaukomvorsorge usf. wälzten die finanziellen Risiken im Fall von Krankheit und Altersschwäche immer mehr auf den Beitragszahler ab. Vorgeschobene Gründe für die Sparmaßnahmen gab es viele, wie die angebliche »All-you-can-eat-Mentalität« der Kassenpatienten, oder auch der »demografische Effekt«, eine Lieblingswaffe von Wirtschafts- und Finanzwissenschaftlern, die sich als Lobbyisten der Versicherungswirtschaft feilbieten, wie damals den Nazis. Einer sprach unlängst ganz in diesem Sinne öffentlich von »demografischen Zombies« und von »Hundertjährigen, die einfach nicht sterben wollen«. Die von allen Liberalisierern an die Wand gemalte Kostenexplosion jedoch hat sich als Gewinnexplosion herausgestellt. Hier wird deutlich, worauf das zielt, wir werden systematisch einer Privatisierung nicht nur der Krankheitskosten, sondern unserer gesamten medizinischen Versorgung entgegengeführt. Sie soll vollends dem Markt unterworfen werden. Dazu passt die neueste Meldung, dass die Krankenkassen künftig dem Kartell- bzw. Wettbewerbsrecht unterstellt und damit offiziell zu UNTERNEHMEN erklärt werden. Bisher galten die gesetzlichen Krankenkassen als Organisationen mit einem klar definierten gesellschaftlichen Versorgungsauftrag, sie hatten eine soziale Aufgabe zu erfüllen, auf dem Grundsatz der Solidarität, nach den Regelungen des Sozialgesetzbuches. Wir dürfen gespannt sein, ob in Zukunft die Befreiung von der Umsatzsteuer entfällt.

      Frau Hartwig lebt auf dem Land, aber für Beschaulichkeit bleibt kaum Zeit. Sie ist eine streitbare Bayerin voller Tatendrang. Seit Jahren deckt sie die Machenschaften einer miteinander verfilzten Clique aus Politikern, Lobbyisten und Vertretern der Gesundheitsindustrie auf, zeigt, wie und wohin sie unser Gesundheitssystem manipulieren. Sie wird laut, sie kriegt einen Zorn, sie verpfändet sogar ihr Haus, um das Münchner Olympiastadion zu mieten und das alles öffentlich anzuprangern. Sie ist vor dramatischen Irrtümern zwar nicht gefeit, lässt sich aber nicht vom eigentlichen Ziel abbringen. Ihr Kampfruf lautet: Zivilcourage ist Bürgerpflicht! Was sie will, ist Demokratie und Bürgergesellschaft. In leidenschaftlichem Tonfall und bayerisch gefärbter Sprechweise erzählt sie uns ihre Erfahrungen:

      »Ja, ich bin ein Gerechtigkeitsfanatiker, wo ich echt sauer werde, das sind Doppelmoralisten, aber davon später. Und ich sag Ihnen gleich, ich bin keine Patientenvertreterin! Das möchte ich gleich klarstellen, das hätten manche gern, um mich zu entschärfen! Ich vertrete Bürgerrechte. Klipp und klar! Das ist ganz was anderes. Für mich ist das, was passiert im Gesundheitswesen, etwas ganz Grundsätzliches, das ist eins der wichtigsten gesellschaftlichen Themen. Aber aufgepasst: Wenn wir von ›Gesundheitswesen‹ bzw. von ›Gesundheitssystem‹ reden, dann meinen wir nicht nur Ärzte, Krankenhäuser und Krankenversicherungen. Wir reden von einem aufgeblähten Kosmos an ›Dienstleistern‹, von den gewaltigen Megabürokratien der Kassen und kassenärztlichen Vereinigungen, von Verwaltungsbeamten, von Apotheken, Labors, Instituten, von Pflege-, Service- und Reha-Einrichtungen, Krankenhäusern und Groß-Kliniken, Zulieferern und vor allem von einer alles durchdringenden gewaltigen Pharmaindustrie. Die Triebfeder von dem Ganzen ist das Geld. Aber das wirkliche Ausmaß von diesem Kosmos habe ich erst allmählich begriffen.

      Angefangen hat’s mit einer Angina und einem Hausarztbesuch. Als er mal kurz rausmusste, habe ich zufällig einen Blick werfen können auf seinen Computer, und da stand als Laufband: ›Die veranschlagte Zeit für diesen Patienten ist abgelaufen.‹ Ich habe den Arzt dann zur Rede gestellt, und es war ihm irgendwie peinlich, er redete was vom ›engen Budget‹. Das wollte er aber dann so doch nicht stehen lassen, und eines Abends kam er mit vier Kollegen zu mir nach Hause, und sie haben mir ihre Probleme auf den Tisch gelegt, erzählt, dass sie furchtbar unter Druck stehen, dass sie eigentlich für ihre Arbeit kaum noch was kriegen, dass sie pleitegehen und dass es aus diesem Grund demnächst keine Hausärzte mehr geben wird. Ich war der typische uninformierte Kassenpatient, habe denen das damals natürlich alles geglaubt und mich dermaßen empört darüber, dass ich beschloss, etwas dagegen zu unternehmen. Wir sind 70 Millionen Beitragszahler, dachte ich, wir wissen nicht, was mit unserer Kohle passiert, das können wir uns doch nicht bieten lassen!

      Sie haben mich eingeladen, und so bin ich erst mal eineinhalb Jahre, als einzige Nichtmedizinerin, zu den Treffen des Hausärzteverbands gegangen – auch zu den Protestveranstaltungen – und habe mir angehört, was die Ärzte so zu sagen haben. Habe auch sehr viel recherchiert und mich sachkundig gemacht. Und ich hatte all die Jahre viel zu tun mit Ärzten aus der Funktionärsszene, den Verbänden, mit Ärzten, die sich berufspolitisch auseinandergesetzt haben. Und erst allmählich fiel mir irgendwie auf, sie streiten eigentlich alle um des Kaisers Bart. Es ging immer nur darum, welche Leistungen bringen wir und was bekommen wir dafür bezahlt. Aber ich habe gedacht, diese Haltung ist ein Ergebnis der Systemfehler. Ich dachte, was hier gebraucht wird, ist eine informierte Bürgerbewegung, zur Unterstützung, aber auch damit die Ärzte mal lernen, über ihren Tellerrand zu gucken! Eine Woche später habe ich eine Initiative gestartet und mithilfe meiner Webmasterin die Homepage www.patient-informiert-sich.de ins Netz gestellt.

      Meine Überlegung war, Ärzte und Patienten kämpfen gemeinsam. Und im April 2007 haben sie mich eingeladen zu einer Demonstrationsveranstaltung nach Nürnberg. Ich hasse Nürnberg! Und dann auch noch Meistersingerhalle! 2.000 Ärzte haben demonstriert, weil sie zu wenig Geld kriegen und fertiggemacht werden. Da war mein erster Auftritt. Ich hab mich am Mikrofon zu Wort gemeldet, quasi für unsere Patienteninitiative, und habe gesagt, wir Patienten, wir Beitragszahler, werden nun wach, wir legen jetzt den Finger in die Wunde und sagen Halt! Stopp! Die Macht der Krankenkassen und Kassenärztlichen Vereinigungen muss begrenzt werden, wir lassen es nicht zu, dass die Hausärzte aussterben! Ich war voller Idealismus und habe mich blenden lassen von den Ärzten. Das passiert mir heute nicht mehr!

      Meine Wut gegen die Masse der niedergelassenen Ärzte kam, als mir klar wurde, dass sie selber schuld sind, dass sie freiwillig mitmachen, dass sie ihr eigenes Denken, Fühlen und ihre Zivilcourage opfern für ihren ganz kleinen Vorteil, für ihr ganz kleines Sicherheitsdenken. Ich habe zum ersten Mal wirklich kapiert, wie das unter Hitler funktioniert hat. Ich musste aber das ganze komplizierte System erst mal durchschauen lernen. Und ich habe begriffen: Was draufsteht, muss nicht drin sein. Beispielsweise beim ›freien niedergelassenen Arzt‹. Den gibt es nämlich gar nicht. Er arbeitet in einer Scheinselbständigkeit, die er selber wählt. Es funktioniert so, dass er jeden Monat eine Abschlagzahlung kriegt. Das ist seine Sicherheit, auf die er allergrößten Wert legt. Wenn er die hat, ist ihm vollkommen wurscht, wie das System eigentlich funktioniert. Und da haben wir ein Problem!

      Ein anderes Problem ist die Kassenärztliche Vereinigung, kurz KV. Die Macht der KV kommt daher, dass die Politik sich ganz wunderbar zurückgelehnt und gesagt hat: Wir machen zwar die Rahmenbedingungen, aber das

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