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wir angefangen vor dreieinhalb Jahren. Inzwischen ist es ein Wahlpflichtkurs. Das Format des Kurses nennt sich: Grundlagen des ärztlichen Denkens und Handelns. Es zielt speziell darauf ab, dass die jungen Medizinerinnen und Mediziner sich Gedanken über ihr zukünftiges Handeln machen. Es war erstaunlich, die jungen Studierenden haben sehr differenziert darauf reagiert. Anfangs haben wir Rollenspiele gemacht, die Studierenden sollten sich mal vorstellen, was würde ich fragen, wenn ich Arzt wäre, was würde ich sagen, wenn ich Pharmavertreter wäre?

      Auch die Pharmaindustrie schult übrigens ihre Vertreter. Es gibt Lehrbücher der Meinungsmanipulation für Pharmavertreter. Unsere Rollenspiele sind zwar prima angekommen, aber auf so einem Level, da gibt’s zwar viel Interaktion, aber wenig Input. Es wurde auch gesagt, ist klar, ihr seid hier gegen Pharma, aber wir wollen keiner Gehirnwäsche unterzogen werden. Das war natürlich nicht unser Ziel, wir haben dann in den darauffolgenden Semestern die Anmerkungen der Studierenden ernst genommen und das Format zunehmend problemorientierter aufgestellt, interaktiver. Sie hatten z.B. vorgeschlagen, auch mal einen Pharmavertreter einzuladen, um auch die andere Seite zu hören. Das fand ich völlig legitim. Ich habe dann über mehrere Semester versucht, einen zu finden, der bereit gewesen wäre, aus seinem Arbeitsalltag zu berichten. Wir hatten dann auch ein paar Mal eine Zusage bekommen, aber alle haben in letzter Minute abgesagt. Dann haben wir uns entschieden, einen hervorragenden Kollegen zu bitten, Thomas Lindner, einen niedergelassenen Arzt, der sich vor Jahren entschieden hat, bei der ›Initiative unbestechlicher Ärztinnen und Ärzte‹ mitzuarbeiten – sie nennt sich ›Mezis‹, eine Abkürzung für: ›Mein Essen zahl ich selbst‹. Er ist übrigens einer der Mitbegründer. Der kann den Studierenden einfach aus seiner Perspektive erzählen, aus langjähriger Erfahrung mit Pharmavertretern, warum er ihre Besuche eines Tages nicht mehr wollte. Er hat sich sehr intensiv mit diesem Thema beschäftigt.

      Das finde ich einen wesentlich spannenderen Ansatz, als wenn jetzt ein Pharmavertreter sich hinstellt und seine Tätigkeit schönredet. Wir haben hier sechzehn Veranstaltungstermine, also nicht viel Zeit, um eine ganz spezifische Seite der Medaille oder des Arztseins darzustellen. Viele Studenten gehen ja noch mit ziemlich idealistischen Vorstellungen vom Arztberuf und von sich selbst ins Studium. Wenn ich denen sage: Also wenn Sie mein Patient sind, dann erwarten Sie von Ihrem Arzt doch, dass es ihm um Ihre Krankheit geht, und ausschließlich um deren Behandlung. Dass Sie das richtige Medikament bekommen, in der richtigen Dosis, zum richtigen Zeitpunkt, und dass dieses Medikament einen vernünftigen Preis hat. Die Studenten verstehen die Frage nicht, weil sie das erst mal für selbstverständlich halten. Dass den Arzt auch andere Motive leiten könnten, dass es viele Verlockungen gibt und gut dotierte Nebentätigkeiten, ist nicht in ihrem Bewusstsein.

      Desillusionierung ist zwar nicht unser Ziel, aber sie ist unvermeidlich. Wir sind in einer Welt angelangt, wo diejenigen, die die Medikamente herstellen, das ja nicht tun, weil sie die Interessen der Patienten im Vordergrund haben oder die der Ärzte. Sie haben andere Prioritäten, ihre Aktionäre sind ihnen wichtig, ihre Managergehälter, ihr Profit. Wir haben es im Gesundheitssystem immer mehr – und bei der Pharmaindustrie sowieso – mit den Renditeerwartungen der Aktionäre zu tun und da zählt eben nur: den Gewinn erhöhen, die Kosten reduzieren und verkaufen! Dass sich das Marketing der Pharmafirmen so stark auf die Ärzte konzentriert, liegt daran, dass die Konzerne hierzulande kaum Einfluss auf Patienten nehmen können. Werbung darf – im Gegensatz z.B. zu den USA – nur für nicht verschreibungspflichtige Präparate gemacht werden. Und deshalb eben geht es bei den Arzneiverschreibungen der Ärzte um riesige Summen.

      Und was bedeutet das für Patienten und Ärzte?

      Wie kann man sicherstellen, dass die Patienten genau die Therapie bekommen, die notwendig ist, also unter dem Gesichtspunkt: ›Rational medical Treatment‹?! Das ist nicht leicht zu vermitteln, denn es ist vergleichsweise nicht viel, was wir diesen mächtigen Interessen entgegensetzen können. Aber wir haben einen Anfang gemacht. Wir sehen es in den Seminaren, es scheint zu funktionieren. Anfangs, da waren die Studierenden schon etwas älter, konnten schon viel mitreden und hatten z.T. eine kritische Haltung gegenüber der Pharmaindustrie. In den letzten paar Semestern haben wir immer sehr junge Studierende gehabt, unter zwanzig, ganz frisch, ohne jede Idee. Vollkommen naiv, wenn man es negativ ausdrücken will. Andererseits, sie waren kaum vorbelastet, und ich habe immer den Eindruck, die Lernkurve von denen ist steil ansteigend, die machen richtig leidenschaftlich mit, das macht schon Spaß! Und ich freue mich, dass Transparency International/Deutschland jetzt auch regelmäßig einen Vertreter ins Seminar schickt, den Mediziner Wolfgang Wodarg. Transparenz ins Gesundheitssystem reinbringen, das ist immens wichtig!

      Man ist als Arzt ja den Zudringlichkeiten und Manipulationen nicht hilflos ausgeliefert. ›Mezis‹ z.B. sagt – was ich einen hervorragenden Ansatz finde – bei diesem Bestechungssystem machen wir nicht mehr mit! Aber man muss sich auch fragen, wie kommt das eigentlich. Das System ist ja nicht gestern vom Himmel gefallen. Wir haben erlaubt, dass dieses System sich in unserem Gesundheitssystem breitmachen durfte. Ärzte, Politiker, Krankenkassen. Es wurde ihm Tür und Tor geöffnet. Der Arzt ist sozusagen die leichteste Beute, er muss sein Geld verdienen, seine Patienten behandeln, und er muss sich noch regelmäßig weiterbilden nebenbei. Die gesamte Medikamentenflut ist vollkommen unübersichtlich geworden. Da ist der Pharmavertreter gern behilflich, zeigt dem Arzt die neuesten Studien, fasst alles brillant zusammen, bringt vielleicht noch einen Auszug aus einer renommierten Fachzeitschrift mit, und schon hat sozusagen eine personalisierte Weiterbildung stattgefunden. Kostenlos. In kürzester Zeit hat der Arzt den Eindruck, er ist absolut up to date.

      Aber was der Vertreter bringt und erzählt, ist natürlich mit einem Rattenschwanz von Interessen versehen, die Studien sind möglicherweise mitfinanziert worden von seinem Unternehmen, das dieses Medikament auf den Markt bringen möchte. In so einer Studie kann man ja viel manipulieren. Auch welche Berechnungen man anstellt ist entscheidend, ob’s ein absolutes Risiko oder ein relatives Risiko ist usw. Es ist wichtig zu zeigen, dass so was überhaupt existiert, dass Unternehmen Studien als ›wissenschaftlich‹ präsentieren, sie von hochkarätigen Autoren verfassen lassen und in wissenschaftlich hochkarätigen Zeitschriften präsentieren können, obwohl es sich in Wahrheit nur um Mauscheleien handelt. Das muss beendet werden, es muss Transparenz geschaffen werden. Vielleicht müssen wir auch darüber nachdenken, wir als Ärzte, uns nicht mehr alles vormachen und alles bezahlen zu lassen. Auch nicht die ärztliche Fortbildung. Dazu muss man wissen, Ärzte müssen eine kontinuierliche Fortbildung nachweisen in Form von Punkten. Die Fortbildungspflicht hat erfüllt, wer innerhalb von fünf Jahren 250 Fortbildungspunkte erworben hat. Die Zertifizierung der Fortbildungsveranstaltungen mit dem Recht zur Punktevergabe ist Sache der Ärztekammern. Auch die Pharmaindustrie lässt sich ihre Fortbildungsveranstaltungen zertifizieren, und viele Mediziner nutzen das Angebot und lassen sich ihre Fortbildung von ihr finanzieren.

      Das ist der Punkt. Wir müssen einfach einen Unterschied machen zwischen Pharmaveranstaltungen und Fortbildung. Es gibt ja auch die Möglichkeit, dass Ärzte anderen Ärzten Fortbildung anbieten. Das ist so der Schritt, den wir jetzt gegangen sind. Der erste von einer größeren Reihe, indem wir unser Seminarthema auch für Kollegen angeboten haben. Ende Januar 2013 haben wir ein Wochenendseminar mit dem Titel ›Advert Retard® – Industrielle Interessen, ärztliche Berufspraxis & rationale Arzneimitteltherapie‹ für Ärztinnen und Ärzte veranstaltet. Es kamen fast vierzig! Wir haben ein etwas lockeres Motto gewählt: »Alle Ärztinnen und Ärzte sind durch die Pharmaindustrie beeinflusst – nur ich nicht!« Der Satz ist aus einer Studie, die hatte sich mal damit befasst. Ärzte wurden gefragt: Wer von euch glaubt, dass Ärzte beeinflusst sind durch die Pharmaindustrie? ALLE glauben das. Und wenn man aber fragt: Wer von EUCH ist beeinflusst? … ICH ja nicht! Das ist so der Einstieg ins Wochenendseminar gewesen.

      Das Seminar bietet den Ärztinnen und Ärzten Vorträge zum Thema von verschiedenen sehr guten Experten, wie z.B. dem Pharmakologen Prof. Bruno Müller-Oerlinghausen, er war viele Jahre Vorstand der Arzneimittelkommission, ist seit 2011 Expertenbeirat für Arzneimittel von Stiftung Warentest. Und er ist auch in der Redaktion von Gute Pillen – Schlechte Pillen, der unabhängigen Zeitschrift für medizinische Laien. Von ihm stammt der Satz: ›Die Naivität der Mediziner gegenüber der Industrie ist erschreckend.‹ Jedenfalls, wir hatten geballtes Expertenwissen, haben effiziente Strategien vorgestellt, um schnell und zuverlässig an unabhängige Informationen

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