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Tropfen surrealistische Malerei und die wunderschöne Ästhetik des Zerfalls, die melancholische und düstere Seelen so sehr anzieht. Und das alles opalisiert um ein paar Kristallisationsachsen.

      Das Unheimliche[11] oder Was Freud sagte

      Sigmund Freud lieferte kühn eine Definition des Unheimlichen, ohne sich von dessen nebulöser Ungreifbarkeit groß beeindrucken zu lassen. Das Unheimliche verbindet sich immer mit etwas, was wir zunächst kannten und was uns vertraut war, doch mit der Zeit verdrängt und ins Unbewusste abgeschoben wurde. Es erwächst aus kindlichen Komplexen sowie aus archaischen animistischen Glaubensvorstellungen, die wir als zivilisierte Menschen in uns überwinden mussten. Das Gefühl des Unheimlichen empfinden wir deshalb immer dann, wenn ein in der Kindheit erworbener Komplex aktiviert wird oder wenn in unserer Erfahrung plötzlich etwas Archaisches zutage kommt. Das Verwischen der Grenze zwischen Lebendem und Totem, das Beleben von Gegenständen, das Abtrennen von Gliedmaßen – das sind Beispiele, die Freud nannte und die wir in den Filmen der Brothers Quay sogleich wiederentdecken. Unwillkürlich prägen sich uns die Hände einer Figur ein, die eine Leiter halten und sich plötzlich mit natürlicher Anmut vom Rest des Körpers lösen, um sich der Leiter ganz zu bemächtigen. Oder die Vivisektion einer Puppe, deren Porzellankopf von schmutzigem Werg entleert und mit neuem Inhalt gefüllt wird.

      Als raffinierte Film-Alchemisten erweitern die Brothers Quay die Freud’sche Rezeptur des Unheimlichen um eine Menge neuer Zutaten. Viele davon wären Freud nicht einmal im Traum in den Sinn gekommen.

      Panoptikum oder Durch das Schlüsselloch

      Das Panoptikum verkörpert das Unheimliche der Soziologie. Das von einem Philosophen erdachte ideale Gefängnis, in dem jeder Häftling unter ständiger Überwachung steht. Zugleich ist es die beste soziologische Gottesmetapher. Die Brothers Quay plagt der böse Traum von der Welt als Käfig, als abgeschlossener Raum, in den man hineinschauen und den Menschen beobachten kann. Die Figuren ihrer Filme sind häufig in solchen Räumen gefangen. Mit tragischer Entschlossenheit versuchen sie, ihre Lage zu erfassen und die Grenzen ihres Gefängnisses zu erforschen. Denken wir an Nocturna Artificialia oder The Epic of Gilgamesh, or This Unnameable Little Broom und die Bewegung der Hand, die durch ein Loch in der Wand nach draußen gelangt und blind zu entdecken versucht, was außerhalb ist. Beide Szenen erinnern an die alte Radierung mit dem Wanderer, der am Ende der Welt angekommen ist und nun, nachdem er den Kopf durch das halbrunde Himmelsfirmament hinausgesteckt hat, den Bau und die Mechanik der Sphären bewundert. Doch bei den Brothers Quay ist alles ganz anders – die Hand irrt im Nichts umher. Wir verfolgen ihre Anstrengung mit Mitgefühl und Trauer; wir wissen, dass es außerhalb des Gefängnisses, außerhalb der kantigen Box der Welt, nichts Interessantes gibt. Allenfalls findet sich dort das Auge eines namenlosen Beobachters, dessen gleichgültige Position wir, die Zuschauer, übernehmen.

      Artificial oder Das Künstliche ist das Schöne

      Diese künstliche Welt, ins Leben gerufen von einem unfähigen, schlampigen Demiurgen, wird überdies im letzten Stadium ihrer Existenz erfasst, wenn schon allein Zerfall, Zerstörung und Staub herrschen. Es gibt hier nichts Frisches mehr. Alle Mechanismen und Gegenstände wirken, als wären sie als alt geschaffen worden. Man will nicht glauben, dass sie einst vor Neuheit glänzten und die Getriebe ausreichend geölt waren.

      Doch gerade deshalb scheint diese Welt ewig. Nur das Junge und Frische kann altern, sich abnutzen. Das Alte und Unvollkommene dagegen erlangt den Zustand des Seins über allem Seienden, der sicheren Dauer jenseits aller Bemächtigungsversuche der Zeit. In dieser künstlichen Welt ereignen sich freilich Akte der Spontanzeugung, jenes geheimnisvollen Phänomens, das die Grenzen unserer wissenschaftlichen Erkenntnis überschreitet. Erinnern wir uns, wie eindrucksvoll Bruno Schulz diese Erscheinung beschreibt. Um sie zu beobachten, braucht man ein gerüttelt Maß an Scharfsinn und Achtsamkeit: Konzentration auf die kleinsten Details, die Ritzen in einem Brett, die Unebenheiten eines Steins, winzige Brechungen, Müllknäuel, Löcher, Kratzer … Denn gerade dort, in den Mikroabgründen, sprießt der Keim des Lebens. Stimmt das wirklich? Es wäre falsch, so zu fragen. Wir haben nämlich teil an den Phänomenen, und wann immer wir anfangen, einen Weg in die Tiefe zu suchen, verlieren wir unsere besondere Perspektive – und dann wird der Krümel Leben zum Staubkorn, zum Eisenspan. Im Übrigen lässt sich hier nie genau sagen, wo die höchst fragwürdige Grenze zwischen dem Lebenden und dem Toten verläuft. Die Weisen würden uns auslachen, wenn wir ihnen erklären wollten, dass eine solche Grenze überhaupt existiert. Die Frösche kommen ja bekanntlich aus dem Schlamm, die Fliegen aus Exkrementen und die Flöhe aus dem feuchten Staub unter dem Bett. Wie in der kongenialen Street of Crocodiles zu sehen ist, pulsiert im komplizierten Mechanismus einer Uhr bisweilen lebendes Gewebe, das an eine Leber erinnert, und die Zahnräder werden von Speichel angetrieben.

      Confusio oder Die ursprüngliche Ordnung der Dinge

      Lassen wir uns von dieser vermeintlichen Vision des Zerfalls aber nicht in die Irre führen. Im Tiegel der Alchemisten-Brüder gelangen wir zu den Wurzeln der ursprünglichen Ordnung, in der alles, was ist, gleichzeitig nebeneinander existiert und das Strukturbedürfnis weit über den primitiven Wunsch hinausgeht, die Dinge in ein System von Maßen, alphabetischen Buchstabenfolgen oder Kausalitäten zu zwingen. Hier herrscht die ursprüngliche Ordnung, in der alles gleich wichtig und miteinander verbunden ist.

      Wir hören Worte in verschiedenen Sprachen, die sich ungeachtet ihrer Herkunft und Verwandtschaft auf geheimnisvolle Weise ergänzen. Wir müssen nicht einmal verstehen, was gesagt oder geschrieben wird. Diese ursprüngliche Ordnung beinhaltet noch keinen Sinn, wie wir ihn kennen. Die menschliche Sprache hat sich noch nicht allzu weit vom reinen Klang entfernt, sie ist vor allem Laut, die Schrift wiederum reduziert sich auf die Spur von Graphitgriffeln auf dem Papier. Nichts lässt sich sagen, nichts erwidern. Im Film In Absentia werden Briefe in eine Uhr eingeworfen – sie erreichen ihren Adressaten nicht, es sei denn, es wäre die Zeit (obwohl deren viel beschworenes Verrinnen sich auch als rein hypothetisch herausstellen kann). Die Landschaft wird vollends abstrakt, und es fällt schwer, darin die vertrauten Formen von Bäumen, Bergen, Häusern und Straßen zu erkennen. Der Horizont existiert scheinbar, doch weil es weder Himmel noch Erde gibt, ist er obsolet – weder stellt er eine Trennlinie dar, noch hilft er bei der Orientierung im Raum. Die physikalischen Gesetze gelten hier nur bedingt – was fallen sollte, schwebt plötzlich in der Luft, während ringsum die Dinge weiterlaufen, als ob nichts wäre. »Vielleicht steckt hinter all den Einzelheiten ein tiefverborgener Sinn«, überlegt Jakob von Gunten, der Protagonist von Institute Benjamenta ((nach Robert Walsers Roman Jakob von Gunten), doch im Grunde sind viele von uns versucht auszurufen: »Welche Erleichterung!« Die Suche nach Sinn und Bedeutung hat uns schon so viele Qualen bereitet, dass wir ganz entkräftet sind von dieser dubiosen Kur gegen das Leiden des Horror vacui.

      Wunderkammer oder Fort mit der Enzyklopädie

      Unser Wissen gleicht einer ungeheuren Ansammlung von Schubladen, die wir wie im Film The Cabinet of Jan Švankmajer aufs Geratewohl öffnen – mal diese, mal jene. Auch ihre Anordnung wirkt chaotisch – das ist kein systematischer Katalog, sondern eine Kuriositätenkammer. Wir wissen nie, was wir erblicken werden, wenn wir eine von ihnen herausziehen. Gewiss ist nur: Es werden seltsame, beunruhigende Dinge sein. Dinge, deren Existenz nicht nur unsere Vorstellung übersteigt, sondern uns verblüfft und irritiert, weil sie beweist, dass sich eine Regel am besten beschreiben lässt, indem man Ausnahmen zeigt. Gegenstände werden nur in die Sammlung aufgenommen, sofern sie verblüffen. Jegliche potenziell anwendbare Systematik ist frei von allgemein akzeptierten wissenschaftlichen oder pseudowissenschaftlichen Annahmen. Es gelten weder das Prinzip von Ursache und Wirkung noch welche Art von Hierarchie auch immer, nicht einmal die einfache lineare Ordnung des Alphabets.

      Hier ist ein einziger einfacher Algorithmus am Werk: »Das und das, und dann noch das und das …«

      Oneiropractica oder Der Goldfisch

      Lassen wir uns nicht täuschen: Das Vorhandensein von Elektrizität, Motoren, Straßenbahnen, Türglocken, Uhren und Menschen bedeutet

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