Скачать книгу

loswerden wollen. Nur einer der vielen Tricks von Bellmore, um den Umsatz zu steigern. Doch was Jasper Bellmore beschließt, ist Gesetz. Er ist der Gründer des Parks. Der König von Corona.

      Jeder weiß, dass es in den Rabe-Büchern kein Königreich gibt. Die Kinderbuchtrilogie, auf der all das basiert, handelt von simplen Tieren im Wald, doch für den Vergnügungspark war das nicht genug. Es ist so sinnvoll wie Schlumpf Safari Tours oder Planet Astérix, aber den Leuten, die uns besuchen, ist das egal. Hauptsache, wir bieten ihnen rasante Achterbahnen, bunte, laute Paraden und Fotogelegenheiten mit all ihren Lieblingsfiguren.

      Nachdem die Menschentraube, die schon vor der Parköffnung am Eingang stand, sich auf der Welcome Avenue verteilt hat, nähern sich meine Kolleginnen und Kollegen in den Kostümen. Die ikonischen Figuren lösen bereits Jubel aus, als sie den Fahnenmast am Ende der Straße passieren. Während sie auf die begeisterten Kinder und Erwachsenen am Sonnentor zukommen, hissen zwei Angestellte die Flagge mit dem Logo des Parks – der Silhouette eines Raben, aufwärts fliegend, vor einem gelben Kreis.

      Die Flagge muss zügig und mit einem Lächeln gehisst werden. Sie darf nicht den Boden berühren. Sie darf nicht beschmutzt oder beschädigt werden.

      Alles muss perfekt sein. Wer gerade Reinigungsschicht hat, muss den ganzen Tag lang Müll aufsammeln. Zum Glück wechseln wir uns ab. Kundschaft begrüßen, Burger braten, Klos putzen – mit Ausnahme von Reparatur und Wartung ist kein Bereich exklusiv, wir alle sind abwechselnd für jede Aufgabe zuständig. Letzte Woche war ich es, die im Rabenkostüm den Arm um wildfremde Menschen legte, um für Fotos zu posieren. Diese Woche überreiche ich den Ankommenden Identifikationsarmbänder und teile ihnen mit, wo sie schon jetzt Andenken kaufen können. Die Hauptfigur des Parks wird heute von Carmen verkörpert.

      Natürlich trägt sie nicht dasselbe Kostüm. Der Rabenkopf, ein schwerer Glasfaserball mit Schaumstoffpolsterung innen und Fleeceüberzug außen, lässt sich nur chemisch reinigen, und sobald man eine halbe Stunde in dem schweren Ganzkörperanzug herumgelaufen ist, ist der Geruch der letzten Schichten wieder da, allen Sprays und Lufterfrischern zum Trotz. Keine der Reinigungsmethoden wirkt. Man erreicht lediglich, dass einem fortan schlecht wird, wenn man Duftbäumchen riecht, und schließlich findet man sich damit ab, stundenlang den eigenen alten Schweiß zu atmen. Damit jeder ein eigenes Kostüm hat, hängen in unserer Umkleidekabine zwei Exemplare von jedem. Jetzt wackelt je eines auf den Platz am Haupteingang zu.

      Die Leute sind begeistert. Niemand scheint zu merken, dass Frosch fehlt.

      Die beliebtesten Figuren sind sofort umringt, neben dem Raben natürlich vor allem der Schwan. Ein kleines Mädchen drückt sich an Hase und bringt ihn fast zu Fall. Teenager machen Fotos mit Fledermaus und Spinne. Direkt neben mir unterschreibt Fuchs auf einer Postkarte, direkt auf einem Autogramm von Dachs, der bereits über die unleserliche Si­­gnatur von Taube gekritzelt hat. Keiner von ihnen sieht, was er tut. Die meisten Vogelkostüme erlauben es, durch den offenen Filzschnabel die Füße der Parkgäste zu sehen. Der langhalsige Schwan und die anderen haben hingegen nur ein schmales Sichtfenster, bedeckt mit Nylon, kaum sichtbar, wenn man nicht darauf achtet. Nur mit Mühe erkennt man die Gesichter der Angestellten dahinter. Ich schaue hinüber zum Schwan und treffe Sonjas Blick. Während die nächste Gruppe sie umzingelt, zwinkert sie mir zu. Die Leute lächeln für die Kamera, und ich weiß genau: Obwohl es niemand sehen kann, lächelt Sonja mit.

      Niemand spielt Schwan, wie sie es tut. Trotz der klobigen Füße gelingt es ihr, zwischen der Kundschaft umherzugleiten, statt zu watscheln wie die meisten anderen. Wenn sie sich für Fotos hinter ihre Fans stellt, hebt sie kurz die Schwingen, um sie dann sanft auf die Schultern der Posierenden sinken zu lassen. Obwohl der Schwanenkopf an einem langen, geschwungenen Hals hängt, wippt er nicht albern vor und zurück, wenn sie läuft. Und jedes Kind, das sich an sie drückt, bekommt eine echte Umarmung. Nicht, weil Sonja den Park oder die Arbeit schätzt, sondern weil es keinen Grund gibt, die Kinder zu enttäuschen, die von überall auf der Welt herkommen, um Rabe, Schwan und all die anderen Tiere zu treffen.

      Die Leute lassen diese Nähe einfach zu. Niemand denkt daran, dass in den Kostümen echte Menschen stecken. Keiner der Mütter und Väter würde den alten Nestor in die Nähe ihrer Kinder lassen, doch sobald er das Bärenkostüm trägt, spielen sein Ausschlag und Haarausfall keine Rolle mehr. Auf der Straße wird Alexandra nachgerufen, dass sie aussieht wie ein Corona Chubby Meatball, doch als Eule bekommt sie einen Kuss nach dem anderen auf den Schnabel. In den Kostümen sind unsere Hautfarben egal. Niemanden kümmert, ob wir rasiert oder geschminkt sind.

      Sonja hebt einen kleinen Jungen hoch und drückt ihn an sich. Sie ist blass und hat wieder Gewicht verloren, doch die Eltern mit der Kamera sehen nur einen humanoiden Schwan aus Stoff und falschen Federn. Sonjas Tattoos sind unter mehreren Schichten Kunststoff versteckt. Sie sagt kein Wort, wie all die anderen, doch ihre Stimme tönt aus allen Lautsprechern.

      Du weißt, dass du willkommen bist,

      Wo jeder wahrhaft fürstlich ist!

      Fliegst du davon, wirst du vermisst,

      Im Königreich Corona!

      Es ist etwa zu diesem Zeitpunkt, dass in der Ferne Frosch sichtbar wird. Noch fällt es keinem auf, doch hinter dem Fahnenmast nähert sich die grüne Figur, eindeutig zu spät und sehr viel schneller, als es die Parkordnung erlaubt. Bellmores Regeln besagen, dass die Angestellten sich an die Schrittgeschwindigkeit der Kundschaft anpassen müssen. Um nicht den Anschein einer Bedrohung zu erwecken, ist es verboten, auf andere zu- oder von ihnen wegzulaufen. Schnellere Bewegungen sind nur gestattet, wenn jemand in Not ist und Hilfe benötigt. Diese Woche trägt Aram das Froschkostüm. Und allem Anschein nach sind ihm die Parkregeln im Augenblick egal.

      Die ersten Jubelrufe von der Welcome Avenue machen auch die Leute um mich herum auf ihn aufmerksam. Nach Rabe und Schwan ist Frosch die beliebteste Figur aus den Büchern. Dutzende Handys richten sich auf den Verspäteten und filmen, wie er angelaufen kommt. Kinder springen ihm entgegen und rufen seinen Namen. Und Hunderte sehen mit an, wie Aram die erste Besucherin greift und ihr ins Gesicht schreit. Er lässt sie los und rennt zum nächsten Gast, packt ihn mit seinen dicken grünen Handschuhen und ruft etwas aus dem Inneren des Froschkopfs. Ich lächle weiter und gebe den Neuankömmlingen ihre Lagepläne. Ich heiße sie willkommen und wünsche ihnen einen sonnigen Tag.

      Aram läuft indessen auf den Platz am Haupteingang. Er stolpert über seine eigenen Füße, stürzt und rollt in die Menschentraube. Die Umstehenden lachen und machen Selfies mit sich und dem gefallenen Frosch. Keiner hilft ihm auf, zu herrlich ist die Tollpatschigkeit ihrer Lieblingsfigur aus den Büchern. Als er sich wieder aufgerappelt hat, schüttelt er den nächsten Gast, und noch immer kommt nur Gelächter aus der Menge. Die Freudenschreie verstummen erst, als er nach dem ersten Handy greift. Nach und nach begreifen alle, dass der rasante Auftritt keine Showeinlage ist. Igel und Schabe versuchen, Frosch von der Kundschaft wegzuführen, doch was auch immer mit Aram los ist, er lässt sich nicht aufhalten. Igel geht zu Boden. Schabe wird nur knapp von Specht aufgefangen. Und Aram greift nach dem nächsten Gast.

      Erst später erfahre ich, warum er erst so spät zur Begrüßungszeremonie erschienen ist. Wir alle wussten, dass Arams Freundin wieder schwanger war, doch mit der Entbindung hatten wir frühestens in drei Wochen gerechnet. Noch vor Beginn seiner Schicht hatte Aram mit ihr telefoniert. Die Wehen hatten eingesetzt, und ein Nachbar hatte sie bereits ins Krankenhaus gefahren. Währenddessen stand Aram in unserer Umkleidekabine, bis zum Hals in einem Froschkostüm mit seiner ganz persönlichen Duftnote. Die anderen hatten sich pünktlich auf den Weg zum Haupteingang gemacht. Bellmore kann den Auszug der Kostümierten von seinem Büro aus sehen, natürlich, und kam persönlich in die Kabine, als ihm der fehlende Darsteller auffiel. Alle Argumente halfen nichts, Aram musste sein Telefon abgeben und seine Schicht antreten.

      Jetzt läuft er von Besucher zu Besucherin und versucht, ihnen die Handys abzunehmen. Ein Kind fängt an zu weinen. Softeis geht zu Boden, dann die ersten Telefone. Vergeblich versucht Aram, mit den riesigen Handschuhen nach den schmalen Geräten zu greifen.

      »Es hat zu früh begonnen!«, höre ich seine Stimme aus dem Froschkopf.

      Sobald er ein Handy zu fassen kriegt, wird es ihm wieder aus den Händen gerissen.

      »Ich

Скачать книгу