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Publizitätsaspekt dagegen bei der Anerkennung einer De facto-Regierung neben einer De jure-Regierung. Übt beispielsweise eine revolutionäre Gruppierung die effektive Herrschaftsgewalt zwar nicht über das gesamte Staatsgebiet, jedoch über einen Gebietsteil aus, so gebietet es das Interesse der Friedenssicherung, mit dieser Gruppierung völkerrechtliche Beziehungen aufzunehmen.

      Als ein weiteres Beispiel für das Effektivitätsprinzip im hier verstandenen Sinne können die Anforderungen an das Entstehen von → Völkergewohnheitsrecht gelten. Bekanntlich muss hierfür neben dem Vorliegen einer entsprechenden Rechtsüberzeugung (opinio iuris) eine im Regelfall länger andauernde und von der überwiegenden Mehrheit der Staaten praktizierte Übung (consuetudo) hinzutreten.

      Durch das Erfordernis der consuetudo wird zunächst einmal gewährleistet, dass das Völkergewohnheitsrecht mit der Rechtswirklichkeit im Wesentlichen übereinstimmt. Die Nähe zwischen Recht und Wirklichkeit erscheint gerade in einer dezentral organisierten, nicht über eigenständige Rechtsdurchsetzungsorgane verfügenden Rechtsordnung wesentlich, da auf diese Art und Weise die praktische Wirksamkeit des Völkerrechts (im oben erstgenannten Sinne) befördert wird. Wenn der parlamentarische Gesetzgeber bei der Setzung von Recht zugleich dessen Realisierungschancen berücksichtigt, so tut er dies aus einem Gebot politischer Klugheit heraus; die Nichtbefolgung einer Norm in der Rechtswirklichkeit nimmt dem jeweiligen Sollenssatz jedenfalls nichts von seiner Rechtsverbindlichkeit. Da das Völkerrecht über keinen zentralen Durchsetzungsmechanismus verfügt, untergrübe die Statuierung von Normen des Völkergewohnheitsrechts, die von vornherein nicht auf eine zumindest regelmäßige Befolgung in der Staatengemeinschaft bauen könnten, die Verbindlichkeit des Völkerrechts insgesamt.

      Darüber hinaus tritt mit dem Element der consuetudo wiederum das Publizitätskriterium in den Vordergrund. Ohne das Erfordernis einer verbreiteten Übung könnten in einer ungeschriebenen Rechtsordnung, welche nicht über ein zentrales Publikationsorgan wie das Bundesgesetzblatt verfügt, je nach den eigenstaatlichen Interessen Rechtsregeln behauptet werden. Demgegenüber trägt derjenige Staat, der eine bestimmte Rechtsregel des Völkergewohnheitsrechts behauptet, die Beweislast für dessen Existenz. Das dient zugleich der Rechtssicherheit, indem die Behauptung nicht hinreichend belegbarer Rechtsregeln abgewehrt wird, und damit in einem weiteren Sinne wiederum der Friedenssicherung.

      Seine wohl deutlichste Ausprägung fand das Effektivitätsprinzip in der Zeit des klassischen Völkerrechts im Recht zur Annexion, indem der militärische Sieg über den gegnerischen Staat, die De facto-Inbesitznahme des feindlichen Territoriums mit dem Recht zu dessen Aneignung honoriert wurde. Heute steht diesem Aneignungstitel regelmäßig das → universelle Gewaltverbot (Art. 2 Ziff. 4 UN-Ch.) entgegen (dazu unter IV. 1.).

      Einen indirekten Beleg für die Publizitätsfunktion des Effektivitätsprinzips bietet in diesem Zusammenhang indes die sog. Uti possidetis-Doktrin: Nach dieser Regel, deren völkergewohnheitsrechtliche Geltung freilich bis heute umstritten ist, wurden für die südamerikanischen Staaten nach Erlangung der Unabhängigkeit die bisherigen Verwaltungsgrenzen zu Staatsgrenzen. Entsprechend wurde im Zuge der Dekolonialisierung Afrikas sowie beim Zerfall Jugoslawiens verfahren. Entscheidend für den vorliegenden Zusammenhang ist, dass primär auf die verwaltungsmäßig festgelegten Binnengrenzen abgestellt wurde, nicht auf die effektive Innehabung des Territoriums (uti possidetis iuris im Gegensatz zu uti possidetis de facto). Das lässt sich damit erklären, dass durch das Abstellen auf die Binnengrenzen einerseits das Publizitätserfordernis gewahrt war, andererseits aber das Entstehen staatsfreier Räume (terra nullius) vermieden werden konnte. In diesem Sinne war die Uti possidetis-Regel dem Effektivitätskriterium überlegen.

      Die vorstehend behandelten Beispiele betrafen sämtlich Fälle, in denen das Völkerrecht den faktischen Veränderungen neutral gegenüberstand: Nach allgemeinem Völkerrecht ist die Sezession eines Staates grds. nicht verboten. Auch ein Regierungswechsel, selbst wenn er auf revolutionäre Art und Weise erfolgt, verstößt grds. nicht gegen das Völkerrecht. Die Entstehung neuen Völkergewohnheitsrechts ist völkerrechtlich ebenfalls nicht verboten, wenngleich die Staaten in einer Übergangsphase (d. h. vor Etablierung der neuen Gewohnheitsrechtsnorm) gegen das bestehende Völkerrecht verstoßen. Schließlich erlaubte das klassische Völkerrecht die Kriegführung zur Durchsetzung eigener Interessen, ein damit einhergehender Gebietserwerb war daher ebenfalls nicht rechtswidrig. All dies kann als Beleg für den traditionell wertneutralen Charakter des Völkerrechts angesehen werden.

      Bereits eingangs wurde indes darauf hingewiesen, dass in neuerer Zeit eine wertmäßige Aufladung des Völkerrechts erfolgt ist. Damit stellt sich die Frage, wie sich das Völkerrecht gegenüber Situationen, die unter Verstoß gegen die genannten Rechtswerte zustande gekommen sind, verhält. Hier gewinnt nun die Maxime „ex iniuria ius non oritur“ an Bedeutung: In dem Maße, wie das Völkerrecht mit materiellen Werten aufgeladen wird, erfolgt zugleich eine Zurückdrängung des Effektivitätsprinzips. Dabei handelt es sich um einen Prozess, der gegenwärtig noch nicht abgeschlossen ist und den das bestehende Spannungsverhältnis zwischen Legalitäts- und Effektivitätsprinzip kennzeichnet.

      Zu den zentralen Errungenschaften des modernen Völkerrechts gehört die Überwindung des Kriegführungsrechts (ius ad bellum) durch die Statuierung des → universellen Gewaltverbots. Zwar setzt die Natur des Gewaltverbots als nicht allein vertraglich (Art. 2 Ziff. 4 UN-Ch.), sondern auch völkergewohnheitsrechtlich anerkannter Rechtsgrundsatz voraus, dass er von den Staaten akzeptiert und jedenfalls im Regelfall auch befolgt wird. In diesem Sinne stellen Verstöße gegen das Gewaltverbot keine Relativierung des Effektivitätsprinzips dar. Vielmehr bestätigt sich insoweit die über eine bloße Hinnahme des rein Faktischen hinausgehende Normativität des Völkerrechts.

      Seine entscheidende Relativierung erfährt das Effektivitätsprinzip jedoch bei der Frage nach dem Umgang mit unter Verstoß gegen das Gewaltverbot herbeigeführten Rechtszuständen, also etwa hinsichtlich der Anerkennung gewaltsamer Gebietsveränderungen. Nach der Regel „ex iniuria ius non oritur“ folgt aus dem Verstoß gegen das Gewaltverbot ein umfassendes Anerkennungsverbot auch für Dritte. Dieser Gedanke kam in der sog. Stimson-Doktrin (1932) zunächst als politische Absichtserklärung der USA zum Ausdruck, wurde aber später durch → Friendly-Relations Declaration und Aggressionsdefinition der UN-Generalversammlung verstetigt und hat heute nach (freilich nicht unumstrittener) Ansicht den Status von Völkergewohnheitsrecht. Je länger der unter Verstoß gegen das Gewaltverbot herbeigeführte Zustand andauert, umso problematischer wird es allerdings, an der Nichtanerkennung uneingeschränkt festzuhalten. Beispiele hierfür sind die Frage der Fortdauer der baltischen Staaten nach ihrer Eingliederung in die Sowjetunion 1940 bis zur (Wieder-)Erlangung der Unabhängigkeit 1989/90, die Behandlung der von Israel im Sechstagekrieg von 1967 besetzten Palästinensergebiete oder des von China 1950 annektierten Tibet.

      In einem weiteren Sinne ist die materielle Aufladung des Völkerrechts durch die Anerkennung der Figur des ius cogens erfolgt. Das Konzept des ius cogens hat sich zwar zunächst im Völkervertragsrecht durchgesetzt (Art. 53, 64 WVRK), wird aber heute umfassend im Sinne eines völkerrechtlichen ordre public verstanden, also von Rechtswerten, die im Interesse der Rechtsgemeinschaft insgesamt geschützt werden und von denen daher nicht abgewichen werden darf. Art. 41 Abs. 2 der ILC-Artikel

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