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Person zunächst der Jurisdiktionsgewalt eines fremden Staates unterwerfen muss. An einer derartigen Sachlage fehlt es etwa dann, wenn der Rechtsverstoß des betreffenden Staates außerhalb seines Hoheitsgebietes stattfand, wenn z. B. Umweltverschmutzungen, die ihren Ursprung in einem Staat haben, zu Beeinträchtigungen in einem anderen Staat führen. Ob diese Ausnahme auch in der Staatenpraxis und der Judikatur bereits Niederschlag gefunden hat, wird allerdings selbst von den Verfassern des ILC-Entwurfs in ihrer Kommentierung des Artikels angezweifelt.

      Bei der Ausübung diplomatischen Schutzes sind einige praxisrelevante Besonderheiten zu beachten, deren abschließende Klärung bislang noch nicht erfolgt ist.

      Zunächst wirft die Bestimmung des für die Gewährung diplomatischen Schutzes zuständigen Heimatstaates dann Probleme auf, wenn eine natürliche Person mehr als nur eine Staatsangehörigkeit besitzt. Angesichts der Entscheidung des IGH im Nottebohm-Fall (Nottebohm Case [Liechtenstein v. Guatemala], ICJ Reports 1955, 4) wird allgemein vertreten, dass ein Staat in einer derart gelagerten Situation nur dann zur Ausübung diplomatischen Schutzes berechtigt ist, wenn er durch bestimmte Fakten, wie z. B. eine emotionale Verbundenheit der Person zu dem Staat, eine „echte Verbindung“ („genuine link“, „genuine connection“) nachweisen kann. Das schließt jedoch nicht aus, dass das Erfordernis eines „genuine link“ im Falle von Mehrstaatern nicht auch von mehreren Staaten erfüllt sein kann. Gegenüber Drittstaaten ist dann jeder dieses Erfordernis erfüllende Heimatstaat zur Gewährung von diplomatischem Schutz berechtigt; Art. 6 ILC-Entwurf.

      Diese Regel greift jedoch nicht, wenn ein Staat diplomatischen Schutz gegenüber einem anderen Staat ausüben möchte, dessen Staatsangehörigkeit die verletzte Person ebenfalls besitzt. Die neuere Entscheidungspraxis, die auch von Art. 7 des ILC-Entwurfs wiedergegeben wird, geht davon aus, dass in diesem Fall ein Staat nur dann zur Ausübung diplomatischen Schutzes gegenüber dem anderen Staat berechtigt ist, wenn die Staatsangehörigkeit „seines“ Staatsangehörigen als effektiver oder dominanter angesehen werden kann.

      Während die Ausübung diplomatischen Schutzes bislang nur zugunsten (eigener) Staatsangehöriger völkerrechtlich zulässig war, sieht Art. 8 Abs. 1 ILC-Entwurf auch die Möglichkeit diplomatischer Protektion zugunsten Staatenloser vor, um diese nicht schutzlos völkerrechtwidrigem Verhalten auszusetzen. Danach ist derjenige Staat zur Ausübung diplomatischen Schutzes zugunsten Staatenloser berechtigt, in dem der Staatenlose seinen rechtmäßigen und ständigen Wohnsitz hat. In Ermangelung einer entsprechenden Staatenpraxis dürfte es sich noch nicht um einen Rechtssatz des Völkergewohnheitsrechts handeln.

      Sollten bei der Bestimmung der Staatszugehörigkeit juristischer Personen (→ Staatsangehörigkeit/-zugehörigkeit) die Gründungs- und die Sitztheorie zu unterschiedlichen Ergebnissen führen, ist umstritten, welcher Theorie der Vorzug zu geben ist. Der IGH hat im Barcelona Traction-Fall (Case Concerning the Barcelona Traction, Light and Power Company, Limited [Belgium v. Spain], ICJ Reports 1970, 4) beide Theorien als Kriterien zur Bestimmung der Staatszugehörigkeit einer Gesellschaft gleichermaßen anerkannt.

      Der ILC-Entwurf hat in Art. 9 die Grundsätze aus der Entscheidung des IGH aufgegriffen und eine Kompromisslösung gewählt. Demnach soll als Grundregel auf die Gründungstheorie abgestellt werden. Die Anwendung der Gründungstheorie wird hingegen in den Fällen als nicht sachgerecht empfunden, in denen die Gesellschaft im Gründungsstaat keine nennenswerte geschäftliche Tätigkeit ausübt und die Anteilseigner aus anderen Staaten als dem Gründungsstaat stammen. Unter diesen Umständen ist gemäß Art. 9 ILC-Entwurf entsprechend der Sitztheorie der Staat zur Ausübung diplomatischen Schutzes berechtigt, in dem die Geschäftsführung ihren Sitz unterhält und von dem aus die finanzielle Kontrolle der Gesellschaft ausgeübt wird. Beide Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein. Fehlt eine der Bedingungen, dann bleibt es bei der Grundregel, dass der Staat der Gründung der Gesellschaft zur Ausübung diplomatischen Schutzes berechtigt ist.

      Zu unterscheiden von der Ausübung diplomatischen Schutzes zugunsten von Gesellschaften ist der diplomatische Schutz von Anteilseignern. Angesichts der grundlegenden systematischen Unterscheidung zwischen Gesellschaften einerseits und deren Gesellschaftern andererseits wird die Möglichkeit der Staaten, zugunsten von Anteilseignern zu intervenieren, grundsätzlich abgelehnt, sofern lediglich eine Verletzung der Gesellschaft vorliegt. Dies gilt selbst dann, wenn die gesamten Anteile einer Gesellschaft von einem Gesellschafter eines dritten Staates gehalten werden. Aufgrund einzelner Entscheidungen des IGH sowie der Bestimmungen im ILC-Entwurf ist als Ausnahme weitestgehend anerkannt, dass der Heimatstaat von Anteilseignern dann zur Gewährung diplomatischen Schutzes berechtigt ist, wenn die Gesellschaft aufgelöst wurde und nicht die Auflösung selber als Verstoß gerügt werden soll (vgl. Barcelona Traction, Art. 11 lit. a ILC-Entwurf). Darüber hinaus kann der Heimatstaat der Anteilseigner aufgrund völkervertraglicher Vereinbarungen zur Ausübung diplomatischen Schutzes berechtigt sein, wie es beispielsweise oftmals in Investitionsschutzverträgen (→ Investitionsrecht, internationales) vereinbart wird.

      Durch Vereinbarung kann ein Staat sein Recht zur Ausübung diplomatischen Schutzes auf einen dritten Staat übertragen. Häufig geschieht dies, wenn ein Staat keine eigene diplomatische Mission in einem bestimmten anderen Staat unterhält. So wird beispielsweise der diplomatische und konsularische Schutz der Staatsbürger des Fürstentums Liechtenstein regelmäßig durch die Schweiz ausgeübt. Ein weiteres Beispiel ist Art. 23 AEUV, der Unionsbürgern einen Anspruch auf Schutz durch die diplomatischen und konsularischen Behörden eines anderen EU-Staates verleiht, sofern der eigene Mitgliedstaat keine Vertretung in einem Drittstaat besitzt. Fraglich ist, wie weit der durch Art. 23 AEUV gewährte Schutzanspruch reicht. Dabei ist zwischen dem diplomatischen und dem konsularischen Schutz zu unterscheiden ist. Beim diplomatischen Schutz wird der Heimatstaat direkt gegenüber einem Drittstaat tätig, indem er beispielsweise einen Protest einreicht oder eine gerichtliche Streitbeilegung herbeizuführen versucht. Beim konsularischen Schutz handelt es sich hingegen um die Betreuung von Staatsangehörigen, wie z. B. die Unterstützung bei Visumsangelegenheiten oder der Hilfe in Notsituationen, die grundsätzlich kein direktes Tätigwerden gegenüber dem Drittstaat notwendig macht. Zwar spricht der deutsche Wortlaut des Art. 23 AEUV vom „diplomatischen und konsularischen Schutz“. Zu beachten ist aber, dass der Wortlaut dieser Vorschrift in anderen Sprachen für eine restriktivere Interpretation spricht (engl.: „protection by the diplomatic or consular authorities“); gemeint ist dort nur der konsularische Schutz, der von beiden Einrichtungen (Botschaften und Konsulaten) wahrgenommen wird (so auch Art. 46 GR-Ch.). Die Ausübung diplomatischen Schutzes zugunsten fremder Staatsangehöriger ist völkerrechtlich zudem nur dann zulässig, wenn eine ausdrückliche Vereinbarung mit dem betreffenden Drittstaat vorliegt. Die Berechtigung, konsularischen Schutz zugunsten fremder Staatsangehöriger zu gewähren, besteht völkerrechtlich bereits auf der Grundlage einer Notifikation gegenüber dem Drittstaat (Art. 8 WÜK). Demgemäß haben die EU-Staaten nur entsprechende Notifikationen gegenüber Drittländern vorgenommen. Auch das zu Art. 23 AEUV ergangene Sekundärrecht beschränkt den Anspruch auf konsularische Maßnahmen.

      In Bezug auf → Internationale Organisationen sind zwei Konstellationen zu unterscheiden: Zum einen kann die Internationale Organisation diplomatischen Schutz zugunsten eines ihrer Bedienstete ausüben wollen, und zum anderen kann ein Staat versuchen, zugunsten eines seiner Staatsangehörigen

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