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IMG-Statuts: Gemäß Art. 8 bis Abs. 1 sind die Planung, die Vorbereitung, die Einleitung und die Durchführung eines Aggressionsaktes strafbar (das IMG-Statut sprach statt von „execution“ [Durchführung] von „waging a war“, also dem Führen eines Angriffskrieges, der allein damals die Strafbarkeit auslöste). Es handelt sich bei diesen Tathandlungen um für Angehörige der staatlichen Führungselite charakteristische Handlungen beim staatlichen Einsatz von Waffengewalt. Die Formulierung der Tathandlung „Durchführung“ soll gewährleisten, dass auch Fälle erfasste werden, in denen sich das Handeln eines einzelnen Entscheidungsträgers auf das Drücken eines Knopfes beschränkt.

      Viele Autoren schließen aus den Straftatbeständen des IMG- und IMGFO-Statuts sowie des KRG 10, gegen deren Rechtmäßigkeit allerdings objektiv durchgreifende rechtliche Bedenken sprechen, und der – ebenfalls rechtlich unverbindlichen – Verkündung der Nürnberger Prinzipien durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen, auch beim Tatbestand des Aggressionsverbrechens gebe es zumindest völkergewohnheitsrechtlich geltende Anteile. Wie bereits an anderer Stelle dargelegt (→ Völkerstrafrecht), müssen die völkerrechtlichen Ebenen, auf denen eine Ge- oder Verbotsnorm als Verhaltensnorm des → Völkergewohnheits– oder → Völkervertragsrechts besteht und in letzterem Falle zu Völkergewohnheitsrecht erstarken kann, und die Rechtsfrage der Strafbarkeit eines Verstoßes gegen eine solche Ge- oder Verbotsnorm grundsätzlich voneinander getrennt werden. Es ist bereits grundsätzlich fraglich, ob sich auf der Ebene des Völkerrechts strafrechtliche Normen überhaupt gewohnheitsrechtlich entwickeln können (Legalitätsprinzip, Bestimmtheitsgrundsatz = lex certa). Angesichts der rechtlichen Unterschiede der in den Kriegsverbrecherprozessen nach dem Zweiten Weltkrieg angeklagten Tathandlungen, die den Angriffskrieg unter Strafe stellten, und dem bis zur letzten Sekunde mühsamen Versuch, in Kampala im Jahre 2010 einen Kompromiss zu erzielen, in dem dann i.E. der Aggressionsakt unter bestimmten weiteren Bedingungen zu einem Völkerrechtsverbrechen werden kann, muss nachdrücklich bezweifelt werden, dass die Strafbarkeit des Aggressionsaktes nach dem IStGH-Statut irgendeine bereits völkergewohnheitsrechtlich geltende Komponente enthalten könnte oder daneben ein – ggf. anderer, völkergewohnheitsrechtlicher – Straftatbestand eines Aggressionsverbrechens bestehen könnte.

      Im IStGH-Statut wird mit Art. 8 bis, so wie es in Rom 1998 mit Art. 5 Abs. 2 vorgegeben wurde, der Tatbestand des Verbrechens der Aggression mit der bereits beschriebenen „Doppelnatur“ eingeführt. Dieser unterscheidet sich inhaltlich von den Straftatbeständen des IMG- und IMGFO-Statuts und des KRG 10, die den Aggressionskrieg unter Strafe stellten, und übernimmt mit den Formulierungen der GA-Resolution 3314 auch die Mängel, die dieser von Anfang an innewohnten (Unklarheit bezüglich der Unterschiede zwischen „act of aggression“ und „armed attack“, fehlende Auseinandersetzung mit der Frage der Rechtfertigung grenzüberschreitender staatlicher Gewalt). Abgesehen davon, dass diese Resolution dem Sicherheitsrat als „policy-paper“ eine Hilfestellung bei der Feststellung eines Aggressionsaktes geben sollte (vgl. Art. 2 der Resolution), hat der Unterschied zwischen einem „act of aggression“ im Sinne der Art. 39 ff. UN-Ch., dem genau dies beschreibenden Art. 8 bis Abs. 2 und dem Merkmal einer das → Selbstverteidigungsrecht auslösenden „armed attack“ weiter Bestand und wurde nicht geklärt. Dies ist im Hinblick auf das strafrechtliche Bestimmtheitserfordernis sehr bedenklich.

      Da Rechtsfragen der Anwendung zwischenstaatlicher Gewalt stets politisch hochsensibel und oftmals nicht zweifelsfrei einzuordnen sind, sollte nicht jede völkerrechtswidrige Gewaltanwendung zugleich schon ein Aggressionsverbrechen darstellen. Art. 8 bis Abs. 1 führt deshalb zusätzlich eine sog. Schwellenklausel („threshold clause“) ein: Ein völkerrechtswidriger Akt der Aggression ist im Rahmen des IStGH-Statuts nur strafbar, wenn die Gewaltanwendung aufgrund ihres Charakters, ihrer Schwere und ihres Ausmaßes eine offenkundige („manifest“), also objektiv evidente Verletzung der UN-Charta darstellt. Diese sog. de minimis-Schwelle soll für die Zwecke des IStGH-Statuts die strafrechtliche Relevanz von Aggressionsakten unterhalb einer noch unbestimmten Bagatellschwelle (z. B. vereinzelte Grenzscharmützel, sporadische Gewaltakte) verneinen.

      Was könnte z. B. den Charakter der Gewaltanwendung ausmachen? Das Element ist zumindest geeignet, auch die Zwecke der Gewaltanwendung mit zu bewerten: Diente die grenzüberschreitende Waffengewalt z. B. dazu, in einem anderen Staat Völkermord oder andere systematisch durchgeführte internationale Verbrechen (z. B. durch eine → humanitäre Intervention) zu verhindern, könnte man zu der Überzeugung gelangen, dies sei im Lichte der Ziele und Aufgaben der Vereinten Nationen ihrem Charakter nach keine offenkundige und somit strafrechtsrelevante Verletzung der Charta; ebenso könnte dies bei einer unmittelbaren Bedrohung durch einen anderen Staat gesehen werden (unter den Stichworten Präemption und Prävention diskutiert). Die zwischen den Vertragsstaaten auch in Kampala verabschiedeten „understandings“ bestätigen ebenso wie schon der Wortlaut der Regelung („und“), dass die Aggression im Lichte aller drei Komponenten eine offenkundige Charta-Verletzung darstellen muss. Die Elemente der Schwellenklausel müssen also kumulativ vorliegen. Eine offenkundige UN-Charta-Verletzung und damit die mögliche Strafbarkeit für einen aggressiven Staatenakt ist folglich bereits dann nicht mehr gegeben, wenn eine beachtliche wissenschaftliche Minderheit Rechtfertigungsgründe für ihn vorträgt. Die Schwellenklausel enthält damit erhebliche Interpretationsspielräume, die zu einer großen Ungenauigkeit führen; auch dies ist ein Umstand, der dem Erfordernis des strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes nicht entspricht.

      Art. 8 bis Abs. 1 beschränkt den Täterkreis des „Führungsverbrechens“ der Aggression auf Täter, die eine effektive Kontrolle oder die Leitung über die politischen oder militärischen Handlungen eines Staates ausüben („leadership clause“). Dies beantwortet aber noch nicht exakt die Frage, wer diesem Führungskreis als „intraneus“ zuzuordnen ist und wie mit der strafrechtlichen Verantwortlichkeit einer Person außerhalb dieses Kreises („extraneus“) umzugehen ist. Zum Täterkreis gehört nach Art. 8 bis Abs. 1 nur, wer die effektive Kontrolle oder die Leitung über die politischen oder militärischen Aktivitäten eines Staates ausübt. Im Hinblick auf die Strafbarkeit des Aggressionsverbrechens kommt es insofern nicht auf den formalen Status einer Person, sondern darauf an, ob sie effektive Kontrolle über aggressive Politik tatsächlich ausübt. Der Täterkreis kann also im Einzelfall auch wirtschaftliche, paramilitärische, religiöse oder politische Führer ohne Regierungsamt umfassen.

      Art. 8 bis kriminalisiert die Planung, Vorbereitung, Einleitung und Durchführung eines staatlichen Aggressionsaktes. Soweit die Planung und Vorbereitung eines Aggressionsaktes als strafbare Handlungen normiert werden, ist dies schon grundsätzlich problematisch, weil das Schadensprinzip und die Rechtsgutlehre zur Rechtfertigung einer strafrechtlichen Sanktion für ein Verhalten die tatsächliche Schadensverursachung bzw. Verletzung des geschützten Rechtsguts fordern, die bloße Schaffung von Risiken oder Gefahren für Rechtsgüter aber in der Regel nicht ausreichen lässt. Im Ergebnis muss also der staatliche Aggressionsakt zumindest eingeleitet („initiation“) worden sein, also das Versuchsstadium erreicht haben, um eine Strafbarkeit auch einer Vorbereitungshandlung begründen zu können. Dies wird durch die ebenfalls in Kampala verabschiedeten „elements of crimes“ bestätigt, die die Durchführung des Aggressionsaktes ausdrücklich verlangen („The act of aggression – the use

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