ТОП просматриваемых книг сайта:
Internationales Privatrecht. Thomas Rauscher
Читать онлайн.Название Internationales Privatrecht
Год выпуска 0
isbn 9783811492448
Автор произведения Thomas Rauscher
Жанр Учебная литература
Серия Schwerpunktbereich
Издательство Bookwire
Teil I IPR: Grundlagen › § 1 Einführung und Abgrenzung › B. IPR und andere Rechtskollisionen
1. Begriff
9
In zahlreichen Staaten gilt kein einheitliches (kodifiziertes oder unkodifiziertes) Privatrecht. Von interlokaler Rechtsspaltung oder interlokalen Mehrrechtsstaaten spricht man, wenn in geographisch unterschiedlichen Gebieten eines Staates verschiedenes Privatrecht gilt. In solchen Staaten existieren im geschriebenen Recht, im Richterrecht oder im Gewohnheitsrecht Kollisionsregeln, welche über die Zuordnung eines Sachverhaltes zu einer jeweiligen Teilrechtsordnung entscheiden. Die Gesamtheit dieser Normen ist das Interlokale Privatrecht des jeweiligen Mehrrechtsstaates.
2. Entstehung von Mehrrechtsstaaten
10
Ursache für die Entstehung solcher Staaten waren auf dem europäischen Kontinent in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vor allem Grenzverschiebungen und Ausdehnungen von Staaten, sowie zentralistische Staatenbildungen, die sich gegen Ende des 20. Jahrhunderts zum Teil durch Dismembration wieder aufgelöst haben.
So galt zB in Teilen Ungarns das österreichische Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch, in anderen Teilen alt-ungarisches Gewohnheitsrecht. Insbesondere die Gebietsverschiebungen im Zuge der Friedensverträge zur Beendigung des Ersten Weltkriegs führten zu einer starken Regionalisierung des geltenden Rechts auf dem Balkan.
11
Solche interlokalen Rechtsspaltungen beziehen sich häufig nicht auf das gesamte Privatrecht, sondern umfassen nur bestimmte Rechtsgebiete. Es tritt dann Rechtseinheit in Teilen des Privatrechts neben Rechtsspaltung in anderen Bereichen.
In Spanien gilt das gemeinspanische Recht des Código Civil in einigen autonomen Provinzen nur mit Einschränkungen, die sich teils auf das Familienrecht, aber auch auf sachenrechtliche und schuldrechtliche Einzelfragen erstrecken (sog leyes forales – Foralrechte). Den Republiken der ehemaligen Sowjetunion war im Familien- und Erbrecht partielle Gesetzgebungshoheit eingeräumt, um die wachsenden ethnischen Spannungen zu beherrschen. Im früheren Jugoslawien (SFRJ) wurde sogar erst im Zuge von Unabhängigkeitsbestrebungen in den 70er Jahren eine solche Rechtsspaltung geschaffen. Infolge der Staaten-Auflösungen (Dismembration) in Osteuropa im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts wurden viele dieser interlokalen Teilrechtsgebiete zu souveränen Staaten. Aufgrund der verfassungsrechtlichen Lage, die von der staatlichen Einheit im bis zum 2.10.1990 geteilten Deutschland ausging, wurde auch die durch die Teilung und die nachfolgende Gesetzgebung der DDR, insbesondere das Inkrafttreten eines DDR-ZGB zum 1.1.1976, geschaffene Rechtsspaltung im Kollisionsrecht ganz überwiegend als eine interlokale Rechtsspaltung verstanden. Die DDR verstand das Verhältnis zur Bundesrepublik freilich auch kollisionsrechtlich als einen normalen Fall der IPR-Anwendung. Die Ausdehnung des BGB auf das Beitrittsgebiet zum 3.10.1990 hat mit wenigen Ausnahmen (Art. 230 Abs. 1 aF) die interlokale Rechtsspaltung durch Überleitung (Art. 231 ff) überwunden.
12
Außerhalb Europas finden sich zahlreiche Staaten, die aufgrund ihres historischen Zusammenschlusses aus mehreren Einzelstaaten und Beibehaltung eigenständiger Gesetzgebungshoheit im Bereich des Zivilrechts zu interlokalen Mehrrechtsstaaten geworden sind.
13
In den USA besteht in weiten Bereichen des Privatrechts Rechtsautonomie der einzelnen Bundesstaaten, wobei nicht nur zwischen den Gruppen der vormals englischen, französischen und spanischen Staaten Unterschiede bestehen, sondern trotz starkem Einfluss des Common Law auch von Staat zu Staat Rechtsunterschiede in Einzelfragen Bedeutung haben. Ähnliches gilt in Canada, Australien und Neuseeland. Auch in Mexico hat jeder Teilstaat einen eigenen Código Civil.
Literatur:
Länderberichte in Staudinger/Hausmann (2013) Anhang 1 ff zu Art. 4 EGBGB.
II. Interpersonale Rechtsspaltung
14
Rechtsordnungen, die nach Bevölkerungsgruppen unterscheiden, finden sich zahlreich in Asien und Afrika. Solche interpersonalen Rechtsspaltungen beziehen sich durchgehend nur auf das Personen-, Familien- und Erbrecht (sog „Personalstatut“, dazu Rn 190 ff). Unterscheidungskriterium ist häufig die Religionszugehörigkeit, im südlichen Afrika die Stammeszugehörigkeit. Die sich hieraus ergebenden Kollisionen werden durch interpersonales Kollisionsrecht gelöst, wobei dessen Prinzipien bei Religions- oder Stammesverschiedenheit häufig auf den Vorrang eines Familienoberhauptes abstellen.
15
Interreligiös gespalten ist das Personalstatut in den vorwiegend islamischen Staaten Nordafrikas (zB Marokko, Tunesien, Algerien, Libyen, Ägypten), des Nahen Ostens[4] (Libanon, Jordanien, Syrien, Irak, Saudi-Arabien, Yemen, VAE, Oman) und Asiens (Iran, Pakistan, Bangladesch, Indonesien) sowie in Indien und Israel. Interethnisch gespalten ist das Personen-, Familien- und Erbrecht verbreitet im mittleren südlichen Afrika, zB in Gambia, Kenia, beide Kongo, Mosambik, Botswana, Simbabwe, wobei teilweise trotz staatlicher Gesetze faktisch gewohnheitsrechtliche Spaltung vorherrscht. Interreligiöse und interethnische Spaltung findet sich im Sudan. Häufig ist das gespaltene materielle Recht unkodifiziert; einige Staaten des Islamischen Rechtskreises haben jedoch das auf den muslimischen Bevölkerungsteil anwendbare Recht kodifiziert und sich dabei auf bestimmte konfessionelle Besonderheiten festgelegt (zB Iran, Ägypten, Syrien) oder das religiöse Recht teilweise reformiert (zB Iran, Tunesien). In ehemals kolonialen Staaten mit interpersonaler Rechtsspaltung finden sich noch heute fortgeltende koloniale Rechtssetzungsakte mit spezifischer Geltung für Europäer bzw Christen (zB Pakistan und Indien, wo die britische Kolonialmacht auch für die muslimische Bevölkerung Verfahrensbestimmungen zum Eherecht erlassen hat).
Literatur:
Eingehende Länderberichte in Bergmann/Ferid/Henrich Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht (Loseblatt); kurze Länderberichte in Staudinger/Hausmann (2013) Anhang 1 ff zu Art. 4 EGBGB; Elwan/Menhofer/Otto Gutachten zum ausländischen Familien- und Erbrecht, Naher und Mittlerer Osten, Afrika und Asien (2005).
III. Intertemporale Kollisionen
16
Werden in einer Rechtsordnung einzelne geltende Normen durch neue ersetzt, das Recht also zu einem bestimmten Zeitpunkt geändert, so stellt sich die Frage, welche Tatbestände nach den alten und welche nach den neuen Vorschriften zu behandeln sind. Dieses Problem ergibt sich in allen Rechtsbereichen und tritt bei Sachverhalten mit Auslandsbezug sowohl im Kollisionsrecht als auch im materiellen Recht auf. Im selben Sachverhalt können intertemporale Fragen im eigenen und im ausländischen Recht vorkommen, was die Lösung von Fällen in der Praxis komplex werden lässt. Diese Frage wird durch intertemporales Kollisionsrecht oder Übergangsrecht