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in it and entrust it with the right to represent them, to act and negotiate in their name – this actor usurps new competences, mobilizes new resources and engages in new fields of activity in pursuit of its own interest in survival and power« (Flam 1990, S. 9).

      Aus diesem Grund ist es unabdingbar, neben Personen auch korporativen und anderen kollektiven Akteuren eine eigenständige Handlungs- und Strategiefähigkeit zuzuschreiben.

      Hinzu kommt, dass moderne Demokratien eine ganze Reihe von komplexen Sachfragen von Mehrheitsentscheidungen freigestellt und professionellen Organisationen oder Einrichtungen überantwortet haben. Gerichte bis hin zum Verfassungsgericht, Untersuchungskommissionen, Zentralbanken, Regulierungsbehörden (»regulartory agencies«), Ethikkommissionen im Forschungssystem etc. setzen zur Erfüllung ihrer Aufgaben »eher auf Qualitäten[48] wie Expertise, Professionalismus, Unabhängigkeit und Kontinuität (…) als auf direkte demokratische Verantwortlichkeit« (Majone 1993, S. 104).

      Insofern ist in meiner Sicht die Stoßrichtung der Lindblom’schen Kritik zwar richtig und berechtigt. Er lässt sich aber von der etwas grobschlächtigen Dichotomie von wissenschaftlicher und selbststeuernder Gesellschaft zum entgegengesetzten Extrem einer Laienherrschaft hinreißen, die angesichts der unwiderruflichen Verwissenschaftlichung, Technisierung, Komplizierung und Vernetzung aller Momente gesellschaftlicher Wirklichkeit hoffnungslos alteuropäisch erscheint. Zwar gibt es seit einigen Jahren eine unüberhörbare Diskussion über die Einführung oder Erweiterung von Möglichkeiten des Volksentscheids in westliche Verfassungen (Beedham 1993) – dem würde Lindbloms Argument entsprechen. Aber die meisten der in der Debatte für Volksentscheide angeführten Argumente sprechen weniger für eine Stärkung direkter Demokratie als für eine Stärkung des Subsidiaritätsprinzips. Kernpunkt der Auseinandersetzung ist deshalb gerade nicht Laienherrschaft, sondern die Selbststeuerung der in einer bestimmten Sache oder Problemlage betroffenen und kompetenten Sozialsysteme. Die überkommene Form repräsentativer Demokratie bewegt sich auf der Grenzlinie zwischen einer latenten und einer manifesten Krise, nicht weil sich »oben« die Experten befinden und »unten« die Laien, welche nach Lindblom nun ihren Leidensdruck selbst in Veränderungsenergie umsetzen müssen, sondern weil in den politischen Zentren Repräsentanten ohne Expertise und ohne professionelle Schulung für ihre spezifische Aufgabe sitzen, welche die Sprache der dezentral verteilten Experten, Involvierten und Professionellen gar nicht mehr verstehen können.

      Den Hauptmangel von Lindbloms revidiertem Modell einer selbststeuernden Gesellschaft sehe ich deshalb darin, dass er die »mittlere« intermediatisierende Ebene der Gruppierungen, Organisationen und Korporationen vernachlässigt. Betont man diese Ebene, dann verliert der Gegensatz von wissenschaftlicher und selbststeuernder Gesellschaft seine Schärfe. Dann kommt in den Blick, dass auch eine selbststeuernde Gesellschaft auf eine möglichst intelligente Verknüpfung von dezentraler Expertise und dezentraler Mobilisierung von Macht zur Durchsetzung wissensbasierter Veränderungsstrategien angewiesen ist. Das Großproblem Umweltzerstörung bietet dafür einen harten Anschauungsunterricht: Es ist schwer zu sehen, wie etwa im Bereich alternativer Verkehrssysteme der »normale« Bürger als Laie zu Vorstellungen und dann zur Mobilisierung von politischer Macht kommen könnte, um in diesem extrem komplexen und verschachtelten Problemfeld umweltverträglichere Lösungen herbeizuführen. Nicht nur sind einige der folgenreichsten Risiken des Individualverkehrs wie Zerstörung der Ozonschutzschicht, Zerstörung der Wälder oder Vergiftung der Luft gerade nicht unmittelbar erfahrbar, so dass auch kein unmittelbarer Leidensdruck entsteht; [49]vielmehr scheinen praktische Verbesserungen deshalb so schwer durchsetzbar zu sein, weil jede Lösung zunächst mehr Verlierer als Gewinner, mithin mehr Widerstand als Zustimmung, mehr Kosten als Nutzen erzeugt.

      Solange es nicht gelingt, qua Überzeugung, Expertise, Ausgleichsmaßnahmen, Verhandlungskunst und generalisierter politischer Macht aus dieser Mechanik der Verhinderung von Veränderung auszubrechen und eine zumindest mittelfristige Perspektive der Problemlösung – und das heißt der Verteilung von Nutzen und Kosten – zu etablieren, solange bleiben auch bei einer verstärkten Beteiligung von Laien und einer verstärkten Berücksichtigung von (durch Betroffenheit generierten) individuellen Machtpotenzialen die gegenwärtigen Großprobleme unlösbar.

      Einen anderen Weg back to basics verfolgt Amitai Etzioni in seinen späteren Arbeiten. Angesichts einer manifesten Unfähigkeit selbst entwickelter Demokratien zu aktiver und prospektiver (d. h. zukunftsweisender und zukunftsverantwortlicher) Selbststeuerung teilt er mit Lindblom das Ziel, neue Formen und Verfahren der demokratischen Aktivierung von Machtpotenzialen zu entwickeln. Während Lindblom gegenüber einer als zu gewichtig eingeschätzten Rolle von Wissenschaftlichkeit, Vernunft und Sachverstand nun den »gesunden Menschenverstand« des Laien ins Spiel bringt, setzt Etzioni auf Moral. Beide Auswege aus der Steuerungskrise des Demokratiemodells müssen systemtheoretisch aufgeklärten Europäern Schauer über den Rücken jagen. Aber in den USA funktionieren Begriffe und Konzeptionen anders (Ackerman 1991, Kap. 1). Dort hat die Erneuerung der Demokratie aus der Erneuerung von Familie, Kommune und »communities« eine Tradition, die bis zur Landung der Mayflower zurückreicht. Die »praktische Vernunft« des einfachen Bürgers ebenso wie die »kommunitarischen Werte« der primären Lebensgemeinschaften sind sicherlich die stärksten Wurzeln der amerikanischen Demokratie – und insofern ist es schon weniger verwunderlich, dass sowohl Lindblom wie auch Etzioni darauf zurückkommen.

      Lindblom sieht die Intelligenz der Demokratie durch die partikulare Intelligenz der Experten und Wissenschaftler graduell ausgehebelt; er plädiert deshalb für eine Verstärkung der Mechanismen der Selbststeuerung und dafür, die Aktivitäts- und Machtpotenziale der vielen Laien besser zu nutzen. Komplementär dazu postuliert Etzioni eine folgenreiche Verzerrung unseres Verständnisses kollektiver Entscheidungsfindung durch die massive Vorherrschaft des »rational-choice-Modells«, also eines Modells der Person als isoliertem rationalem Akteur. Er argumentiert, dass es für die Konstruktion eines viablen (lebensfähigen) Steuerungsmodells moderner Gesellschaften nicht ausreiche, wenn rationale Individuen gemäß ihrer je privaten und egoistischen Kosten-Nutzen-Kalküle zwischen Optionen auswählen; denn in diesem Prozess gesellschaftsweit summierter Egoismen verkümmerten gemeinschaftliche[50]Werte und die Rücksicht auf gemeinschaftliche Güter. Zugleich aber kritisiert er »starke« Kommunitaristen wie Sanders, MacIntyre oder Walzer, die wiederum einseitig auf die Steuerungswirkung gemeinschaftlicher Moral setzten und darüber das Individuum und seine individuellen Rechte vernachlässigten.

      ». those who recognize only the primacy of the community and consider individual rights either secondary and derivative or assert simply that ›there are no such rights‹ (MacIntyre 1984, p. 69), open the door to the intolerance, or worse, the tyranny found not only in totalitarian ideologies but also in absolutist theology and authoritarian political philosophies. Equally unacceptable are positions that focus exclusively on individual rights, particularly the extreme libertarian stand; few endorse policy ideas such as those that allow an individual the right to choose whether or not he or she wishes to defend his or her country (Nozick 1974). This may leave few to defend a country … The problems of the libertarian position hold for other common goals we all value, from concern for future generations to the condition of the environment (Etzioni 1991, S. 66).

      In diesem Dilemma versucht Etzioni eine vermittelnde Synthese beider Positionen, ein Modell des »I & We«, das er allerdings nicht sehr weit ausarbeitet. Immerhin stellt er die entscheidende Frage nach der angemessenen Balance beider Momente und illustriert die Konsequenzen jeglicher Einseitigkeit bezeichnenderweise an unterschiedlichen Modellen der Gesellschaftssteuerung:

      »Wherein lies the proper balance? While no simple guideline suggests itself, the social-historical context provides an important criterion: societies that lean heavily in one direction tend to ›correct‹ in the other. Thus, communist societies have been moving recently to enhance individual liberties. At the same time, American society, believing itself to have tilted too far toward Me-ism [hier: Kunstwort aus Me und ism, H. W.] and interest-group dominance, has been shifting toward a greater emphasis on national priorities and obligations to the community. Other such ›balancing‹ criteria remain to be evolved (Etzioni 1991, S. 67).

      Immerhin hat die jüngste Geschichte dieses Argument eindrucksvoll bestätigt. Die kommunistischen Gesellschaften sind auch – und vielleicht sogar vorrangig – an ihrem Mangel

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