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der kontrollorientierten Modellen der Organisation komplexer Sozialsysteme. Sie beide präsentieren elaborierte Konzeptionen eines dritten Weges, der die humanen und emanzipatorischen Errungenschaften der traditionellen Form von Demokratie bewahrt, zugleich aber ihre Steuerungskapazität verbessern soll. Ohne eine solche Weiterentwicklung, das ist ihre gemeinsame Botschaft, läuft auch das so erfolgreiche Demokratiemodell Gefahr, an der neuen Wirklichkeit hochkomplexer, interdependenter und eigendynamischer Sozialsysteme zu scheitern.

      In neueren Arbeiten verdeutlichen beide Autoren, dass sie eine solche Gefahr als durchaus realistisch ansehen. Als Steuerungstheoretiker müssen sie sich mit der zutiefst paradoxen Erfahrung auseinandersetzen, dass nach einer gewissen Erschütterung der eingeschliffenen Regeln und Selbstverständlichkeiten in den westlichen Demokratien und einem gewissen Aufbruch der demokratischen Verhältnisse Ende der 1960er- und Anfang der 1970er-Jahre in den dann folgenden 20 Jahren eine tiefgreifende Restauration formaler, repräsentativer, von den etablierten Parteien dominierter demokratischer Herrschaft stattfand. Für sich genommen, wäre dies wenig bemerkenswert: democracy as usual. Ihre Brisanz erhält diese Rückkehr zum Bewährten erst im Kontext einer gleichzeitig hereinbrechenden gesellschaftlichen Entwicklungsdynamik, welche in einem Schwung von »Postmodernisierung« das Gesicht moderner Gesellschaften verändert hat. Neue Technologien, neue Risiken, neue Wissensbestände und Wissensdefizite; Informatisierung, Digitalisierung und Vernetzung; Internationalisierung, Globalisierung und neue Regionalisierung; eine Ausweitung der wechselseitigen Abhängigkeiten und Unkalkulierbarkeiten, ein hitziger werdender Wettbewerb der (westlichen) ökonomischen, sozialpolitischen und technologischen Systeme bei gleichzeitiger intensiver Kooperation und transnationaler Verflechtung etc.; insgesamt eine dramatische Steigerung der Komplexität und Dynamik individueller, sozialer und gesellschaftlicher Kommunikationen in unterschiedlichsten Zeithorizonten und mit nicht mehr beherrschbaren kombinatorischen Folgen.

      All dies überrollt die herkömmlichen Formen und Verfahren der Demokratie. Die Kluften zwischen Politikern und Experten, Repräsentanten und Betroffenen, nationalen Belangen und transnationalen Zwängen, Risikogebern und Risikonehmern, kurzfristigen und mittelfristigen Kalkülen, individuellen und kollektiven Rationalitäten etc. wachsen sich zu potenziellen Sprengsätzen eines Systems aus, von dem nicht mehr klar ist, was es im Innersten noch zusammenhält. Die Demokratie als Steuerungsform gerät[45] zwischen die Mühlsteine einer »postmodernen« Individualisierung einerseits (Welsch 1994, S. 20) und einer technologiegetriebenen Globalisierung andererseits – allerdings ohne dass dies den politischen Akteuren bislang besonders aufgefallen wäre (siehe dazu Willke 1993a).

      Unter diesen Umständen ist es bemerkenswert, dass sowohl Etzioni wie auch Lindblom – wenn auch mit unterschiedlichen Gründen – in neueren Arbeiten von der Idee abrücken, gegenwärtige demokratische Gesellschaften wären kontrollierbar, planbar und in diesem Sinne steuerbar. Sie reagieren auf die angedeuteten Umwälzungen, indem sie aus ihren mehrdimensionalen Modellen demokratischer Steuerung das Element der auf Expertise gestützten Kontrolle und Belehrung nahezu gänzlich verschwinden lassen.

      In einer resümierenden Arbeit über die Schwierigkeiten des Versuchs, Gesellschaften zu verstehen und zu formen, kontrastiert Lindblom (1990) nun die beiden Modelle einer wissenschaftlichen Gesellschaft (»scientific society«) und einer selbststeuernden Gesellschaft (»self-guiding society«). Er kritisiert alle Versuche einer »wissenschaftlichen« Gesellschaftssteuerung, von Platon über Saint-Simon und Marx bis zu modernen Systemanalytikern als illusorisch und irregeleitet, weil Vernunft Macht nicht ersetzen könne. Eine idealtypische Gegenüberstellung beider Modelle ergibt folgenden Befund:

      »The one puts science, including social science, at center stage. In that model, social problem solving, social betterment, or guided social change (regarded as roughly synonymous) calls above all for scientific observation of human social behavior such that ideally humankind discovers the requisites of good people in a good society and, short of the ideal, uses the results of scientific observation to move in the right direction. Social science also of course studies and learns how to go where it has learned society ought to go. In contrast, the model of the self-guiding society brings lay probing of ordinary people and functionaries to center stage, though with a powerful supporting role played by science and social science adapted to the lay role in probing volitions. … The self-guiding society displays much less hostility to power; there, authorized power has a necessary and honorary contribution to make to problem solving, even if it often degenerates into playing politics« (Lindblom 1990, S. 214 u. 222).

      Gegenüber seinen eigenen früheren Vorstellungen einer (auch) präzeptoralen Gesellschaftssteuerung gewinnt das Element der machtgestützten Durchsetzung der – hauptsächlich von den betroffenen Laien und nicht von fernen Experten – beschlossenen politischen Veränderungsvorhaben die Oberhand. Lindblom begründet dies vor allem mit der Erfahrung, dass eine ganze Reihe von Großproblemen im Kontext der gegebenen Institutionen, Prozesse und Routinen unlösbar geworden sind. Nicht, weil dafür keine vernünftigen, wissenschaftlich[46] fundierten Lösungsvorschläge vorlägen, sondern weil im Rahmen der geltenden demokratischen Entscheidungsprozesse niemand die für eine Problemlösung nötige Kosten tragen möchte und die nötige Mobilisierung leisten kann oder will. Probleme wie die Reform des Gefängnissystems, die Jugendkriminalität in Städten oder die Zerstörung der Umwelt sind theoretisch durchaus lösbar, aber es fehlt der politische Wille, sie zu lösen – und dieser politische Wille lässt sich nicht durch Expertise ersetzen:

      »For such problems, all solutions remain closed off unless and until people experience sufficient distress to induce them to reconsider the institutions, social processes, or behavioral patterns up to that moment regarded as parameters. Expert opinion and social research on policies for such problems come to nothing in the absence of a reconsideration of volitions, nor can social scientists or experts of any other kind themselves accomplish the reconsideration. … If people do not feel an aversion to a situation or state of affairs, they cannot formulate it as a problem, nor will they seek to escape from that state of affairs, nor is there any reason why they should or would« (1990, S. 217, Hervorhebung H. W.).

      Lindblom kommt hier zu Schlussfolgerungen, die ziemlich frappierend den systemtheoretischen Konzeptionen der Selbststeuerung komplexer Sozialsysteme und der Unwahrscheinlichkeit gelingender Intervention in komplexe Problemlagen entspricht (siehe dazu ausführlich Systemtheorie II, bes. Kap. 5). Allerdings scheint seine Perspektive zu sehr von den Erfahrungen misslingender oder gar unmöglicher Reformen (in einem amerikanischen Kontext) geprägt zu sein, so dass an manchen Stellen der Eindruck entsteht, er schütte das Kind mit dem Bade aus. Zur besseren Übersicht kontrastiere ich die unterschiedlichen gesellschaftlichen Steuerungmodelle von Lindblom in Abbildung 2.1.

      Insbesondere scheint mir zu kurz zu kommen, dass moderne Demokratien wesentlich von einer fortgeschrittenen funktionalen Differenzierung der gesellschaftlichen Teilsysteme geprägt sind. Fortgeschrittene funktionale Differenzierung bedeutet, dass sich die Funktionssysteme (Politik, Ökonomie, Wissenschaft, Erziehung, Gesundheitssystem etc.) nicht nur aufgrund ihrer Eigensinnigkeit und Eigendynamik politisch schwerer erreichen und steuern lassen, sondern dass sie auf der anderen Seite eigenständige interne Problemlösungskapazitäten ausbilden, einschließlich spezifischer professioneller und organisatorischer Expertise. Es ist deshalb gar nicht nötig, aus der (berechtigten) Ablehnung des »wissenschaftlichen« Modells heraus nun Selbststeuerung vorrangig oder gar ausschließlich auf die schwachen Schultern von Laien zu verlagern. Die Hauptlast der Selbststeuerung tragen in hochorganisierten Gesellschaften nicht isolierte Einzelne, sondern organisierte und korporative Akteure, die in der Lage sind, kollektives Handeln in differenzierten, lokalen und vernetzten Organisationen und Gruppierungen zu mobilisieren.

       [47]

      Quelle: Eigene Darstellung

      Korporative Akteure können sich – und sie tun dies in der Regel auch – von den Interessen und Absichten ihrer Mitglieder unabhängig machen, obwohl es diese Mitglieder sind, welche den korporativen

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