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ein materieller Gegenstand entsteht, sondern dieser Begriff ist auf jede Tätigkeit zu beziehen, die in erster Linie darauf abzielt, etwas zu erreichen, was vom Handelnden verschieden ist. Hierzu gehört also das Schreinern eines Tisches ebenso wie das Produzieren eines Buches. Aber auch das Erreichen eines sportlichen Ziels, wie etwas das Schießen eines Tors oder das Besteigen eines bestimmten Bergs, oder das Vermitteln einer bestimmten Lehre kann grundsätzlich zu diesem Bereich gerechnet werden, und wohl überhaupt jede Tätigkeit, deren Ziel im Verdienen des eigenen Lebensunterhalts liegt. Wie |13|diese Beispiele zeigen, können die Unterschiede zu Tätigkeiten, deren Zweck in ihnen selbst liegt, fließend sein, wenn man etwa das Betreiben von Sport, z.B. Fußball, oder das Musizieren als in sich selbst sinnvolle Tätigkeiten ansieht. Übrigens weisen diese Beispiele für inhärent wertvolles Handeln auf den wichtigen Punkt hin, dass eine Tätigkeit durchaus praktisch und poiētisch zugleich sein kann, wenn ein Musiker mit Freude ein Stück spielt und doch für den Auftritt bezahlt wird (vgl. Broadie 1991, 205–208).

      Ähnliches gilt auch, wenn man den Sinn der aristotelischen Praxis etwas genauer eingrenzt: Die von mir als [2] und [3] gezählten Paragraphen weisen nämlich darauf hin, dass es Aristoteles nicht um jede möglicherweise selbstzweckliche Tätigkeit geht, sondern dass er eine noch spezifischere Form hiervon als Praxis bezeichnet: Seine Beispiele sind nicht zufällig der Athener Staatsmann Perikles und vergleichbare Weise, die sich dadurch auszeichnen, dass sie das für den Menschen Gute „betrachten“ können. Ebenso also, wie laut Abschnitt [1] zum Hervorbringen ein „Betrachten“ (theōrein) der Frage gehört, „wie etwas entsteht“, wird nun eine spezifische Kompetenz für die Praxis genannt, die Aristoteles als bekannt voraussetzt: Die Leistung dieses Vermögens, der „Klugheit“ (phronēsis), das sich im Wirken guter Politiker manifestiert, kann daher verdeutlichen, was als Praxis im aristotelischen Sinne zu gelten hat: Eine Aktivität, die konstant das gute menschliche Leben realisiert, indem sie für die menschliche Gemeinschaft direkt wirkt, und zwar, unter Leitung einer ihr angemessenen Rationalität, sowohl im Hinblick auf das Individuum selbst als auch im Hinblick auf politische Gemeinschaften.

      Auf diese Weise erschließt sich dann auch, was näherhin mit der Aussage, dass „die gute Praxis selbst das Ziel ist“, gemeint ist. Sie verweist auf den Hintergrund von Aristoteles’ ethischem Ansatz im Ganzen: Für ihn besteht das Ziel des menschlichen Leben in einem Glücklich-Sein (eudaimonia), in dem die dem Menschen als Menschen gegebenen Möglichkeiten möglichst vollständig und dauerhaft realisiert werden (NE I 5f., 1097a15–1098b8; gezeigt im ‚Ergon-Argument‘: NE I 6, 1097b22–1098a20; Eudemische Ethik [EE] II 1, 1218b 31–1219a 39; vlg. Müller 2003, 514–542). Nur eine Aktivität, die diesem Anspruch gerecht wird, verfolgt wirklich keine Ziele, die außerhalb des Menschen liegen, sondern ihre Ziele liegen innerhalb ihrer selbst. „Denn wir wählen sozusagen alles um etwas anderen willen außer der Eudaimonia“ (NE X 6, 1176b30f.). Für Aristoteles kommen, wie er bekanntlich in Buch X der Nikomachischen Ethik erläutert (NE X 7f., 1177a12–1178b32), nur entweder eine theoretische Aktivität wie die des Philosophen oder eine praktisch-politische Aktivität als Realisierung der Eudaimonie infrage. Letztere ist, da die erste eher das Göttliche im Menschen betrifft (1177b30f.), im eigentlichen Sinne die Praxis im aristotelischen Sinne.

      Den Unterschied einer solchen Praxis von einem „Hervorbringen“ verdeutlicht Aristoteles in Abschnitt [3] schließlich durch einen weiteren Gedanken: Die Tätigkeit eines exzellenten Hervorbringens kann auch darin bestehen, absichtlich etwas Fehlerhaftes zu produzieren: Zum Beispiel kann ein guter Büchsenmacher Gewehre produzieren, die ihr Ziel regelmäßig verfehlen, und ebenso kann ein |14|guter Fußballtrainer seine Mannschaft absichtlich so aufstellen, dass sie verliert. Für die Klugheit als der Praxis inhärente Rationalität ist das nicht möglich, sondern hier wäre ein absichtliches Verfehlen des menschlichen Gutes ein Zeichen dafür, dass eigentlich keine Klugheit vorliegt. Die Klugheit ist demnach eine „Tugend“, d.h. eine dauernde erworbene Charaktereigenschaft, die nur auf das Gute hinwirken kann, und zwar natürlich auch dann, wenn sie für ein konkretes Ziel, etwa ein neues gerechtes Gesetz, auf gleichsam „poiētische“ Weise arbeitet.

      3.2. Das Konzept einer praktischen Vernunft

      Besondere Bedeutung für das Konzept der Praxis hat somit bei Aristoteles die Annahme einer spezifisch praktischen Form von Rationalität, die er selbst bereits an drei Stellen als „praktische Vernunft“ bezeichnet. Diese Stellen lassen deutlich erkennen, wie sich das aristotelische Konzept praktischer Vernunft von der gleichnamigen Konzeption Immanuel Kants unterscheidet, die vom strikt universalen kategorischen Imperativ geprägt ist. Den Ausdruck „Praktische Vernunft“ gebraucht Aristoteles explizit an folgenden Stellen:

      Diese beiden sind also Vermögen der örtlichen Bewegung, Geist und Streben, und zwar der Geist, der um etwas willen nachdenkt und der praktische (nūs de ho heneka tū logizomenos kai ho praktikos). Er unterscheidet sich nämlich durch sein Ziel vom theoretischen. Auch jedes Streben erfolgt um etwas willen. Worauf sich nämlich das Streben richtet, dies ist das Prinzip der praktischen Vernunft (hū gar hē orexis, hautē archē tū praktikū nū). Das Ende ist aber das Prinzip der Praxis. Folglich werden diese beiden zu Recht für die Anfänge der Bewegung gehalten, Streben und praktische Vernunft (orexis kai dianoia praktikē). (De anima [DA] III 10, 433a13–18)

      Dasselbe muss die Vernunfterkenntnis sagen und das Streben verfolgen. Dies ist nun die praktische Vernunft und die entsprechende Wahrheit (hē dianoia kai hē alētheia praktikē). Bei der theoretischen und weder praktischen noch poiētischen Vernunft ist das gute und schlechte Funktionieren das Wahre und das Falsche (dies ist nämlich die Funktion jedes Vernunftvermögens). Beim praktischen Vernunftvermögen aber besteht die Wahrheit in Übereinstimmung mit dem richtigen Streben (NE VI 2, 1139a22–31).

      Es gibt Leute, die […] häufig, ohne aufzufallen, der Sache nicht zugehörige und überflüssige Argumente (logous) vorbringen. Dies aber tun sie manchmal durch Unwissenheit, manchmal durch Frechheit, und durch sie lassen sich manchmal auch die Erfahrenen und zum Handeln Fähigen täuschen, durch Leute, die architektonische oder praktische Vernunft (dianoian architektonikēn ē praktikēn) weder besitzen noch dazu in der Lage sind. (EE I 6, 1216b40–17a10).

      Die ersten beiden dieser drei Stellen stimmen in mehreren wichtigen Punkten überein:

      1 Es gibt eine praktische Vernunft, die sich von der theoretischen unterscheidet.

      2 Der Unterschied zum theoretischen Denken besteht darin, dass die praktische Vernunft sich auf ein Ziel bezieht. Im richtigen Bezug darauf liegt die ihr eigene Wahrheit.

      3 |15|Dies hängt damit zusammen, dass die praktische Vernunft stets mit einem Streben verbunden ist.

      Weiterhin sind einige Aspekte erwähnenswert, die zumindest an einer der drei Stellen genannt werden: Die De anima-Stelle weist darauf hin, dass auf einen Akt der praktischen Vernunft unmittelbar Praxis, also ein Handeln, folgt. Die Passage aus der Eudemischen Ethik mit ihrem Hinweis auf ein „architektonisches“, d.h. leitendes, Vermögen, zu dem auch die Klugheit in Verbindung stehen soll, bestätigt, dass es hier um nichts anderes geht als um die eben diskutierte Klugheit, der ebenfalls ein solches architektonisches Vermögen, gemäß ihrer politischen Kompetenz, zugeschrieben wird (vgl. NE VI 8, 1141b21–27; zu Übersetzungsvorschlägen Wolf 2002, 266). Vor diesem Hintergrund weist die Stelle aus Nikomachische Ethik VI auf einen Punkt hin, der für unser Verständnis der Aussage, die Klugheit sei eine Tugend, zentral ist: Nach dieser Stelle ist die Richtigkeit des Strebens ausschlaggebend für die Wahrheit der praktischen Vernunft und wird selbst durch die sogenannte ethische Tugend garantiert.

      3.3. Praxis als Zusammenwirken von praktischer Vernunft und Tugend

      Damit ist ein weiterer Zentralbegriff der aristotelischen Ethik angesprochen, nämlich der der Tugend, die auch in der aristotelischen Konzeption eine wesentliche Voraussetzung für die Eudaimonie ist (NE I 6, 1098a 12–18). Denn diese besteht in einer Aktivität gemäß der Tugend, wofür das Besitzen von Tugenden notwendig ist. Bis heute bekannt ist auch Aristoteles’ Lehre der Beschreibung der

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