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wird auch hier zur Frage nach den auf die Polis bezogenen Tätigkeiten zugespitzt, die nicht nur im weitesten Sinn produktive Fertigkeiten sind, sondern nur mit einer sittlichen |10|Zielsetzung überhaupt sinnvoll vollzogen werden können. Rhetorische bzw. politische Lehre muss daher durch die Einbeziehung einer normativen Dimension fundiert sein, wie gegenüber den Sophisten festgehalten wird (454b5–461b2). In beiden Dialogen wird somit die politische Aktivität als herausgehobene Form von Praxis zum Thema, deren Behandlung freilich besondere Schwierigkeiten aufwirft, weil sie nicht wie ein spezifisches Handwerk vermittelt werden kann. Zwar wird auch für sie die Bedeutung des Wissens als Vergleichsgrundlage zwischen verschiedenen möglichen Handlungsalternativen herausgehoben, doch überwiegt insgesamt die Hinterfragung der sophistischen Positionen, also die eigentlich konstruktive philosophische Begriffsarbeit.

      Auch in weiteren Dialogen bleiben die angesprochenen Themen zentral für die platonische Gedankenentwicklung, wobei die Wurzel prattein/praxis weiterhin häufig verwendet wird, um dasjenige Handeln zu beschreiben, das zum menschlichen Glück (eudaimonia) führt (Charmides 172a1–3; Euthydemos 279e3–6; vgl. Bien 1989, 1277). Handlungstheoretisch erweist sich dabei insbesondere als zentral, wie das für den Menschen Angenehme (hêdy) richtig zu verstehen ist: Auf die Dauer und im Ganzen fällt es für Platon mit dem sittlich Guten zusammen und ist durch dieses zu definieren (Protagoras 354a3–356c3), so dass das sittlich Gute nur erstrebt werden kann, allein weil es angenehm ist (Philebos 20e1–22a6).

      Insgesamt gibt sich Platon nicht damit zufrieden, die (seiner Meinung nach) auf unreflektierte Nützlichkeitserwägungen abzielende sophistische Handlungstheorie mit Argumenten aus der Praxis selbst zu bekämpfen. Vielmehr sucht er zu einer begründeten Einschätzung des sittlichen Wertes menschlicher Handlungen zu gelangen, als deren Ausdruck er die philosophische Lebensführung ansieht, die sich gerade nicht an äußerem Erfolg orientiert (Gorgias 500c 1–9; Phaidon 69c3–d4; Euthydemos 282c1–d2; vgl. Kauffmann 1993, 79f.). Als Gegenmodell hierzu wird insbesondere die Disposition des recht Handelnden untersucht, die in der Politeia als die Gerechtigkeit (dikaiosynē) bestimmt wird, die durch die rechte Zuordnung der verschiedenen Elemente gekennzeichnet ist (Politeia 441d5–e7). Dass diese Zuordnung nicht beliebig ist, wird in der Politeia durch den Vergleich mit der Ordnung der Polis und im Gorgias durch einen mit der Struktur des Kosmos verdeutlicht (Gorgias 506d2–507a2). In den Nomoi ist es die rechte Beachtung des Ganzen gegenüber den unwichtigen Details, die das gute Handeln gegenüber dem Schlechten ausmacht (901b1–c6).

      Diese sittlich-normative Perspektive sollte es verbieten, Platons Philosophie als „poiētisch“ im gleich zu erläuternden aristotelischen Sinne zu charakterisieren (vgl. Buchheim 1986, 131–135) obwohl die gleichsam objektive Beurteilbarkeit menschlichen Handelns ein wichtiger Punkt in der Auseinandersetzung Platons mit der Sophistik ist (Kratylos 386e5–387b7, in Bezug auf technisches Handeln), die auch zur Heranziehung ontologischer Gesichtspunkte bei der Beurteilung des Handelns führt (Philebos 18e3–19a2; vgl. Kauffmann 1993, 52–58). Auf diesem Weg führt die Frage nach dem rechten Praxiswissen hin zur Ideenlehre. Gegen die Annahme, dass das Bemühen um Sittlichkeit für Platon nur durch das |11|Streben danach, glücklich zu werden, motiviert sein kann bzw. darf, spricht andererseits das Gewicht, das er dem Guten als einer objektiven Größe beimisst. Es findet seinen deutlichsten Ausdruck in der herausgehobenen Stellung, die der Idee des Guten auch innerhalb bzw. jenseits des Seins der Ideenwelt zukommt (epekeina tês ūsias: Politeia 509b8f.). Hierbei wird die Idee des Guten sowohl als Grundlage jeglicher Erkenntnis als auch als Strebensziel thematisiert (vgl. Horn 2009, 166f.). Wenn auch die handlungstheoretischen Implikationen der Lehre von der Idee des Guten in der Politeia nicht ganz deutlich werden (vgl. Pfannkuche 1988, 169–183), so ist doch klar, dass die ontologische Dignität des höchsten Guten jedenfalls in die Beschreibung richtigen Handelns eingeht: Dieses muss dem Guten entsprechen, insofern es Autarkie (hikanon) und Vollkommenheit (teleon) aufweist (Philebos 20d1–10, 22b3–8; vgl. Kaufmann 1993, 61; Horn 2009, 162–164).

      Ein konstanter Faktor von Platons Analyse des richtigen Handelns stellt weiterhin die Beschäftigung mit der praxisleitenden Vernunft dar, die er, wie gesagt, als entscheidend für die Bestimmung menschlicher Praxis ansieht. Im Phaidon wird diese Vernunft deutlich von den sekundären Ursachen für das menschliche Handeln abgehoben: Die Ursache dafür, dass Sokrates im Gefängnis sitzt, ist die durch Vernunft (nôi) begründete Meinung (doxa) der Athener, dass er sterben soll, bzw. seine eigene Meinung, dass es besser sei, das Urteil zu akzeptieren, als sich durch Flucht zu retten; die körperlichen Ursachen, die die Möglichkeit zur Ausführung dieser Ansichten geben, sind dem gegenüber sekundär (98b7–99b6; vgl. Politikos 281e 1–5). Auch noch in den späten Nomoi ist es die Vernunft, durch die jemand gut handelt, während das Fehlen vernünftiger Einsicht gleich zum schlechten Handeln führt (Nomoi 897b1–4). Im Hintergrund steht hier die Ansicht, dass der ganze Kosmos letztlich durch rationale Ursachen bestimmt wird, denen gegenüber auch die Wirkkraft der Gestirne sekundär ist (Nomoi 892b5–8).

      Es ist also durchaus korrekt zu behaupten, dass die Praxis bereits ein zentrales Thema von Platons Philosophie darstellt, zu dessen Erhellung viele in den Dialogen verhandelte Gegenstände beitragen. Tatsächlich sind diese Überlegungen in vielerlei Hinsicht, z.B. im Hinblick auf die Möglichkeit der Erlernbarkeit von Praxis, bis heute aufschlussreich, wobei den Hinweisen auf die Notwendigkeit eines Bemühens um ein objektiv gutes Handeln besondere Bedeutung zukommt. Gerade die Vielfalt der Ansätze führt andererseits dazu, dass eine geschlossene Praxistheorie bei Platon noch nicht zu finden ist, und zwar nicht zuletzt deswegen, weil er zu wichtigen Themen anscheinend keine abschließende Lösung erkennen kann. Das gilt insbesondere in der Frage nach dem Verhältnis von Glücksstreben und der Berücksichtigung objektiv geltender Normen, aber auch in der Frage, inwieweit ein Wissen allein, ohne Beteiligung anderer Seelenvermögen, ausreicht, um gute Praxis zu garantieren.

      |12|3. Die Praxis und ihre Realisierung durch Klugheit und Tugend in Aristoteles’ Handlungstheorie

      Eine Erklärung dieser Punkte in einer weitgehend kohärenten Theorie, in der auch die von Platon noch abgelehnte Unterscheidung von „Praxis“ und der sogenannten Poiēsis ihren Platz findet, kann als die Epoche machende Leistung des Aristoteles im Hinblick auf das Nachdenken über Praxis gelten.

      3.1. Die Entfaltung des Begriffs Praxis im Unterschied zum Hervorbringen (Poiēsis)

      Bei Praxis und Poiēsis handelt es sich für Aristoteles um zwei verschiedene Weisen menschlicher Aktivität. Den Unterschied beider macht er insbesondere an zwei Punkten fest:

      [1] Jede Fertigkeit (technē) bezieht sich auf die Entstehung sowie das Fertigmachen und Betrachten (technazein kai theōrein), wie etwas von dem entsteht, was es geben und nicht geben kann und das seinen Ursprung im Hervorbringenden, aber nicht im Hervorgebrachten hat. […] Weil aber das Hervorbringen (poiēsis) und die Praxis etwas Verschiedenes sind, muss sich eine Fertigkeit auf das Hervorbringen, aber nicht auf eine Praxis beziehen. […] Denn das Ziel des Hervorbringens ist gewiss etwas Verschiedenes, das der Praxis aber nicht. Denn die gute Praxis ist selbst das Ziel.

      [2] Deswegen glauben wir, dass Perikles und ähnliche Leute klug sind, weil sie das für sich und für die Menschen Gute betrachten (theōrein) können. […] Deswegen muss die Klugheit eine auf Praxis abzielende, mit Vernunft verbundene, in Bezug auf das Menschliche wahre Charakterhaltung sein.

      [3] Aber gewiss gibt es für eine Fertigkeit eine Tugend (aretē), für die Klugheit aber nicht. Und in einer Fertigkeit ist der vorzuziehen, der freiwillig einen Fehler macht, im Hinblick auf die Klugheit aber weniger, so wie auch im Hinblick auf die Tugend. (Nikomachische Ethik [NE] VI 4, 1140a10–14, 16f.; 5, 1140b6–10, 20–24)

      Der Kerngedanke dieser Stelle besteht in der Herausarbeitung von Praxis als einer spezifischen Weise des menschlichen Agierens: Neben der üblichen Weise der Aktivität, in der es uns darum geht, etwas zu produzieren oder zustande zu bringen, muss man eine Art von Aktivität annehmen, deren Ziel im guten Handeln selbst liegt.

      Zur

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