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Reichsstadt Memmingen im Jahre 1732 dar. Zwischen November 1731 und August 1732 waren etwa 20.000 Migranten aus dem Fürsterzbistum Salzburg in den verschiedenen Territorien des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation und einige bald auch in die britische Überseekolonie Georgia unterwegs. Den Anlass zu ihrer Migration bot der Ausweisungserlass des Landesherrn Leopold Anton von Firmian vom 31. Oktober 1731.

      Der seit 1727 regierende Fürsterzbischof war ein entschiedener Gegner des Protestantismus, der mit seiner Aktion zur Aufspürung und Missionierung der Geheimprotestanten in den Jahren von 1728 bis 1730 seine nicht katholischen Untertanen herausforderte. Als wegen dieser konfessionellen Bedrückung evangelisch-lutherische Familien auswandern wollten, aber dazu die Genehmigung nicht erhielten, wurde im Juni 1731 eine „Supplikation der Lutherischen Saltzburger Paurn“ im Namen von etwa 18.500 Personen an das Corpus Evangelicorum, die gemeinsame Körperschaft der lutherischen und reformierten Reichsstände im Heiligen Römischen Reich, geschickt. Darin baten die Bauern die Reichsstände um Hilfe bei der Durchsetzung ihrer Forderung, entweder ihre Religion frei ausüben oder frei auswandern zu dürfen. Das Corpus Evangelicorum nahm Verhandlungen mit den katholischen Reichsständen auf und verlangte, das Patent im Sinne der Beschlüsse der Westfälischen Friedensverträge von 1648 abzuändern; es war jedoch an Kompromissen und nicht an der Entfachung von konfessionellen Gegensätzen im Reich interessiert.

      Der Erzbischof, der die Ausweisung beschloss, hatte mit dem Emigrationspatent die formale reichsrechtliche Regelung des Friedens auf seiner Seite. Er konnte sich darauf beziehen, dass in seinem Land die katholische Konfession stets die einzig approbierte Religion war und auch im Sinne der sogenannten Normaljahrregelung des Friedens im Fall von Salzburg den Protestanten weder das Recht der öffentlichen noch der privaten Religionsausübung zustand. Und weil der Erzbischof die Geheimprotestanten deshalb nicht als religiöse Gemeinschaft, sondern als politische Rebellen betrachtete, räumte er ihnen auch nicht eine längere Abzugsfrist ein, die Auswanderern aus Glaubensgründen im Sinne des Westfälischen Friedens zustand, um ihr Hab und Gut veräußern zu können.

      Mit seinem Vorgehen löste Firmian diplomatische Querelen im Reich aus. Die ersten Vertriebenen, die zur Schicht des besitzlosen Gesindes gehörten, hatten ihre Heimat innerhalb einer Woche am 24. November 1731 bei Kälte und Schnee zu verlassen, und weil der Fürstenstaat mit Bayern im Vorfeld keine Gespräche über den Durchzug der Vertriebenen geführt hatte, mussten diese an der Grenze wochenlang warten. Auch war man nirgendwo auf ihren Empfang vorbereitet, sodass sie zunächst ziellos in Süddeutschland umherirrten. Bauern und Handwerker, denen wiederum eine Frist von bis zu drei Monaten eingeräumt wurde, konnten dagegen aufgrund des Einladungspatentes des preußischen Königs vom 2. Februar 1732 bereits in 16 geordneten Zügen direkt nach Preußisch-Litauen auswandern. Damit rettete Friedrich Wilhelm I. nicht nur die Emigranten vor dem Abgrund, sondern zugleich auch das Reich vor einer politischen Krise.

      Die Salzburger Emigranten zogen unter Jubel durch die protestantischen Städte und Gebiete in ihre neue Heimat, „worinnen Milch und Honig der Evangelischen Wahrheit fliesset“ – so der Untertitel des 1733 in Augsburg mit den bildlichen Darstellungen von Bäck erschienenen Buches. Die Vertriebenen wurden unterwegs von einer Welle der Hilfsbereitschaft getragen. Sie galten als Vorbilder für Glaubensfestigkeit, weshalb ihr Schicksal auch propagandistisch in zahlreichen Schriften, Flugblättern, Liedern und bildlichen Darstellungen benutzt wurde, um die Stimme gegen die Vertreibung aus religiösen Gründen zu erheben.

      Allerdings war die aufgrund religiöser Solidarität geleistete Hilfe für die Salzburger nicht mit einer allgemeinen Bereitschaft der protestantischen Fürsten gleichzusetzen, die vertriebenen Glaubensgenossen aufzunehmen. Besonders aufschlussreich ist die unterschiedliche Haltung von Brandenburg-Preußen und Württemberg. Der württembergische Herzog Eberhard Ludwig zeigte sich gegenüber den Vertriebenen restriktiv. Es wurde zwar bei der herzoglichen Regierung eine Deputation eigens für die Vertriebenen eingerichtet und die Beamten wurden angehalten, ihnen den Durchzug zu erleichtern. Doch dauerhaft aufgenommen werden sollten nur jene wenigen Migranten, bei denen ein besonderer ökonomischer Nutzen zu erwarten oder spezifische handwerkliche Fertigkeiten vorhanden waren. Andere sollten dazu bewogen werden, weiterzuziehen und das Land zu verlassen. Dagegen erklärte sich der preußische König bereit, die Mehrheit der Vertriebenen aufzunehmen, um seine unter Arbeitskräftemangel leidenden Gebiete in Preußisch-Litauen voranzubringen. Nicht die Solidarität mit den eigenen Glaubensgenossen, sondern eigene, ökonomische Anliegen standen in beiden Fällen an erster Stelle: in Württemberg der Blick auf die begrenzten eigenen Ressourcen, die keine Aufnahme von Einwanderergruppen ermöglichten, in Preußen die Unterbevölkerung des Landes, die eine solche Aufnahme erforderten.

      1.

      nach den Hintergründen und Bedingungen von Migrationsentscheidungen,

      2.

      den Mustern räumlicher Bewegungen zwischen Herkunfts- und Zielgebieten im Kontext der Wechselbeziehungen zwischen den beiden Räumen,

      3.

      den Netzwerken und Organisationen von Migrationen,

      4.

      den Erwartungen und Erfahrungen von Migranten,

      5.

      den Dimensionen, Formen und Folgen von Migrationen,

      6.

      den Lebensverhältnissen und Lebensverläufen von Migranten,

      7.

      der Identitätsbildung im Prozess von Migration und Integration,

      8.

      den Bemühungen und Einflussmöglichkeiten von Obrigkeiten, Staaten und Institutionen um Migration und Integration,

      9.

      der Wissensproduktion über Migration,

      10.

      der Genese von Migration

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