Скачать книгу

ambulanten Hilfen nicht mehr sichergestellt werden konnten. Die Erfahrungen und Erkenntnisse aus diesem Praktikum haben Laura in ihrem Wunsch, Soziale Arbeit zu studieren, bestärkt. Im Verlauf des ersten Semesters werden in einem Seminar die bisherigen Praxiserfahrungen der Studierenden thematisiert. Wie Laura waren viele der KommilitonInnen während des Vorpraktikums in der stationären Kinder- und Jugendhilfe tätig. Anhand der Berichte bemerkt Laura, dass es trotz ähnlicher Zielgruppen und Aufgaben Unterschiede bei der Gestaltung von zentralen Prozessen (=Schlüsselprozessen) wie Aufnahmeverfahren, Hilfeplanung und Elternarbeit gibt. So werden beispielsweise in der Praxisstelle von Laura, einer kleinen Organisation der Kinder- und Jugendhilfe, die neben einem großen ambulanten Bereich nur über zehn Plätze im stationären Bereich verfügt, die Anfragen zur Unterbringung eines jungen Menschen von den Fachkräften des Jugendamtes direkt an das Team der Wohngruppe gestellt. Die dort tätigen Fachkräfte koordinieren dann eigenverantwortlich den Termin mit der Familie zur Vorstellung der Wohngruppe, tauschen sich mit der Fachkraft des Jugendamtes aus und entscheiden schließlich über die mögliche Aufnahme. Bei ihrem Kommilitonen Frank, der sein Praktikum in einer großen Organisation der Kinder- und Jugendhilfe mit insgesamt 60 stationären Plätzen absolviert hat, stellen die Fachkräfte des Jugendamtes die Aufnahmeanfrage an die Leitung des stationären Bereichs. Diese übernimmt alle Absprachen mit der Familie, führt die Gespräche mit den Fachkräften des Jugendamtes und ist neben der Teamleitung und der zuständigen Psychologin maßgeblich an der Entscheidung über die mögliche Aufnahme in einer Gruppen der Organisation beteiligt.

      Der Aufbau und die Strukturen müssen zu den tatsächlichen Gegebenheiten passen. Im Idealfall sind der organisatorische Aufbau und die Ablaufstrukturen, beides Teilaspekte von Organisationsgestaltung, so aufgebaut, dass sie das methodisch-professionelle Handeln der Fachkräfte in der Praxis unterstützen und nicht behindern oder gar im Widerspruch dazu stehen.

      Organisationsgestaltung umfasst alle Prozesse und Maßnahmen zur systematischen Gestaltung der Strukturen, Abläufe und Prozesse in Organisationen.

      Es gilt jedoch nicht nur den Einfluss zu beachten, den die Organisation durch ihren Aufbau und ihre Struktur auf das Handeln der Fachkräfte haben kann. Es müssen auch der Zusammenhang von sozialpolitischen Aufträgen und konkretem Handeln in der Sozialen Arbeit und die daraus möglicherweise resultierenden Spannungsfelder reflektiert werden. Damit ist gemeint, dass sich sozialarbeiterisches Handeln nicht nur an den Bedürfnissen und Wünschen der jeweiligen Zielgruppe orientieren kann, sondern immer auch durch die sozialpolitisch an die Organisation gerichteten Aufträge sowie die daraus abgeleiteten organisationsbezogenen Aufträge und Ziele beeinflusst wird:

      „Soziale Arbeit kann nicht nur als individuell autonome professionelle Tätigkeit verstanden werden. Sie ist immer auf organisatorische, infrastrukturelle und sozialstaatliche wie auch ordnungspolitische Vorgaben angewiesen“ (Müller 2011, 144).

      Hilfeerbringung in der Sozialen Arbeit steht damit in einer bipolaren Spannung, dies wird auch als das doppelte Mandat der Sozialen Arbeit bezeichnet:

      „Der professionell Helfende arbeitet in der Regel in einer durch öffentliche Mittel finanzierten Institution. Diese erwartet von ihrem Mitarbeiter die Verwirklichung ihrer Zielvorstellungen, die teils ihrem Selbstverständnis, teils der öffentlichen, sozialpolitisch determinierten Beauftragung entsprechen. Gleichzeitig stehen professionell Helfende mit unverwechselbaren Menschen in Kontakt. Je nach Tätigkeitsfeld informieren, beraten, intervenieren, interagieren und erziehen sie. Der Nutzer erwartet, dass der Sozialarbeiter ihm hilft und ihn unterstützt, sein Leben zu führen. Die bipolare Spannung zwischen sozialstaatlicher Beauftragung und hilfebedürftigem Individuum lässt sich zunächst als doppeltes Mandat beschreiben. Der Helfende steht zwischen öffentlichem Auftrag und Klient“ (Maaser 2015, 97 f.).

      Mit dem doppelten Mandat sind auf vielen Ebenen Auswirkungen für das Handeln der Fachkräfte der Sozialen Arbeit verbunden. Diese Auswirkungen zeigen sich u. a. in den Organisationen der Sozialen Arbeit und spiegeln sich auch in der Organisation der jeweiligen Aufgaben wider.

      In der Kinder- und Jugendhilfe können sich die Auswirkungen des doppelten Mandates auf die Organisation der Aufgaben ganz besonders deutlich zeigen, wie die weiteren Praxiserfahrungen von Laura verdeutlichen: Nach drei Semestern Studium arbeitet Laura in ihrem studienintegrierten Praxissemester nun im Allgemeinen Sozialen Dienst, einer Fachabteilung eines Großstadtjugendamtes. Auch hier ist sie von der Vielfalt der Aufgaben und der damit für sie verbundenen Erfahrungen und Lernmöglichkeiten begeistert. Gleichzeitig jedoch bemerkt sie auch Unterschiede zu ihrem Vorpraktikum. In der Wohngruppe hat sich die Arbeit mit den untergebrachten Kindern und ihren Familien sehr konkret an den im Hilfeplan festgelegten Zielen orientiert. In der Arbeit des Jugendamtes nehmen im Rahmen der Hilfeplanung die Erfassung der Situation der Familie und ihres Anliegens, die Beratung über mögliche Unterstützungsleistungen und die Entscheidung darüber ebenfalls einen großen Raum ein. Auch spielt im Jugendamt die Prüfung von Kindeswohlgefährdungen insgesamt eine viel größere Rolle. Dabei kommt es zwischen den Familien und den Fachkräften des Jugendamtes immer wieder zu unterschiedlichen Einschätzungen. Darüber hinaus ist Soziale Arbeit in diesem Praxisfeld – gerade wenn es um die Hilfen zur Erziehung und den Kinderschutz geht – viel formalisierter und geregelter.

      Nach Böhnisch / Lösch (1973) wird das doppelte Mandat als zentrales Strukturmerkmal der Dienstleistungsfunktion der Fachkräfte der Sozialen Arbeit angesehen. Danach stehen die Fachkräfte der Sozialen Arbeit vor der Herausforderung,

      „ein stets gefährdetes Gleichgewicht zwischen den Rechtsansprüchen, Bedürfnissen und Interessen der Klienten einerseits und den jeweiligen sozialen Kontrollinteressen seitens öffentlicher Steuerungsagenturen andererseits aufrechtzuerhalten“ (Böhnisch / Lösch 1973, 28).

      Eine mögliche Auflösung dieser Bipolarität des doppelten Mandates besteht in der Bezugnahme und Orientierung auf ein drittes, professionsbezogenes Mandat, mit der Konsequenz, dass sich Soziale Arbeit dann durch ein Tripelmandat auszeichnet (Staub-Bernasconi 2018).

      Das Tripelmandat der Sozialen Arbeit ergänzt die beiden, oftmals gegensätzlichen Aufträge (= Mandate), die die Soziale Arbeit einerseits von ihren Zielgruppen und andererseits durch die sozialpolitischen Aufträge bekommt, durch ein weiteres Mandat. Das dritte Mandat ergänzt die Bipolarität des doppelten Mandates um eine professionsbezogene Perspektive, die den Fachkräften der Sozialen Arbeit gerade in den widerstreitenden Situationen des doppelten Mandates eine normative Handlungsorientierung ermöglicht. Dabei bezieht sich dieses dritte Mandat, je nach theoretischer Perspektive, insbesondere auf die Menschenrechte, auf die globale Definition der Sozialen Arbeit und auf ethische Perspektiven.

      Das Tripelmandat der Sozialen Arbeit und die damit verbundenen theoretischen Grundlagen und Fragestellungen werden in diesem Lehrbuch nicht weiter vertieft. Es gilt jedoch festzuhalten, dass das Handeln der Fachkräfte und damit die Hilfeerbringung generell – auch aus der Perspektive des Tripelmandats – immer auch unter dem Einfluss der jeweiligen sozialpolitischen Aufträge der Organisation stehen. Diese sozialpolitischen Aufträge führen wiederum zu Auswirkungen auf die Organisation der Arbeit. So haben insbesondere SozialarbeiterInnen, die in Behörden der Leistungsverwaltung tätig sind, die Aufgabe, die jeweiligen Lebenssituationen, Bedürfnisse und Ziele ihrer Zielgruppen zu verstehen, diese hinsichtlich möglicher Unterstützungsangebote zu beraten und im Sinne der bereits genannten Daseinsfürsorge auch darüber zu entscheiden, ob aus diesen Bedürfnissen ein normativer Bedarf und damit ein gesetzlicher Anspruch auf Leistungen der Sozialen Arbeit, wie beispielsweise Hilfen zur Erziehung, abzuleiten und zu gewähren ist.

      Gemäß Verwaltungsverfahrensrecht ist eine Behörde jede Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt (vgl. § 1 Abs. 1 VwVfG) und für die ordnungsgemäße Erfüllung der jeweiligen Aufgaben Sorge trägt, wie beispielsweise

Скачать книгу