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der Erziehung, Wissenschaft und Information sowie die Erschließung von Bildung und Kultur für alle Menschen. Seit Mitte der 1980er Jahre wendete sie sich behindertenpädagogischen Belangen zu. Sie hat Ende der 1980er Jahre eine Erhebung zur weltweiten Situation der Sonderpädagogik und eine internationale Umfrage zur behindertenpädagogischen Gesetzgebung in Auftrag gegeben,die 1994 auf ihrem Weltkongress in Salamanca vorgestellt wurde. Wichtige Impulse, vor allem für die schulische Integration, gingen von diesem Kongress aus.

      Mit Bürli lassen sich die internationalen Entwicklungen der vergangenen 30 Jahre folgendermaßen zusammenfassen:

      „In den 70er Jahren wurde das Behinderungskonzept durch die Umfelddimension erweitert. Durch die Forderung nach Einbezug der Umwelt wurde die Behindertenfrage zu einer politisch-gesellschaftlichen Aufgabe. Dies fand u.a. seinen Niederschlag im Jahr des Behinderten (1981) mit dem anschließenden weltweiten UN-Aktionsprogramm (1983), in der Dekade des Behinderten (1983–1992) und vor kurzem in der UN-Deklaration der Standardregeln über Chancengleichheit behinderter Personen (1993). Erstmals wurde Behindertenpolitik in drei Bereiche, nämlich Prävention, Rehabilitation und Chancengleichheit unterteilt und mit der Menschenrechtsfrage in Verbindung gebracht … Im Anschluss an die verschiedenen Deklarationen und Aktionen zugunsten behinderter Menschen haben zahlreiche Staaten Gesetze und Richtlinien erlassen“ (1997, 48f).

      Im Mai 2007 haben die Vereinten Nationen (UN) in New York die „Konvention zum Schutz der Rechte behinderter Menschen“ verabschiedet. Sie setzt sich für eine stärkere Integration von Menschen mit Behinderung in allen Lebensbereichen ein. Die Unterzeichnerstaaten, zu denen seit Dezember 2008 auch Deutschland gehört, verpflichten sich, die Vorgaben der Konvention in nationales Recht umzusetzen (Kap. 2.6).

      Subjekt der Pädagogik ist der zu erziehende Mensch. Subjekt der Geistigbehindertenpädagogik ist der Mensch mit geistiger Behinderung. Seine Funktionsstörungen haben Auswirkungen auf seine Entwicklung, auf sein ganzes Leben. Der Schweregrad der Auswirkungen bzw. Beeinträchtigungen ist bei jedem Menschen anders. Zum einen gibt es unterschiedliche Formen von Funktionsstörungen, zum anderen reagieren der Mensch und sein Umfeld, z.B. seine Familie, individuell verschieden auf die Störungen. Das heißt, der Mensch mit geistiger Behinderung muss immer auch aus dem Kontext seiner sozialen Umgebung heraus betrachtet werden.

      Gegenstand von Pädagogik ist also nicht nur der zu erziehende Mensch, sondern ebenso die Gesellschaft mit ihren Erwartungen an ihn. Die Gesellschaft legt Normen und Werte, z. B. Gesundheit, Produktivität, Leistungsfähigkeit, Interaktionsfähigkeit, Teilhabe und Mitgestaltung des kulturellen und gesellschaftlichen Lebens und vieles mehr fest. Dies sind Werte, die das familiäre wie das außer-der Geistigbehinfamiliäre Zusammenleben in all seinen Bereichen prägen. Die Pädagogik ist mit dertenpädagogikihren Erziehungs- und Bildungszielen daran interessiert, dass diese Normen und Werte vermittelt werden.

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      Abb. 4: Brückenfunktion der Geistigbehindertenpädagogik

      Es ist unbestritten, dass die Gruppe der Menschen mit geistiger Behinderung eine gesellschaftliche Randgruppe ist. Zwischen Menschen mit geistiger Behinderung und nichtbehinderten Menschen besteht eine Kluft, die überwunden werden muss.

      Die Hauptaufgabe der Geistigbehindertenpädagogik ist es nun, zwischen dem Individuum, dem behinderten Menschen mit all seinen Schwierigkeiten und Fähigkeiten auf der einen Seite und den gesellschaftlichen Erwartungen und Anforderungen auf der anderen Seite zu vermitteln. Die Geistigbehindertenpädagogik nimmt also eine Brückenfunktion ein. Sie will verbinden, Gräben überwinden, den Anschluss halten, den gegenseitigen Austausch sicherstellen und damit gemeinsame Entwicklungen gewährleisten. Sie strebt die Inklusion an. Die Brücke wird von der interdisziplinären Behindertenhilfe gestützt. Gleichzeitig wird die allgemeine Betreuung und Versorgung von Menschen mit geistiger Behinderung von der Geistigbehindertenpädagogik beeinflusst (siehe Abb. 4).

      Um Antworten auf die Fülle der behindertenrelevanten Fragen geben zu können und Lösungen für individuelle Probleme zu finden, ist die Geistigbehindertenpädagogik auf den Dialog mit anderen Wissenschaften angewiesen.

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      Abb. 5: Geistigbehindertenpädagogik im Dialog mit anderen Wissenschaften

      Medizin

      Die Medizin mit ihren verschiedenen Teilgebieten (Pädiatrie, Neurologie, Neurophysiologie, Orthopädie, Psychiatrie u.a. ), Institutionen und Fachkräften gibt Antworten auf behindertenspezifische medizinische Fragen, z.B. Ursachen von Hirnschädigungen und ihre Folgen. Sie ist des Weiteren verantwortlich für die Diagnose von Behinderungen und deren Therapie, die Verordnung von Medikamenten und Hilfsmitteln, von erforderlicher Physio- oder Psychotherapie. Sie erforscht neue Krankheitsbilder, die zu geistiger Behinderung führen, und entwickelt notwendige Behandlungsmethoden.

      Psychologie

      Die Psychologie erklärt innerpsychische und zwischenmenschliche Prozesse. Sie fragt nach Wahrnehmung, Denken und Handeln des Menschen, nach seinen Emotionen und Stimmungen, und diagnostiziert Störungen in diesen Bereichen. So thematisiert sie den Zusammenhang von geistiger Behinderung und psychischen Erkrankungen, entwickelt Therapien, z.B. zur Behebung von Lern- und Entwicklungsstörungen, oder beschäftigt sich mit der Rolle der Eltern und der professionellen Helfer und vieles andere mehr.

      Soziologie

      In der Soziologie steht der wechselseitige Zusammenhang von geistiger Behinderung und Gesellschaft im Vordergrund, vor allem die gesellschaftliche Einstellung zu Menschen mit geistiger Behinderung. Behinderungsrelevante Themen der Soziologie sind z. B. Integration, das Problem der Stigmatisierung, der Institutionalisierung, gesellschaftliche Rollen und Veränderungsprozesse u.a. m.

      Philosophie

      Die Philosophie betrachtet die Bedeutung des Behindert-Seins unter ethischen Aspekten. Sie stellt in diesem Zusammenhang existenzielle Fragen wie etwa nach dem Sinn und Wert des Lebens. Sie erörtert moralische Fragen von Erziehung und beteiligt sich an der anthropologischen Grundlegung der Allgemeinen Pädagogik, der Sonder- und Integrationspädagogik. Zudem liefert die Philosophie erkenntnistheoretische Grundlagen zur Begründung der Geistigbehindertenpädagogik als Wissenschaft.

      Rechtswissenschaften

      Die Rechtswissenschaften befassen sich mit der gesetzlichen und rechtlichen Situation der Menschen mit geistiger Behinderung, d.h. vor allem mit Gesetzen, Rechten, Pflichten und Regeln zum Schutz und zur Fürsorge für Menschen mit Behinderungen in unserer Gesellschaft. Dazu gehören auch Fragen der gesetzlichen Betreuung.

      Neurowissenschaften

      Neurowissenschaftliche Erkenntnisse sind für die Geistigbehindertenpädagogik insofern von Bedeutung, als sie zu klären versuchen, wie sich bei Kindern neue Denk- und Interaktionsstrukturen entwickeln (Zimpel 2008). Neurobiologische Forschungsbefunde werden heute genutzt, um sie auf Lehr- und Lernprozesse im Sinne einer Neurodidaktik zu übertragen (Münch 2008).

      Allgemeine Pädagogik

      Die Allgemeine Pädagogik ist eng mit der Geistigbehindertenpädagogik verknüpft, weil beide zum Bereich der Erziehungs- und Bildungswissenschaft gehören. Ihre Theorien und Konzeptentwürfe sind nicht nur in der Integrationsdiskussion von Bedeutung. Nach einer Zeit der Abgrenzung voneinander ist seit den 1990er Jahren eine starke Annäherung und eine Rückbesinnung auf gemeinsame Wurzeln zu beobachten. Weil Menschen mit geistiger Behinderung allgemeine Erziehungs- und Bildungsnormen nicht erfüllen können, verwirklicht die Geistigbehindertenpädagogik mit ihren Konzeptentwicklungen eine basale Form von Erziehung. Durch ihr stärkeres Hinterfragen gebräuchlicher oder vertrauter Erziehungsmethoden und durch ihre Elementarisierung von Lehr- und Lernprozessen stellt sie die Pädagogik gleichsam auf ein breiteres Fundament. Das heißt, sie gibt den anderen heilpädagogischen Fachrichtungen und der Allgemeinen Pädagogik

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