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partizipiert. In der griechisch-römischen Antike wurden auf den Gebieten der Religion, Philosophie, Kunst, Politik und Naturwissenschaften ebenso Sinnbildungsleistungen erbracht wie in der Gegenwart. Das Leben ist immer eine Sinnverwirklichung, so dass es nicht um die Frage geht, ob Menschen Sinnbildungen vornehmen, sondern welche Ressourcen, Struktur, Qualität und argumentative Kraft sie aufweisen.

      Für eine ntl. Theologie ist der Sinnbegriff von großer Bedeutung, denn er vermag Göttliches und Menschliches miteinander zu verbinden, indem er die Sinnstiftung Gottes in Jesus Christus und ihre Bezeugung in den Schriften des Neuen Testaments gleichermaßen erfasst. Das Neue Testament als Basisurkunde des Christentums ist eine Sinnbildung mit einer außergewöhnlichen Wirkungsgeschichte. Das frühe Christentum entfaltete sich in einem multi-kulturellen Umfeld mit zahlreichen attraktiven religiösen und philosophischen Konkurrenzsystemen4. Es gelang ihm, auf dem Fundament der im Neuen Testament vielfältig erzählten Jesus-Christus-Geschichte ein Sinngebäude zu entwerfen, zu bewohnen und ständig auszubauen, das menschliches Leben im Ganzen zu gründen, zu festigen und zu strukturieren vermochte. Dieses Sinngebäude verfügte offenbar über eine große Deutungskraft und es muss das Ziel einer Theologie des Neuen Testaments sein, die Grund-Elemente dieser Deutungskraft zu ermitteln und darzustellen. Die Sinn-Kategorie als hermeneutische Konstante verhindert dabei eine Verengung auf historistische Faktenfragen, denn es kommt darauf an, wie die ntl. Überlieferungen historisch angeeignet und theologisch erschlossen werden können, ohne ihren religiösen Gehalt und ihre sinnbildende Kraft zu zerstören. Auf die Wahrheitsfrage wird dabei nicht verzichtet, denn Wahrheit ist verbindlicher Sinn. Ziel ist nicht ein entkerntes christliches Haus, sondern die Erfassung seiner Architektur, der tragenden Decken und Wände, der Türen und Treppen, die Verbindungen schaffen und der Fenster, die Ausblicke ermöglichen. Zugleich eröffnet die Sinn-Kategorie der Theologie als einer führenden Sinnwissenschaft die Möglichkeit, auf der Basis ihrer maßgeblichen Überlieferung mit anderen Sinnwissenschaften in einen kritischen Diskurs zu treten.

      Jesus von Nazareth ist eine Gestalt der Geschichte und das Neue Testament ein Zeugnis der Wirkungsgeschichte dieser Person. Wenn auf einer solchen Basis mit 2000 Jahren Abstand eine Theologie des Neuen Testaments geschrieben wird, zeigen sich unausweichlich die Grundprobleme historischen Fragens und Erkennens. Wie entsteht Geschichte/Historie5? Was passiert, wenn in der Gegenwart ein Dokument der Vergangenheit mit einem Zukunftsanspruch interpretiert wird? Wie verhalten sich historische Nachrichten und ihre Einordnung in den gegenwärtigen Verstehenszusammenhang des Historikers/Exegeten zueinander6?

      Interesse und Erkenntnis

      Das klassische Ideal des Historismus, nur zu zeigen, wie es eigentlich gewesen7 ist, erwies sich in mehrfacher Hinsicht als ideologisches Postulat8. Die Gegenwart verliert mit ihrem Übergang in die Vergangenheit unwiderruflich ihren Realitätscharakter. Schon deshalb ist es nicht möglich, das Vergangene ungebrochen gegenwärtig zu machen. Der Zeitabstand bedeutet Abständigkeit in jeder Hinsicht, er verwehrt historisches Erkennen im Sinne einer umfassenden Wiederherstellung dessen, was geschehen ist9. Vielmehr kann man nur seine eigene Auffassung von der Vergangenheit in der Gegenwart kundtun. Vergangenheit begegnet uns ausschließlich im Modus der Gegenwart, hier wiederum in interpretierter und selektierter Form. Relevant von der Vergangenheit ist nur das, was nicht mehr Vergangenheit ist, sondern in die gegenwärtige Weltgestaltung und Weltdeutung einfließt10. Die eigentliche Zeitstufe des Historikers/Exegeten ist immer die Gegenwart11, in die er unentrinnbar verwoben ist und deren kulturelle Standards das Verstehen des gegenwärtig Vergangenen entscheidend prägen. Die Sozialisation des Historikers/Exegeten, seine Traditionen, sein geographischer Lebensort, seine politischen und religiösen Werteinstellungen prägen notwendig das, was er in der Gegenwart über die Vergangenheit sagt12. Jeder Mensch hat und pflegt Denkgläubigkeiten. In jedes Bild der Welt, das ich mir mache, ist ein Bild meiner selbst eingezeichnet! Zudem sind auch die Verstehensbedingungen selbst, speziell die Vernunft und der jeweilige Kontext, einem Wandlungsprozess unterworfen, insofern die jeweilige geistesgeschichtliche Epoche und die sich not-wendigerweise ständig wandelnden erkenntnisleitenden Absichten das historische Erkennen bestimmen. Jede wissenschaftliche Disziplin führt apriorische Axiome mit sich, die historisch entstanden sind. Geschichtsschreibung ist deshalb nie ein pures Abbild des Gewesenen, sondern hat selbst eine Geschichte, nämlich die Geschichte des Schreibenden. Die Einsicht in die Geschichtlichkeit des Erkenntnissubjektes fordert eine Reflexion über seine Rolle im Erkenntnisprozess, denn das Subjekt steht nicht über der Geschichte, sondern ist ganz und gar in sie verwickelt. Deshalb ist ‚Objektivität‘ als Gegenbegriff zu ‚Subjektivität‘ völlig ungeeignet, um historisches Verstehen zu beschreiben13. Dieser Begriff dient vielmehr als literarische Strategie nur dazu, die eigene Position als positiv und wertneutral zu deklarieren, um so andere Auffassungen als subjektiv und ideologisch zu diskreditieren. Das Erkenntnisobjekt kann nicht vom erkennenden Subjekt getrennt werden, denn das Erkennen verändert immer auch das Objekt. Das im Erkenntnisvorgang gewonnene Bewusstsein von Realität und die vergangene Realität verhalten sich nicht wie Original und Abdruck14. Deshalb sollte nicht von ‚Objektivität‘, sondern von ‚Angemessenheit‘ oder ‚Plausibilität‘ historischer Argumente gesprochen werden15. Schließlich sind jene Nachrichten, die als historische ‚Fakten‘ in jede historische Argumentation einfließen, in der Regel auch schon Deutungen vergangenen Geschehens. Bereits mit Sinn Versehenes wird notwendigerweise einer weiteren Sinnbildung unterzogen, um so Geschichte zu bleiben. Nicht das wirklich vollzogene Geschehen ‚an sich‘ ist uns zugänglich, sondern nur die je nach Standort der Interpreten verschiedenen Deutungen16 vergangener Ereignisse. Erst durch unsere Zuschreibung werden die Dinge zu dem, was sie für uns sind. Geschichte wird nicht rekonstruiert, sondern unausweichlich und notwendigerweise konstruiert. Das verbreitete Bewusstsein, die Dinge nur ‚nachzuzeichnen‘ oder zu ‚re-konstruieren‘ suggeriert eine Kenntnis des Ursprünglichen, die es in der vorausgesetzten Art und Weise nicht gibt. Geschichte ist auch nicht einfach identisch mit Vergangenheit, vielmehr immer nur eine gegenwärtige Stellungnahme, wie man Vergangenes sehen könnte. Deshalb gibt es keine ‚Fakten‘ im ‚objektiven‘ Sinn, sondern innerhalb historischer Konstruktionen bauen Deutungen auf Deutungen auf. Es gilt: „es wird Geschichte, aber es ist nicht Geschichte.“17

      Das Vorgegebene

      Zugleich gilt aber: Der Bezug auf das Geschehene wird damit keinesfalls aufgegeben, sondern die Bedingungen seiner Realisierung werden reflektiert. Nicht die Welt und das Leben sind eine Konstruktion, wohl aber unsere Anschauungen über sie. Es geht nicht um die Entlarvung, sondern um die Beschreibung der Grundstruktur von Wirklichkeit. Konstruktion meint nicht etwas Willkürliches oder aus sich selbst Begründbares, sondern ist an Methoden und Realitätsvorgaben gebunden. Die Sachgehalte von Quellen müssen in einen sinn- und bedeutungsvollen Zusammenhang gebracht werden und innerhalb des wissenschaftlichen Diskurses diskutier- und rezipierbar bleiben18. Alle menschlichen Aussagen sind immer eingebunden in vorgegebene allgemeine Wirklichkeits- und Zeitvorstellungen19, ohne die Konstruktion und Kommunikation nicht möglich sind. Es gibt zweifellos eine Realität, die vor, neben und nach, vor allem aber unabhängig von unserer Wahrnehmung und Beschreibung existiert. Einem Stück Papier einen Wert als Geld zuzuerkennen, ist eine Handlung, bei der wir durch Zuschreibung erst Wirklichkeit stiften, während das Licht auch dann scheint, wenn man sich nicht darüber verständigt. Jeder Mensch ist genetisch vor-konstruiert und ständig sozial-kulturell ko-konstruiert. Reflexion und Konstruktion sind immer nachfolgende Akte, die sich auf etwas Vorgegebenes beziehen, so dass jede Form von Selbstgewissheit nicht in sich selbst ruht, sondern jeweils den Bezug auf etwas Vorausliegendes benötigt, das es begründet und ermöglicht. Schon die Tatsache, dass die Frage nach Sinn möglich ist und Sinn gewonnen werden kann, verweist auf eine „unvordenkliche Wirklichkeit“20, die allem Sein vorausgeht und ihm den Wirklichkeitsstatus verleiht. Grundsätzlich gilt: Geschichte entsteht erst, nachdem das ihr zugrunde liegende Geschehen erfolgt ist und in den Status gegenwartsrelevanter Vergangenheit erhoben wurde, so dass notwendigerweise Geschichte nicht denselben Realitätsanspruch erheben kann wie die ihr zugrunde liegenden Ereignisse.

      Sprache

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