Скачать книгу

es die Familie Pasolini zu beträchtlichem Wohlstand. Der Vater erwarb mehrere Grundstücke auf der Insel und baute das Geschäft aus. Ohne weiteres hätte er sich das Honigmonopol für ganz Elba sichern können, hätte eine Lähmung ihn nicht zwei Jahre lang ans Bett gefesselt, die schließlich zu seinem Tode geführt hat.

      Der Lebensweg von Andrea Pasolini blieb mit den Bienen verbunden. Zwischen zwei Schwestern geboren, war er ein stiller Junge, ein unermüdlicher Beobachter, der in Gedanken immer anderswo zu sein schien. Seine Neugierde, was es wohl mit dem Summen im Bienenstock auf sich hatte, verflüchtigte sich bald wieder. Nun faszinierten ihn die Lektionen und Geschichten des Dorfpfarrers und die seltsamen Worte aus dessen Mund. Und Padre Anselmo, der in den wachen Augen des Jungen das Aufschimmern einer außergewöhnlichen Intelligenz erkannte, machte ihn mit zwölf Jahren zu seinem Schüler. Wer weiß, wohin Andrea Pasolini es noch gebracht hätte, wenn ihm durch den Tod des Vaters nicht das Schicksal eines Imker beschert worden wäre.

      Die sieben Jahre, die er unter der Obhut von Padre Anselmo verbrachte, sollten reiche Früchte tragen. Der Pfarrer lehrte ihn Latein und Griechisch. Und er lernte das Französische, zumindest das schriftliche, das als die kultiviertere Sprache vor dem Italienischen galt, welches auf der Insel mit toskanischem Akzent gesprochen wurde. Padre Anselmo war kein gewöhnlicher Priester. Seine Lektüren hätten jeden Provinzkaplan empört.

      Wie unser Kaiser heute, war auch der Priester nach Elba verbannt worden; sein übermäßiger Wissens- und Tatendrang hatte den Bischof veranlasst, ihn aus der Diözese von Siena zu entfernen. Dank ihm lernte Pasolini die römischen und griechischen Klassiker lieben. Er las Apuleius und Platon, Terenz und Aristoteles. Von Voltaire und Diderot war er überwältigt; er gab sich den scharfsinnigen Gedankengängen von Montaigne und den befreienden Ideen Rousseaus hin; er ließ sich von der maßvollen Ekstase Pascals rühren. Er verschlang die Bücher, in fiebriger Begeisterung.

      Eine Nachbarin wusste zu berichten, dass es ihm mit achtzehn Jahren offenbar größte Befriedigung bereitete, sich einen ganzen Tag lang vom Hof davonzustehlen. Ein Bündel mit Büchern auf dem Rücken machte er sich auf den Weg zur höchsten Erhebung der Insel, den Monte Capanne, und las dort stundenlang, an den Stamm eines Feigenbaums gelehnt, über den die Ameisen krabbelten.

      Manchmal überraschte ihn die Nacht, dann musste er in einer Höhle schlafen. Von diesen Ausflügen kehrte er mit entrücktem Blick und einem Tick um die Lippen zurück, über die unablässig auf Französisch und Latein gemurmelte Sätze kamen.

      Der Bericht endet mit einer Statistik über die Honigproduktion auf dem Hof von Pasolini im Vergleich mit der seiner Konkurrenten auf der Insel.

      Bonaparte aber weiß nicht, dass der heutige Imker seinerzeit, als sein Vater sich noch um die Bienen kümmerte und er selbst ganz in seinen Studien aufging, das Schreiben für sich entdeckt hatte. Anfangs kopierte er Abschnitte aus Büchern, später schrieb er sie aus dem Gedächtnis nach, variierte dabei gewisse Formulierungen und fügte eigene Beispiele hinzu. Bis er zu einem eigenen und eigenwilligen, lebendigen Stil fand. Im Alter von etwa dreiundzwanzig schrieb er – unter der Last der ihm zugefallenen neuen Verpflichtungen und weil seine Zeit tagsüber äußerst knapp bemessen war – des Nachts kurz und pointiert nach Art von La Rochefoucauld. Seine Schreibweise blieb unmittelbar und modern, neigte kaum zur Rhetorik, was ein Verdienst war, wenn man bedenkt, dass seine Bildung von der Kanzel kam.

      Er schrieb über das, was er erlebte und was er empfand, aber auch darüber, was andere erlebten und was diese vermeintlich empfanden: Nur im Spiegel der Anderen, so glaubte er, drückt sich das eigene Leben in der Welt aus. Mit der Zeit machten die verdichteten Beobachtungen dessen, was anderen Menschen widerfuhr, Platz für ebenso dichte Beobachtungen dessen, was mit seinen Bienen geschah. Sie und ihr geschäftiges Treiben zogen seinen aphoristischen Eifer auf sich, bis sie fast zum Mittelpunkt seiner Betrachtungen wurden.

      Blättert man zum Beispiel Pasolinis Hefte von 1805 durch und vergleicht sie mit denen von 1790, fällt auf, dass der zuvor weitschweifige und emphatische Schreibstil an Überhang verliert: die Wörter werden kürzer, die Sätze sind gewollt knapp gehalten. Und insbesondere in den Heften nach 1812 finden sich zuweilen ganze Seiten voll rätselhafter Sätze mit unbekanntem Subjekt, wie diese hier:

      Sie kommen und gehen, verweigern sich der Erfahrung des allgegenwärtigen Schreckens. In den Momenten ohne Zeit kennen sie kein Erbarmen. Halten sich für einzigartig und unsterblich. Der Genuss schmerzt sie. Sie übertreiben. Saugen.

       4

      Wenn Andrea Pasolini auch ein Eigenbrötler und Einzelgänger ist, bemüht er sich doch, dem Ruf eines Sonderlings, der unweigerlich die Aufmerksamkeit der Leute auf sich zieht, nicht noch mehr Nahrung zu geben.

      In seinem Bestreben, nicht aufzufallen, hat er getan, was von ihm erwartet wurde; anders gesagt, das Mindestmaß, das von ihm erwartet wurde. Er hat geheiratet und Kinder bekommen. Und er hat den geerbten Gutshof erhalten, ohne jeden Ehrgeiz, ihn weiter auszubauen. Der Honigherstellung widmet er sich mit geringem Elan und voller Skepsis; er hat die unumgänglichen Veränderungen im Blick, jedoch ohne jeglichen kaufmännischen Biss. Während andere danach trachten, Märkte zu erweitern und neue Produkte anzubieten, hält er sich an die Methoden seines Vaters, weniger aus Verbundenheit mit der Tradition denn aus Trägheit. Das unternehmerische Fieber, das manch andere Imker erfasst, erscheint ihm ordinär und sinnlos. Seit mehreren Jahren hat er eine Geliebte in Grosseto, wohin seine Geschäfte ihn mindestens einmal pro Monat führen. Dort versorgt ein Buchhändler ihn mit seinem wahren Lebenselixir.

      Pasolini liest und schreibt in der Nacht. Seine Bücher und Hefte verwahrt er in einem Kellerraum, zu dem nur er den Schlüssel besitzt. Im Lauf der Jahre hat er diesen Raum weiter ausgeschachtet, um Platz für immer neue Bücher und Flugschriften zu schaffen, da die vorhandenen das Gewölbe schon bis zum Rand füllten. Niemand weiß um die Existenz seiner geheimen Bibliothek.

      Seine Obsession, sich unsichtbar zu machen, könnte man für ein wenig wunderlich halten. Wenn seine Frau ihn an manchen Abenden, die Nase dicht an die Kerze gedrückt, beim Lesen ertappt, behauptet er, er könne nicht schlafen und habe die Psalmen an einer zufälligen Stelle aufgeschlagen, um wieder in den Schlaf zu finden. Nichts im Haus kann ihn verraten. Dem Anschein nach gibt es dort alles, was sich in jeder anderen elbanischen Wohnstätte ebenfalls antreffen lässt, zusätzlich aber noch einige wenige lateinische Bände, aneinandergereiht auf einem Regalbrett in der Schlafkammer, welche ihm sein Mentor, der Pfarrer, anvertraut hatte, bevor er die Insel verließ.

      Der Imker spricht wenig. Seine Frau klagt, man müsse ihm jedes Wort aus der Nase ziehen. In seiner Jugend dagegen führte er angeregte Gespräche mit seinem Lehrer, und einige der Floskeln von damals sind bei ihm hängen geblieben, wie auch ein gewisser Tonfall zwischen persuasorisch und mahnend. Bei seinen Ausflügen auf den Monte Capanne hatte er Gefallen daran gefunden, seine Lieblingsverse auswendig zu lernen und sie laut zu deklamieren. Heute spricht er nur mehr noch das Nötigste und beendet seine Sätze nur selten. Es gibt da einen Punkt, an dem er ihrer müde wird, als merkte er mit einem Mal, dass sie keinen Sinn ergeben. Gelegentlich hat seine Stimme dann einen hohlen Nachhall und klingt wie das Geplapper eines Bauchredners.

      Eines Bauchredners, der um die geheime Beziehung zwischen Bonaparte und den Bienen weiß, seit ihm einmal die Chronik der Schlacht bei Marengo aus der Feder eines unbekannten Dragonerhauptmanns in die Hände gefallen ist. Darin steht, dass Napoleon seine Generäle überraschte, als er einen am Vorabend befohlenen Angriff wieder abblasen ließ, nachdem er im ersten Morgenlicht einen riesigen, vom Ast einer Eiche hängenden Bienenschwarm eingehend beobachtet hatte.

       5

      Vor drei Monaten ist der Korse auf Elba eingetroffen. Noch bevor er an Land ging, wurde auf dem höchsten Punkt der Festungsanlage die Fahne gehisst, die er auf der Überfahrt von Marseille her selbst entworfen hatte. Ein roter Streifen durchschneidet diagonal von links oben den weißen Grund. Darauf sind drei goldene Bienen gestickt.

      Seit der Ankündigung der baldigen Ankunft des Kaisers ist die Insel in Aufruhr. Die Elbaner sind

Скачать книгу