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auch dessen Verhandlungen mit der Gegenseite gehen weiter. Trotzdem setzen jetzt die Kriegshandlungen ein. Das Heer der Liga, obwohl noch ohne die sehnlichst erwarteten Schweizer Söldner – das militärische Zünglein an der Waage in den Kriegen dieser Zeit –, beginnt seine Operationen in der Lombardei, wo es Lodi erobert. Der Befehlshaber des venezianischen Aufgebots und zugleich de facto Oberkommandierender der gesamten Armee ist ein alter Bekannter der Medici: Francesco Maria della Rovere, Herzog von Urbino. Ihn hatte Clemens’Vetter, Papst Leo X., 1516 in einem selbst nach den moralischen Maßstäben der Zeit schmutzigen Krieg aus seinem Herzogtum vertrieben, um dort einen Nepoten einzusetzen. Francesco Maria hatte zwar nach dem Tod Leos seinen Staat zurückgewonnen, doch unter Verlust einiger Gebiete, die an Florenz gefallen waren. Mit Clemens VII. war also eine Rechnung offen. Dementsprechend führt der Herzog jetzt und in der Folgezeit einen seltsamen Krieg. Vollmundige Verlautbarungen unmittelbar bevorstehender Triumphe kontrastieren mit Ausweichmanövern und Rückzügen allerorten. Dabei beruft er sich nicht minder hochtönend auf die spezifisch italienische Militärtradition: ragione, also Vernunft, nicht ferocia, Wildheit nach barbarischem Muster, sei der Garant des Erfolges. So zögerlich wie ihn aber hat man die hoch gerühmten gentleman-condottieri der Vergangenheit nie agieren sehen. Obwohl andauernd frisch angeworbene Schweizer ins Lager strömen, traut sich der Herzog erst sehr spät, die Belagerung von Mailand zu beginnen. Kurz zuvor trifft dort der Konnetabel von Bourbon mit spanischen Söldnern ein.

      Auch er ist ein Heerführer der besonderen Art. Er hat die uralte Bindung seines Hauses an die Krone von Frankreich zerrissen und ist zum Kaiser übergelaufen; diesen Verrat bezahlt er mit der Verachtung seiner Standesgenossen in ganz Europa. Die kaiserlichen Soldaten in Mailand sind weniger empfindlich. Obwohl ihr Aufgebot dem der Liga weiterhin zahlenmäßig unterlegen ist, hebt dieser Zuzug die Stimmung in der belagerten Metropole. Und als die Verteidiger am Morgen des 8. Juli 1526 über die Mauern lugen, trauen sie ihren Augen nicht: Wo bitte sind die Feinde? Der Herzog hat den Abzug in angeblich sicherere Positionen, einige Meilen von der gemarterten Stadt entfernt, befohlen; seine wenig erfahrenen italienischen Fußsoldaten seien der Kampfkraft der spanischen Veteranen nicht gewachsen. Dabei hatten Scharmützel des Vortags genau das Gegenteil erwiesen. Della Roveres Offiziere sind ebenso rat- wie machtlos gegen diesen merkwürdigen Entschluss. Guicciardini schüttet klassischen Hohn aus: veni, vidi, fugi, dieser Anti-Cäsar kam, sah und floh.

      Während im Norden eine Kriegskomödie zu seinem Nachteil aufgeführt wird, verhandelt Clemens VII. in Rom unverdrossen hinter dem Rücken seiner Alliierten, um sie zu möglichst günstigen Konditionen im Stich zu lassen. Und zu allem Überfluss lässt er sich darauf ein, einen Regimewechsel in Siena herbeizuführen, zum Nutzen und Frommen von Florenz und der Medici, die sich eine gefügige südliche Nachbarstadt wünschen. Dilettantisch eingefädelt, schlägt der Coup fehl, und das, obwohl die Republik Siena für ihre zermürbenden Konflikte zwischen rivalisierenden Interessengruppen berüchtigt ist, fremde Mächte also gute Interventionschancen haben. Unterdessen haben auch die Verteidiger des Mailänder Kastells die Waffen gestreckt. Francesco Sforza ist in den Händen seiner potentiellen Ankläger, was zu verhindern ein Hauptziel der Liga von Cognac gewesen war. Jetzt, da in Mailand alles verloren ist, zieht der Herzog von Urbino wieder vor die Mauern der Stadt; irgendwie muss man die vielen tausend Soldaten ja beschäftigen. Spektakuläre Aktionen aber bleiben weiterhin aus.

      So viele Misserfolge rufen unweigerlich die inneren Gegner des Papsttums auf den Plan, die endlich die Stunde der Abrechnung herannahen sehen. Besonders kühne Pläne hegt die führende Baronalfamilie der Colonna, die seit alters Dutzende von castelli, Bergdörfern, in der römischen Umgebung und bis ins Königreich Neapel hinein beherrscht. Die Colonna wittern die Gelegenheit, ihre seit den Zeiten Alexanders VI. stetig verringerte Macht in alter Herrlichkeit zurückzugewinnen. Und sie brennen darauf, den verhassten Pontifex, der ihren chronisch oppositionellen Kardinal Pompeio aus dem Senat der Kirche ausgeschlossen hat, in seinem ureigenen Lebensraum zutiefst zu demütigen. An dieser zweiten Front stellt sich ein ungerufener Friedensstifter ein: Ugo de Moncada, seines Zeichens Vizekönig von Sizilien und laut Guicciardini einer der vielen düsteren Protagonisten, welche die schattenreiche diplomatische Bühne der Zeit bevölkern. Dementsprechend werden die Unterhandlungen zwischen Clemens und Don Ugo zu einem Paradestück der Doppelzüngigkeit. Der Papst nämlich plant, mit eigenen Truppen und seinen Verbündeten die spanische Herrschaft in Neapel zu stürzen. Und der Vizekönig hegt die Absicht, den ziellos hin und her schwankenden Pontifex mit Versöhnungsangeboten des Kaisers und der Colonna, dessen fünfter Kolonne in Rom, vollends zu desorientieren. Das gelingt in der Tat aufs beste, denn wieder einmal ist Clemens für die Täuschungsmanöver der Gegenseite blind. Er glaubt weiterhin, die Situation im Griff zu haben – und täuscht sich entsetzlich.

      So ermahnt er in herrischen Tönen den König von Frankreich, endlich mehr Initiative zu zeigen und am besten Mailand, Genua und Neapel gleichzeitig anzugreifen. Und selbst den feindlichen Vasallen in Ferrara umwirbt der Papst, freilich auf seine Art. Was sollte der ahnenstolze Este-Herzog, der im Gegensatz zu den Medici-Parvenüs auf zweieinhalb Jahrhunderte der Herrschaft in seiner Hauptstadt sowie in Modena und Reggio zurückblicken konnte, von dem Vorschlag halten, die beiden letzteren Städte gegen das weitaus ärmere und zudem von den Venezianern begehrte Ravenna einzutauschen?

      Inzwischen hat der Herzog von Urbino das Mailänder Unternehmen erneut abgeblasen und sich ein leichteres Objekt ausgewählt: Cremona, das sich bald darauf ergibt. Der strategische Nutzen dieser Alibieroberung tendiert gegen Null. Aufregender geht es derweil in Rom zu. Dort nämlich ist der große Coup der Colonna herangereift. Während ein Scheinangriff auf das Richtung Neapel gelegene Anagni die päpstlichen Truppen ablenkt, erstürmen sie mit gut fünfhundert Fußsoldaten und einigen Reitern in der Nacht zum 20. September 1526 drei südliche Stadttore, rücken nach Trastevere ein und dringen in den von Truppen weitgehend entblößten Borgo beim Vatikanischen Palast vor. Anfangs entschlossen, wie einst Bonifaz VIII. 1303 in Anagni im vollen päpstlichen Habit, die Tiara auf dem Kopf, unerschütterlich dem Ansturm der Gegner zu trotzen, wird Clemens VII. in letzter Minute in die Engelsburg und damit in Sicherheit gebracht. Denn dies ist nicht der Augenblick für effektvolle Inszenierungen. Die Familie Colonna, speziell der zu allem entschlossene Kardinal Pompeio, trachtet dem Pontifex nach dem Leben. Um ihre blutige Rache gebracht, halten sich die entfesselten Barone an Kult- und Kunstgegenständen des Vatikans schadlos und plündern, was nicht niet- und nagelfest ist. Der ganze Spuk dauert nicht länger als drei Stunden. Die Römer aber lassen sich die Nachtruhe nicht stören; für diesen Papst rührt keiner einen Finger.

      Diese Parole gilt auch in der Lombardei, wo der Herzog von Urbino weiterhin energie- und ziellos rochiert. Inzwischen aber hat sich nördlich der Alpen Bedrohliches zugetragen. Nachdem die kaiserlichen Rüstungen aufgrund chronischer Geldknappheit nur zögernd vorangekommen sind, sammelt der populäre Landsknechtführer Georg von Frundsberg in Süddeutschland seine Veteranen, die durch das Ende des Bauernkriegs arbeitslos geworden sind, und stellt sie in den Dienst des Kaisers. Dieser allerdings hat kein Geld, um sie zu besolden. Obwohl Söldner normalerweise höchstens zwei Monate ohne Bezahlung bei der Fahne bleiben, kommt es in dieser eigenartigen Armee nicht zu den üblichen Meutereien. Das ist ein Alarmzeichen für die Feinde. Offenbar gibt es alternative Anreize – unheimliche Antriebe: Der Hass der vielen lutherisch gesonnenen Landsknechte gegen den Papst und nicht zuletzt nationale Ruhmes- und Revanchebedürfnisse halten diesen wilden Haufen zusammen. Man will den perfiden Italienern ein für alle Mal zeigen, was eine ehrliche deutsche Pike ist – und natürlich reiche Beute machen. Im Herbst 1526 hat dieses verwegene Heer den Gardasee erreicht und strebt Richtung Mailand, um sich mit den Truppen Bourbons zu vereinigen. Den Winter verbringen beide Seiten mit Stellungs- und Quartierwechseln, wobei intensivere Feindberührung vor allem von Della Rovere vermieden wird. Dennoch kommt bei einem strategisch überflüssigen Scharmützel der einzige Unterführer der Liga ums Leben, der das Zeug zum energischen Generalkommandanten gehabt hätte: Giovanni delle Bande Nere aus der jüngeren Linie des Hauses Medici.

      Aber auch ohne größere Kampfhandlungen spitzt sich die Lage im Norden weiter zu. Frundsbergs vierzehntausend Landsknechte wollen verköstigt werden; die Versorgungsschwierigkeiten der spanischen Kontingente sind kaum geringer. Da die Poebene nach fast drei Jahrzehnten ununterbrochener Feldzüge ausgeplündert ist, der Krieg sich dort also nicht mehr selbst ernähren kann, muss man den Ort des Geschehens nach Süden

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