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Genf wird etwa ein Liebesspiel mit Metallkugeln, eingelegt in eine alkalische Lösung, beschrieben, die Casanova zur Verhütung einsetzte statt der von ihm verabscheuten Präservative («[…] aber erwarten Sie nicht von mir, dass ich mich in ein Stück toter Haut einzwängen werde, um Ihnen zu beweisen, dass ich völlig lebendig bin»). In Zürich versorgte ihn eine Kupplerin mit wechselnden Gespielinnen, er vergnügte sich «aber nur sehr schlecht», denn die unverständliche einheimische Sprache, das «grobe Schweizerdeutsch», machte ihm zu schaffen. «Und ohne die Sprache vermindert sich das Vergnügen an der Liebe gleich um wenigstens zwei Drittel.»

      Es wäre aber, das muss man immer wieder betonen, ganz und gar verfehlt, Casanova auf die Rolle des Verführers zu reduzieren. Er war ein kluger Kopf, ein Universalgelehrter, sprach fünf Sprachen fliessend, war befreundet mit Voltaire, mit Katharina der Grossen und mit Benjamin Franklin, er erfasste den Wert einer Bibliothek auf einen Blick (siehe seine Einschätzung der Bibliothek von Einsiedeln, Originaltext), war Experte im zeitgenössischen Musikgeschehen, ein grosser Menschenkenner und ein noch grösserer Schriftsteller. Der amerikanische Casanovist Tom Vitelli sagt sogar: «Geschichte meines Lebens ist grosse Literatur. Wahrscheinlich ist es die grösste Autobiografie aller Zeiten – in Thematik, Umfang, Stil und Sprache.»

      Vor diesem Hintergrund kann man Casanovas Reise durch die Schweiz auch noch anders lesen. Seine Schilderungen enthalten zahlreiche aufschlussreiche kulturhistorische Details und Einschätzungen. Dabei kristallisiert sich das Bild des kultivierten Reisenden heraus, der kein Auge hat für die Naturschönheiten; dafür ist es – historisch gesehen – gerade noch zu früh: Die Landschaft war, überspitzt gesagt, noch gar nicht erfunden. «La nature le laisse complètement indifférent», die Natur lässt ihn vollkommen gleichgültig, heisst es bei Pierre Grellet im schönen Band Les Aventures de Casanova en Suisse (1919), oder noch pointierter: «Casanova va passer cinq ou six mois en Suisse sans la voir», er wird fünf oder sechs Monate in der Schweiz verbringen, ohne sie zu sehen. In der lieblichen Gegend rund um den Murtensee interessieren ihn der Geschmack der Fische und das Beinhaus aus der Zeit der Burgunderkriege, nicht die Landschaft; die Alpen werden ohnehin mit keinem Wort erwähnt. Einen Reisenden wie Casanova (sein Desinteresse an der Natur ist nicht individuell, sondern epochal bedingt) faszinierten Architektur, Bibliotheken, Kunstsammlungen, Kunstsalons, Musik, Sitten und Gebräuche, der Ideenaustausch mit gelehrten Gesprächspartnern. Er hatte Rousseau gelesen, er besuchte Voltaire in Genf und Haller in Zürich und debattierte mit ihnen auf Augenhöhe.

      Am besten allerdings blieb ihm Bern in Erinnerung. Hier verlebte er einige innige Tage mit seiner Freundin Dubois (Identität ungeklärt), die ihn über den Misserfolg bei der Amazone mehr als hinwegtröstete. «Seine Freundin» schien er so aufrichtig zu lieben, dass sogar Pläne zu einer gemeinsamen Zukunft geschmiedet wurden. Aber Casanova wäre nicht Casanova, wenn dann nicht doch alles ganz anders gekommen wäre. Er verliess die Schweiz nach zahlreichen Abenteuern und war wieder auf den Strassen Europas unterwegs, frei und ungebunden (pikanterweise erblickte möglicherweise ein Sprössling Casanovas einige Monate später das Licht der Welt – als Schweizer Bürger oder Bürgerin. Die Dubois gibt ihrem Casanova beim Abschied zu verstehen, dass sie im zweiten Monat schwanger sei, für sein Kind aber gut sorgen wolle …). In Dux notierte er Jahrzehnte später: «Ich verliess Bern in einer sehr natürlichen Trauer. Ich war in dieser Stadt glücklich gewesen und denke noch jetzt niemals ohne Vergnügen an sie.»

      Drei Stunden nach Leducs Ankunft nahm ich die Post und fuhr nach Schaffhausen und von dort mit einem Mietfuhrwerk nach Zürich, weil es in der Schweiz keine Poststationen gibt. Ich stieg in dem ausgezeichneten Gasthof «Zum Schwert» ab.

      Als ich nach dem Abendessen allein in dem Speisesaal der reichsten Stadt der Schweiz sass, wohin ich gleichsam wie aus den Wolken gefallen war – denn ich hatte vorher nicht die geringste Absicht gehabt, nach Zürich zu gehen – überliess ich mich tausend Betrachtungen über meine augenblickliche Lage und mein vergangenes Leben. Ich rief mir meine Unglücksfälle ins Gedächtnis zurück und prüfte mein Verhalten. Ich erkannte gar bald, dass alle Unannehmlichkeiten mir durch meine eigene Schuld zugestossen waren und dass ich fast immer mit meinem Glück Scherz getrieben hatte, wenn es mich mit seinen Gaben überschüttete. Ich hatte mich soeben aus einer Schlinge gezogen, in der ich trotz meiner Unschuld Tod und Schande finden konnte, und ich erzitterte bei diesem Gedanken. Ich fasste den Entschluss, in Zukunft nicht mehr ein Spielball des Glücks zu sein und mich vom Zufall gänzlich unabhängig zu machen. Ich stellte ein Verzeichnis meines Vermögens auf und fand, dass ich hunderttausend Taler besass. Dies genügt, sagte ich zu mir selber, um, vor allen Wechselfällen geschützt, eine sichere Existenz zu führen, und ich werde in einem vollkommenen Frieden das wahre Glück finden! Voll von diesen Gedanken ging ich zu Bett und verbrachte eine köstliche Nacht in wundervollen Träumen. Ich sah mich in einer friedlichen Einsamkeit in Überfluss und Ruhe; mir war’s, als wenn ich mich inmitten einer schönen Landschaft befände, deren Herr ich wäre und wo ich eine Freiheit genösse, die der Mensch vergeblich in der Welt sucht. Natürlich träumte ich; aber in meinem Traum kam es mir vor, als ob ich nicht träumte. Es war für mich eine schmerzliche Enttäuschung, als ich bei Tagesanbruch plötzlich erwachte. Ich war von meinem eingebildeten Glück zu angenehm geweckt, als dass ich nicht hätte suchen sollen, es zu verwirklichen. Ich stand auf, zog mich in aller Eile an und ging ohne Frühstück aus dem Hause, ohne zu wissen wohin.

      Eine Stunde nachdem ich die Stadt verlassen hatte, fand ich mich inmitten vieler Berge wieder, so dass ich hätte glauben können, mich verlaufen zu haben, wenn ich nicht überall Wagenspuren erspäht hätte, die mir verhiessen, dass mich jener Weg an einen gastlichen Ort bringen müsste. Alle Viertelstunden lang begegnete ich Bauern, aber ich gefiel mir darin, von ihnen keinerlei Auskunft zu erfragen. Nachdem ich sechs Stunden lang langsamen Schrittes gelaufen war, fand ich mich plötzlich auf einer grossen Ebene zwischen vier Bergen wieder. Ich hatte auf der linken Seite die schöne Aussicht auf eine grosse Kirche, die an ein Gebäude mit gleichförmiger Fassade angrenzte, welche die Wanderer einlud, sie aus der Nähe zu betrachten. Ich sah, als ich dichter herankam, dass es nur ein Kloster sein konnte, und war froh darüber, in einem katholischen Kanton zu sein.

      Ich fand die Kirchentüre offen, trat ein und war verwundert über den reichen Marmorschmuck und die Schönheit der Altäre. Nachdem ich die letzte Messe gehört hatte, ging ich in die Sakristei, wo ich eine Menge Benediktiner fand.

      Der Abt, den ich inmitten dieser Mönche an dem um seinen Hals hängenden Kreuz erkannte, trat auf mich zu und fragte, ob ich die Sehenswürdigkeiten des Klosters und der Kirche in Augenschein zu nehmen wünsche. Ich antwortete ihm, dies werde mir viel Vergnügen machen, und er erbot sich, nebst zwei anderen Brüdern selber mein Führer zu sein. Ich sah sehr reiche Gewänder, die mit Gold und echten Perlen überladen, Monstranzen, die mit Diamanten und anderen Edelsteinen geschmückt waren, eine reiche Balustrade und anderes mehr.

      Ich verstand sehr wenig Deutsch und kein Wort von der Schweizer Mundart, die mir sehr schwer verständlich zu sein scheint und in der deutschen Sprache etwa die Stellung einnehmen dürfte wie die genuesische Mundart in der italienischen. Ich begann daher Lateinisch zu sprechen und fragte den Abt, ob die Kirche schon vor langer Zeit erbaut worden sei. Hierauf begann der Hochwürdigste eine lange Geschichte, die mich beinahe dahin gebracht hätte, meine Neugierde zu bereuen, wenn er mir nicht zum Schluss gesagt hätte, es sei die einzige Kirche auf der ganzen Welt, die Jesus Christus in eigener Person geweiht habe. Demnach musste die Gründung schon recht weit zurückliegen, und ohne Zweifel machte ich ein etwas überraschtes Gesicht dazu; denn der Abt lud mich ein, ihm in die Kirche zu folgen, um mich von der Wahrheit jener Worte zu überzeugen. Dort zeigte er mir auf dem glatten Marmor fünf Eindrücke, die von den Fingern Jesu Christi im Augenblick der Einweihung stammten, um die Zweifler zu überzeugen und dem Superior die Mühe zu ersparen, den Diözesebischof zur Weihe der Kirche herbeirufen zu lassen. Der Superior hatte dieses Wunder durch eine göttliche Offenbarung im Traum erfahren, die ihm in verständlichen Worten befahl, nicht mehr an eine Weihe zu denken, denn die Kirche sei «divinitus consecrata» [von Gott geweiht], das sei so wahr, dass man die Eindrücke an der bestimmten Stelle sehen könnte. Er ging in die Kirche, sah sie und dankte dem Herrn. […]

      Die

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