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ist noch genug Zeit, ihn zur Räson zu bringen. Und ihn zu liquidieren, falls unsere Bemühungen auf taube Ohren stoßen.«

      »Wie bitte, sind Sie verrückt?«, begehrte Mertz mit entrüsteter Miene auf, ballte die Faust und stellte sich seinem Begleiter in den Weg. »Und was, wenn er rauskriegt, dass wir beide unter einer Decke stecken? Dass der Zwangsarbeiter, den wir zum Täter auserkoren haben, nicht das Geringste mit der Mordserie zu tun hat? Dass sich der Werwolf noch auf freiem Fuß befindet, weil Ihre Behörde nicht imstande ist, die Ballastexistenz hinter Schloss und Riegel zu bringen? Können Sie sich vorstellen, was dann passiert?«

      »In etwa schon.«

      »Sollte der Fall eintreten, Herr Kollege, wollte ich nicht in Ihrer Haut stecken.«

      »Und ich nicht in der Ihrigen, Herr Kriminalobersekretär.«

      Der Agent kicherte vergnügt in sich hinein, wandte sich ab und setzte den Weg an der Seite seines Gesprächspartners fort. »Wem, wenn Sie die unziemliche Frage gestatten, würde Gruppenführer Heydrich vermutlich glauben, Ihnen oder mir?«

      »Falls Sie es noch nicht realisiert haben, ich nehme meine Aufagbe ernst.«

      »Und ich auch, oder etwa nicht? Fragt sich nur, wer von uns beiden am längeren Hebel sitzt.«

      Friedbert Schultze-Maybach, Kriminalrat im Rang eines Obersturmbannführers der SS, verzichtete auf eine Antwort. Wusste er doch nur zu gut, wie sie lauten würde. »Wie bereits erwähnt, Sydow aus dem Weg zu räumen wird nicht einfach sein.«

      »Jetzt tun Sie doch nicht so, als könnten Sie nicht bis drei zählen«, fuhr Mertz den sichtlich mitgenommenen und im Rang deutlich höher angesiedelten Begleiter an und dachte offenbar nicht daran, sich zu mäßigen. »Ich weiß genau, mit wem ich es zu tun habe.«

      »Tatsächlich?«

      »Schluss mit dem Geplänkel, Herr Kriminalrat. Oder sollte ich lieber Oberscharführer sagen?«

      »Ach, daher weht der Wind!«

      »Damit wir uns richtig verstehen, Schultze-Maybach: Wenn jemand Karriere machen will, ist das seine Sache. Mir persönlich ist das schnurzegal. Es sei denn, der Betreffende tritt mir auf den Schlips. Oder widersetzt sich meinen Wünschen. Dann ist bei mir Polen offen – mit Betonung auf Polen, um Ihrem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen.« Seinem Begleiter eine Körperlänge voraus, lachte Mertz mit unverhohlener Verachtung auf. »Vom Oberscharführer zum Obersturmbannführer, und das in weniger als zwei Jahren. Einfach mir nichts, dir nichts sieben Ränge höher zu klettern – also ich weiß nicht, aber mir persönlich kommt das reichlich merkwürdig vor.«

      »Mir nicht.«

      »Sie haben Recht – lassen wir die Vergangenheit ruhen«, tat Mertz in gönnerhaftem Tonfall kund, rückte seine randlose Brille zurecht und ergänzte: »Wie Sie bereits zu bemerken geruhten, Kripo und Gestapo sind zwei grundverschiedene Paar Stiefel.«

      »Was Sie jedoch nicht daran hindert, mir das Messer an die Kehle zu setzen.«

      »Falsch, Herr Kriminalrat. Ich habe Ihnen einen kollegialen Rat erteilt – mehr nicht.«

      »Auf Befehl von Gruppenführer Heydrich, nehme ich an?«

      »Sie sagen es«, gab Mertz mit hämischem Timbre zurück, beschleunigte seinen Schritt und strebte auf das Ende des beschatteten Uferweges zu, wo sich eine Anlegestelle samt dazugehörigem Parkplatz befand. »Um es abermals zu betonen, Herr Kollege: Im Interesse unserer Behörde halte ich es für dringend erforderlich, Kommissar Sydow dauerhaft aus dem Verkehr zu ziehen. Aus welchem Grund, dürfte Ihnen geläufig sein. Je eher Sie oder ein Ihnen dafür geeignet erscheinender Kollege sich dazu durchringen kann, desto besser. Wenn ich Sie wäre, würde ich nicht zögern, den Befehl des Gruppenführers in die Tat umzusetzen, sonst laufen Sie Gefahr, sich unbeliebt zu machen. Und was dann passiert, werter Kollege Schultz-Maybach, darüber muss ich ja wohl kein Wort verlieren.« Auf dem Weg zu seiner dunklen Limousine, reckte Mertz den knochigen Zeigefinger empor, lachte kurz auf und raunte seinem Begleiter über die Schulter hinweg ins Ohr: »Sie wissen ja: Gott verzeiht, der Gruppenführer dagegen nie!«

      5

      Berlin-Oberschöneweide, Königin-Elisabeth-Hospital

      14:55 Uhr

      »Was glauben Sie denn eigentlich, wo Sie hier sind? Bei der Bahnhofsmission, oder was? Dies hier ist ein Krankenhaus – und keine Informationsbörse!«

      »Dit weeß ick selbst, stell dir vor«, dachte die Grande Dame der Berliner Halbwelt nicht daran, vor dem diensthabenden Arzt zu kuschen. Von einem Mann würde sie sich den Wind nicht aus den Segeln nehmen lassen, schon gar nicht, wenn der Betreffende ihr Sohn hätte sein können. »Wie ick bereits jesagt habe, ick hätte jern ein paar Auskünfte von Ihnen, und zwar über …«

      »Ginge das auch in Hochdeutsch? Ich bin nämlich nicht von hier.«

      Erna Pommerenke, unter Ganoven auch salopp »Tante Lola« genannt, hörte über die Provokation hinweg, schnalzte mit den grell geschminkten Lippen und erwiderte: »Aber klar doch, Jungchen, daran soll’s nicht scheitern.«

      »Sind Sie eigentlich immer so impertinent?«

      »Nur wenn’s nicht anders geht, Herr Medizinalrat. Oder wenn ich das Gefühl habe, verscheißert zu werden.«

      »Damit Sie Bescheid wissen, ich möchte nicht mit Jungchen angeredet werden, sondern mit meinem Titel. Und auch nicht mit Du, aber das nur nebenbei.« Jens Marquardt, gerade mal zwei Jahre Facharzt für Innere Medizin im Königin-Elisabeth-Hospital in Oberschöneweide, was seiner Arroganz jedoch keinen Abbruch tat, verzog das nach Hautcreme duftende Gesicht. »Falls Sie es nicht wissen, in unseren Kreisen ist das so üblich.«

      »Da wo ich herkomme nicht«, war Tante Lola schlagfertig genug, die Spitze umgehend zu parieren. »Aber egal, das tut nichts zur Sache. Ich hätte da nämlich eine Frage an Sie.«

      »Und welche?«, gab sich der 28-jährige Mediziner betont distanziert, das Haar aschblond und fettig, überdies hager und dank guter Beziehungen im Begriff, an die Spitze des NSDÄB aufzurücken. »Falls es sich um ein rein medizinisches Anliegen handelt, in Ihrem Alter macht es keinen Sinn mehr, sich verschönern zu lassen.«

      »Ganz Ihrer Meinung, der Herr«, dachte Tante Lola nicht daran, sich von der nassforschen Art aus der Reserve locken zu lassen, daran gewöhnt, von den oberen Zehntausend mit Verachtung gestraft zu werden. Im Lauf der Jahre hatte sie gelernt, damit umzugehen – und sich bei passender Gelegenheit zu revanchieren. Leute wie Marquardt taten nun mal so, als seien sie etwas Besseres, im Falle des Stationsarztes, der es auf eine Körpergröße von bescheidenen 1,70 Metern brachte, nur zu verständlich. »Wenn da nur nicht die vielen Fettpölsterchen wären. Bitte sagen Sie es nicht weiter, aber die machen mir ziemliche Sorgen – mehr als meine Lunge, wenn ich ehrlich bin.«

      »Rauchen schadet der Gesundheit, aber das wissen Sie ja wohl selbst. Und alkoholische Getränke auch.«

      »Wie ich sehe, kennen Sie sich mit der Materie aus«, gab Lola halb bissig, halb sarkastisch gemünzt zurück, ein Schwarz-Weiß-Foto in der Hand, das sie dem hochnäsigen Brillenträger präsentierte. »Und nun zu meinem Anliegen. Ich nehme an, die beiden Herrn auf dem Foto sind Ihnen bekannt?«

      »Sollten sie?«

      »Aber gewiss doch«, gab Tante Lola mit perfekt einstudierter Nonchalance zurück, steckte das Schwarz-Weiß-Foto wieder ein und fand offenbar nichts dabei, sich eine Juno ohne Filter in den Mund zu stecken. »Ist gerade mal zwei Tage her, müssen Sie wissen.«

      »Was denn?«

      »Dass die beiden spurlos verschwunden sind, als hätten sie sich in Luft aufgelöst.«

      »Und um wen handelt es sich, wenn man fragen darf?«

      »Um zwei Musiker, mit denen ich befreundet bin. Der Rudi spielt Klavier, jemanden wie den gibt’s nicht noch mal in Berlin. Und Schnulzen-Eddie, sein Spezi, der begleitet ihn auf dem Saxofon. Wenn Sie Zeit haben, schauen Sie doch mal bei mir

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