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ich nicht nur das Interview und ein paar Foreneinträge durchgelesen hätte, hätte ich vermutlich auch rausgefunden, dass weiße Sneakers für knapp 600 Kilometer Auf und Ab eine echt schlechte Schuhwahl sind. Oder dass ein 15 Kilo schwerer Rucksack, wie auf der Anzeige am Flughafen stand, mindestens fünf Kilo verlieren muss. Hätte, hätte … Es musste halt schnell gehen. Ich wollte weg.

      Immerhin habe ich in den Foren aber erfahren, dass es auf dem Weg Mitwanderer geben soll, die einem ungefragt das Ohr blutig quatschen. Und jetzt, so scheint es, habe ich genauso eine Kandidatin neben meinem Liegestuhl stehen. Ich bleibe also stumm und hoffe, dass die alte Frau mich für einen der deutschen Sprache nicht mächtigen Touristen hält und einfach wieder abzieht. Doch von meinem schweigenden Desinteresse lässt die Seniorin sich kein bisschen abschrecken und setzt sich ungefragt neben mich.

      »Was für eine Aussicht. Ich heiße übrigens Liz.«

      Angestrengt beobachte ich aus den Augenwinkeln, wie die Alte sich’s auf dem Stuhl neben meinem gemütlich macht und ein Notizbuch rauskramt, um dann parallel zu mir über die grünbraunrote italienische Hügellandschaft zu schauen, als wären wir hier bei einer hippen Sundowner-Verabredung auf einem Frankfurter Parkhaus.

      »Fehlt nur noch ein Schlückchen Sekt, was? Oder dieses rote Zeugs, das ihr jungen Leute immer trinkt. Wie heißt das gleich noch mal?«

      Ich reagiere immer noch nicht, zucke nur entschuldigend mit den Schultern und massiere weiter an meinen Füßen rum, die mir noch nicht mal nach dem krassesten Fußballspiel ever so weh getan haben.

      Sie werden alle recht behalten. Das ärgert mich noch mehr als die schlechte Vorbereitung. Die paar Leute zu Hause, die von meiner Wanderreise wissen, und die mir ihre Bedenken ungefragt mit auf den Weg gegeben haben. Viel zu krass anstrengend, das schaffst du nie, fahr lieber ans Meer, total verantwortungslos.

      Der letzte Kommentar kam natürlich von meinem Vater, der wahrscheinlich immer noch sauer ist, dass ich das Praktikum im Büro seines Steuerberaters wegen diesem ›idiotischen Urlaub‹ abgebrochen habe. Ob ich vielleicht auch mal irgendwas bis zum Ende durchziehen würde, hat er mich vorwurfsvoll gefragt. Wenn was Sinn macht schon, war meine angepisste Antwort gewesen. Mit der Wanderung wollte ich’s ihm beweisen, doch meine Überzeugung, dass dieses Vorhaben in irgendeiner Weise sinnvoll ist, ist futsch. Und dieser Frust kommt zu meinem ganzen anderen Ärger noch dazu. Da kann die Sonne noch so schön untergehen.

      »Die kommen heute Nacht aber nicht ins Zimmer.«

      Ich lasse meine Hand wieder sinken, mit der ich gerade dabei bin, die Kopfhörer zurück in meine Ohren zu stöpseln, und frage mich, ob der Satz mir galt. Oder ob ich mich verhört habe, weil er ja gar keinen Sinn ergibt. Doch während ich noch grüble, unauffällig natürlich, um ja kein Gespräch zu provozieren, sehe ich, wie Liz mit ihrem spitzen Zeigefinger auf meine durchgeschwitzten Airs deutet.

      »Die riechen ja sogar an der frischen Luft, als ob da drin eine Maus verwest. Das ist bei meinem Enkel auch so, der hat Schweißfüße, schlimm. Wir haben sogar einmal den Kammerjäger in den Keller geschickt, wirklich wahr, und dann kam raus, dass …«

      »Hab ich gesagt, dass Sie sich hierherlegen sollen?« Ich war direkt auf 180, das schaffen nur die wenigsten.

      »Oha, es spricht.«

      »Ja, tut es. Es chillt aber gerade und hat keinen Bock auf Dauerbeschallung, okay?«

      Alte Leute, echt.

      »Okay! Verstanden!« Demonstrativ verschließt Liz ihren Mund mit einem unsichtbaren Schlüssel, zwinkert mir zu und fängt an, in ihrem Buch zu blättern.

      Will die mich verarschen? Ich hasse wenig mehr als das Gefühl, verarscht zu werden. Und von einer fremden Oma verarscht zu werden, steht ab sofort ganz oben auf der Hassliste. Aber wie kontert man einer Frau, die vermutlich dreimal so alt ist wie man selbst, ohne in den Verdacht zu geraten, der absolute Vollassi zu sein?

      Ich schlucke jeden Kommentar runter, drücke mich nur energisch aus meiner Liegeposition hoch und stelle, ohne Liz eines weiteren Blickes zu würdigen, meine angeblich stinkenden Schuhe auf die andere Seite meines Liegestuhls. Dann drehe ich ihr den Rücken zu.

      Die erhoffte Ruhe ist aber nur von kurzer Dauer. Denn genau in dem Augenblick, in dem mir nun der Geruch meiner Sneakers in die Nase steigt (es war heute wirklich sehr heiß), realisiere ich, was Liz zu mir gesagt hat. Ruckartig drehe ich mich wieder zu ihr um.

      »Welches Zimmer?«

      Liz presst ihren Mund weiter zusammen und tut so, als würde sie sich an das vereinbarte Schweigen halten. Ich hasse sie – und als sie schließlich doch antwortet, erst recht.

      »Na, unseres. Wir teilen uns ein Zimmer heute Nacht. Signora Valeria war so nett, uns Deutsche in ein gemeinsames Zimmer zu stecken.«

      Das darf doch alles nicht wahr sein. Dieser schreckliche Tag scheint kein Ende zu nehmen.

      »Keine Sorge, ich schnarche nicht. Und ist doch eigentlich ganz lustig, dass sich die älteste Pilgerin und der jüngste ein Zimmer teilen.«

      »Hm, voll. Und ich bin kein Pilger.«

      »Was dann?«

      Ich spare mir eine Erklärung.

      Schon bei der Ankunft in dieser Herberge habe ich erfahren, dass das Bett neben meinem nicht frei bleiben würde. Das hat mir die Signora an der Rezeption in einem Mix aus Deutsch, Italienisch und Englisch ausführlich erklärt. Und das ist ja auch völlig okay, weil billiger, und weil ich schon oft irgendwo mit Fremden in einem Zimmer übernachtet habe. Meistens dann ja sogar in einem Bett. Aber auf diese dauerquatschende Frau, die sich für wahnsinnig witzig hält und mich auch noch erziehen will, habe ich wirklich keinen Bock. Nicht heute. Nicht morgen. Nie.

      »Wie war gleich noch mal dein Name? Hab ich schon wieder vergessen. Ist in meinem Alter ja nicht mehr so einfach, sich alles zu merken.«

      »Hab ihn noch gar nicht gesagt.«

      »Ach so?«

      Ich nehme Liz diese Vergesslichkeitsnummer kein bisschen ab. Ihre grünen Augen blitzen dafür viel zu aufmerksam. Trotzdem gebe ich nach. Warum auch immer.

      »Paul. Ich heiße Paul.«

      »Schön, dich kennenzulernen, Nicht-Pilger Paul. Wo kommst du her?«

      »Frankfurt.«

      »Ich aus Köln. Also ich bin in Köln geboren und aufgewachsen. Aber die meiste Zeit habe ich in Amerika gelebt. Kennst du Köln?«

      »Nee, da war ich noch nie.«

      Nur eine kleine Notlüge, denn mein einziger Besuch in Köln ist zwar noch gar nicht lang her, aber er war so kurz, dass er gar nicht gilt. Das ist die offizielle Entschuldigung fürs Lügen. Die inoffizielle: Eigentlich will ich mir ihre Nachfragen und ihr meine gestammelten Antworten darauf ersparen. Es gibt schönere Erinnerungen.

      Ich tippe auf meinem Handy rum. Falls das Gequatsche jetzt so weitergeht, kann ich mich immer noch in irgendwelche sinnlosen Newsfeeds vertiefen.

      »Da musst du unbedingt mal hin. Ich denk da immer noch gern dran zurück. An die Zeit, als ich ungefähr so alt war wie du. Das waren so im Rückblick wirklich schöne und unbeschwerte Jahre.«

      »Hm.«

      Es nimmt wirklich kein Ende. Ich öffne einen Artikel über die neuen Klimaziele der Bundesregierung, um keinen Zweifel an meinem Desinteresse aufkommen zu lassen. Eine unüberlegte Nachfrage und ich bin in ihrer Lebensgeschichte gefangen, vergleichbar ungefähr mit der Situation, wenn Freunde ganze Netflix-Serien nacherzählen. Dabei sind die Serien im Zweifel ja noch spannend.

      »… und nein, es war damals noch nicht alles gut. Wirklich nicht. Dafür war der Krieg mit seinen schrecklichen Bombennächten noch viel zu nah und die Stadt noch viel zu zerstört. Aber wir hatten so eine Zuversicht, also alle in meinem Freundeskreis, in meiner Clique, wie ihr das nennt, wir waren uns wirklich sicher, dass es in unserem Leben nur eine Richtung gibt: bergauf.«

      Ich scrolle durch die Promimeldungen,

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