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Ja, das kann man sicherlich. In seiner programmatischen Antrittsrede in Nazareth (Lukas 4,18) aber zitierte Jesus am Anfang seines Dienstes Jesaja 61,1–3 und erklärte das Weitersagen der frohmachenden Botschaft vom Herannahen des Reiches Gottes als seinen wichtigsten Dienst. Vor allem Asylanten, Obdachlosen, Aussätzigen, Straßenkindern und Einsamen, kurzum allen „Elenden“ (das hebräische Wort in Jesaja 61 meint Menschen, die nicht zu Israel gehören, weil sie kein Land besitzen), soll die gute Nachricht mitgeteilt werden, dass sie nicht mehr ausgegrenzt sind, sondern durch Gottes Liebeswillen dazugehören. So wird die Botschaft vom Reich Gottes jedenfalls in Jesaja 52,7 beschrieben: „Dein Gott herrscht als König!“

      Nun lässt uns der deutsche Begriff „Reich Gottes“ ja eher an einen räumlich abgegrenzten Bereich denken, eine Zuflucht, in der wir sicher sind, so wie unsere Gemeinderäume, in die wir uns allzu oft zurückziehen. Da grenzen wir uns von anderen ab, die „böse Welt“ kann uns nichts mehr tun. Aber das heißt doch leider auch, dass die „liebe Gemeinde“ der „bösen Welt“ auch nichts mehr tun kann. Im Griechischen steht für Reich Gottes aber „basileia tou teou“ und im Hebräischen „malkuta di jahwe“. Beide Begriffe bezeichnen vor allem das König-Sein Gottes und den Vollzug des König-Seins, nämlich die Herrschaft Gottes. Reich Gottes ist also von seinem Ursprung her, so wie Gott sich das gedacht hat, mehr ein Beziehungsbegriff als ein räumlich abgegrenztes Gebiet. Deswegen beginne ich in diesem Buch auch jedes Gleichnis mit derselben Einleitungsformel:

      „Mit was wollen wir das Reich Gottes heute vergleichen? Das Reich Gottes ist die Art und Weise, wie Gott mit den Menschen umgeht. Das passiert da, wo wir leben. Es ist mitten unter uns und will von dir entdeckt werden. Wenn du wissen willst, wie es ist, dann denk doch zum Beispiel mal an …“

      Und dann kommt der Vergleich, der den Leser oder den Zuhörer zum Nachdenken über einen Aspekt des Reiches Gottes anregen soll.

      In Lukas 17,21 sagt Jesus: „Denn siehe, das Reich Gottes ist mitten unter euch.“ Was war denn da los, als er das sagte? Was gab es zu sehen? Jesus war da, seine Jünger waren da und die Pharisäer waren auch da, eine Gruppe von Menschen also, die miteinander in Beziehungen standen. Wenn das Reich Gottes mitten unter ihnen war, dann bedeutet das, übertragen auf unseren Alltag, dass dieses Reich Gottes vor allem in den Beziehungen, die wir leben, existiert. Das war ja auch eines der letzten Gebetsanliegen Jesu (Johannes 17), dass die Welt an der Liebe, die seine Christen untereinander haben, die Realität der Herrschaft Gottes erkennen soll. Das heißt für mich ganz praktisch, dass ich da, wo ich lebe, auf meine Beziehungen achte, viel mit Leuten herumhänge und den Ruf in Kauf nehme, das Leben nur von der „leichten Seite“ anzugehen. Und ich kann euch sagen, dass mir das bis heute immer wieder vorgeworfen wird.

      Ich versuche das aber zunehmend als Auszeichnung zu empfinden, denn schließlich hat man Jesus auch ständig vorgeworfen, den Ernst des Lebens nicht ernst genug zu nehmen und ein Fresser und Weinsäufer zu sein. Einmal habe ich mich mit einer Jugendlichen, die sich von Jesus entfernt hatte, lange Zeit immer wieder in meinem Büro in der Gemeinde zum Gespräch getroffen. Ich habe ihr zugehört, wenn sie von ihren „wilden“ Erfahrungen mit Drogen, Sex und düsterem Rock ’n’ Roll erzählte und wir haben dabei mehr Kuchen gegessen und Kaffee getrunken, als seelsorgerliche Schritte zu unternehmen. In dieser Zeit wurde ich immer wieder von wohlmeinenden Geschwistern und Leitern gefragt, ob ich denn damit vorankomme, ihr klarzumachen, dass sie ihr Leben total in Sünde lebe. Und ich habe Ja gesagt und hab damit auch nicht gelogen. Ja, das Reich Gottes ist nicht „Essen und Trinken“, sagt Paulus, aber er meint damit, dass es sich nicht in Geboten und Verboten erschöpft, „sondern Gerechtigkeit und Friede und Freude im Heiligen Geist (ist). Denn wer in diesem dem Christus dient, ist Gott wohlgefällig und den Menschen bewährt“ (Römer 14,17f.). Und nach fast einem Jahr des Kaffeetrinkens, Kuchenessens, Zuhörens und Zu-Hause-für-sie-Betens (was ich ihr auch gesagt habe) brachte sie ihr Leben wieder unter die Herrschaft Gottes, weil ihr das Reich Gottes die ganze Zeit in unseren Gesprächen und durch unsere Beziehung nahe gewesen war.

      Ich bin davon überzeugt, dass sich überall da Reich Gottes in meinem Alltag ereignet, wo ich von ganzem Herzen den Menschen, denen ich begegne, etwas davon zuteilwerden lasse, was Gott in mich hineingeliebt hat. Natürlich sollen und dürfen wir unsere Meinung zu bestimmten Dingen und Themen klar sagen, aber wir müssen nicht unter diesem massiven Druck stehen, alles richtig zu machen und verzweifelt Bekehrungen erzeugen zu müssen. Das ist nicht unser Job! Wer bekehrt einen Menschen? Es ist Gott persönlich. Und was an ihm bewirkt die Bekehrung? Etwa Gottes Macht und Größe? Oder sein Richtersein? Nein. Es ist seine Barmherzigkeit. Paulus schreibt in Römer 2,4 ganz eindeutig: „Oder verachtest du den Reichtum seiner Gütigkeit und Geduld und Langmut und weißt nicht, dass die Güte Gottes dich zur Buße leitet?“ Und dieses Wort „leiten“ meint ein ganz sanftes Mitnehmen, ein Begleiten, ohne Gewalt. Und wenn wir Jesus immer ähnlicher werden, dann können wir uns davon auf jeden Fall immer noch eine gute Scheibe abschneiden.

      Aber schon ein kleines Stück vom Reich Gottes, sagt Jesus in Lukas 13 im Gleichnis vom Sauerteig, durchsäuert eine dreifache Menge von trockenem, staubigen Mehl und macht daraus einen nahrhaften, genießbaren Teig, der in der Hitze der Alltagsgefechte gebacken wird. Ich habe einmal irgendwo eine Geschichte gehört, in der ein Mann morgens in der U-Bahn bewusst einen Menschen ohne besonderen Grund einfach angelächelt hat. Danach fingen sie beide an, zwei weitere Menschen anzulächeln, und so pflanzte es sich den ganzen Tag lang fort. Und am Abend legte sich die ganze Stadt, in der sie wohnten, mit einem glücklichen Lächeln und einer zufriedeneren Seele ins Bett. Das versuche ich seitdem ebenfalls jeden Tag zu tun, weil ich zutiefst davon überzeugt bin, dass das Beste, was man an einem Tag tun kann, eben das ist: als mobiles Segnungszentrum durch die Gegend zu laufen! Ich finde, dann hat sich der Tag schon gelohnt, auch wenn du dabei (Achtung! Pastoren weglesen!) wichtige Gemeindesitzungen verpasst. Darum versuche ich in meinem Alltag immer mehr einen Lebensstil des Feierns zu leben (vgl. Matthäus 22,1–10 und Lukas 14,15–24) und jede Begegnung mit einem Menschen zu etwas Besonderem zu machen. Ich lade die Jugendlichen, mit denen ich arbeite, und auch die Erwachsenen gerne zu mir nach Hause ein. Da gibt es dann für alle genug zu essen und zu trinken, alle haben Platz und niemand wird ausgeschlossen, wir haben viel Spaß miteinander, und wenn wir nach Hause gehen, tragen wir einen Lebenssamen im Herzen (Matthäus 13,32).

      Denn schließlich ist ein Fest, das mehr ist als bloße Erholung vom grauen Alltag, die Feier eines guten Lebens für alle Menschen nämlich, vielleicht das treffendste Bild für das Reich Gottes. Die Gleichnisse vom Hochzeits- bzw. Festmahl können meines Erachtens sogar als Muster dienen zum rechten Verständnis aller Aussagen Jesu über das Reich Gottes. Denn Reich Gottes meint, dass Gott in allen Bereichen der Wirklichkeit Gott ist, damit die Welt dem Menschen eine menschliche Heimat wird. Und in diesen ganzen Gleichnissen über das Feiern sind ja auch klare Worte der Abgrenzung enthalten, die den meisten Leuten auch klar sind. Man weiß doch eigentlich, wie man sich auf einem Fest verhalten soll, und man weiß auch, wie die Gastgeber sich verhalten werden, wenn man das nicht respektiert. Reich Gottes im Alltag praktisch zu leben und zu erleben bedeutet eigentlich nichts anderes, als den konkreten, radikalen Versuch, Jesus nachzuahmen. Und da könnten wir ruhig auch mal häufiger Veranstaltungen machen mit Titeln wie „Essen wie Jesus“, „Feiern wie Jesus“ und dergleichen mehr.

      Jesus hatte den Auftrag, die ganze Welt zu retten (1.Timotheus 2,4), und er hat diesen Auftrag mit drei Maßnahmen begonnen: Er suchte sich Freunde, er verbreitete gute Nachrichten, er heilte Kranke und trieb Dämonen aus. Wenn ich also in der Begegnung mit Menschen von Krankheiten und Schmerzen höre, versuche ich immer, all meinen Mut zusammenzukratzen und, anstatt einer bloßen Mitleidsbekundung, ein Gebet anzubieten. Und wenn ich auch nicht jeden Tag in die Verlegenheit einer Dämonen-Austreibung komme, schaffe ich schon fast jeden Tag eine Dämonen-Vertreibung: Dämonen der Unlust, Angst, Depression, Lüge usw. vertreibe ich mit dem Aussprechen der Wahrheit des Wortes Gottes, einer bewusst fröhlichen Ausstrahlung und einem guten Scherz auf den Lippen (Matthäus 12,28).

      Humor gehört nämlich, meine ich, auf alle Fälle zum Reich Gottes im Alltag.

      Das habe ich unter anderem von Evagrius Ponticus gelernt, der 345 n. Chr. in Ibora, einer kleinen Stadt in der Nordtürkei, geboren wurde. Er war ein begnadeter und berühmter Prediger in Konstantinopel, bis er durch eine Liebesaffäre zu Fall kam, krank wurde,

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