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Ein Pfad schlängelt sich weiter bergan, freier Himmel, aber vorher wechseln beide die Kammseite, abwärts, zum Tal – hier sämiger Lehm, das Gras verklebt, unten aber fest und flach; und gleich die Strümpfe, die Hose triefnass, weil sie eiskalte Tropfen von den Stängeln abstreifen. Aus der Entfernung sehen beide ein Dorf, neben Scheunen grasen Kühe. Nimm Abschied.

      Was?, fragt Lilja leise. Das ist Niederau, ich wohn in Lobstedt, die Landstraße hoch.

      Eins wie das andere, schnauft Dostya.

      Lilja zeigt auf ein Fachwerkhaus, grauer Rauch kräuselt aus dem Schornstein. Da holen wir immer die Brote vom Bäcker …

      Ein hartes Lachen. Die wirst du selber backen müssen!

      Warum bist du so fies zu mir?

      Bin ich das?

      Ja!

      Hast du denn nicht verstanden, was mit dir passiert ist? Dass du ab jetzt auf der anderen Seite des Schützengrabens stehst? So wie ich – wie wir.

      Ich will nach Hause.

      Es gibt keinen Weg zurück. Sie lassen es nicht zu.

      Wer, sie?

      Die Steine.

      Du glaubst mir nicht, dann geh. Kauf dir Milch und Kekse, ein paar leckere Süßigkeiten.

      Ich hab kein Geld …

      Ha! Das brauchst du auch nicht mehr.

      Weißt du was‽, brüllt sie Dostya an, mein Papa sitzt im Dorfrat, der wird dich –

      Verprügeln? Einsperren? Wie alt bist du eigentlich?

      Lilja presst die Lippen zusammen; wankt ein paar Schritte, in den zu großen Schuhen und der zu weiten Hose – wie eine Vogelscheuche steht sie auf dem Feld, blickt zurück. Siehst du.

      Nur zu, ruft Dostya. Mach Vati stolz. Nein, komm her!

      Wieder verdunkelt sich die Welt, Tag wird Nacht, der Acker zum Schlachtfeld; und Pflugscharen zu Schwertern. Lilja, am Stacheldraht verheddert, sucht die Zange, um sich freizuschneiden. Wo sind ihre Kameraden? Ein jäher Ruck, etwas reißt sie nach hinten: ein Schuss durch den Hals, sie keucht, würgt Blut, das von ihren Lippen tropft, ehe —

      Es reicht!, knurrt Dostya und zerrt sie zum Waldrand hin. Noch immer nicht genug?

      Was ist das, was ich sehe?, fragt Lilja.

      So sah der Krieg aus.

      Im Sturmschritt voran; sie marschieren, bis der Pfad um den Hügel verläuft, steil aufstrebt. Felsschluchten links vor ihnen, rechtsseitig Sträucher. Der Himmel klart auf, wird grell, als aus den Wolken die Sonne hervorsticht: Regenpfützen spiegeln, der Matsch, die Blätter, die nassen Steine … Überall glimmert der Wald. Lilja seufzt. Wärme.

      Was ist?, fragt Dostya.

      Nichts.

      Sie fällt zurück …

      Nicht rumtrödeln.

      Ich bin müde, klagt Lilja, ihre Schuhe schleifen durchs Laub. Außerdem hab ich Durst.

      Leise. Und schau, wohin du trittst.

      Jetzt warte auf mich!

      Dostya dreht sich um. Hier draußen darf man nicht warten, hier ändert sich jede Minute alles.

      Liljas Schritte hinter ihren – Gräser rascheln und Zweige. Sie folgen einem Wildwechsel tief in den Wald hinein: von Rehen frische Spuren, die von den Einständen zu den Äsungsstellen führen; Fellreste, ein angeknabberter Pilz und der herbe Geruch von Kot. Kein Tier in Sicht.

      Warte, bittet sie. Und Dostya hält an. Kind, ich sagte doch –

      Ich kann nicht mehr!

      Gleich rasten wir.

      Auf dieser Lichtung frisst das Wild: Das Gras ist kurz, die junge Rinde von den Zweigen genagt; freie Wurzeln faulen weiß. Dostya stellt ihren Rucksack hin, löst einen Knoten und entrollt die wasserdichte Zeltbahn wie eine Picknickdecke. Setz dich.

      Beide im Schneidersitz, reichen sich die Feldflasche. Lilja meint: Es ist meine Schuld gewesen. Deshalb ist er tot.

      Ein Vogel zirpt.

      Was weißt du über die Steine?

      Also, überlegt Lilja, in der Schule haben wir gelernt –

      Und sonntags bei der Messe.

      Du kennst das wohl schon.

      Wollte dich nicht unterbrechen.

      Findest du das lustig? Ist das ein Spaß für dich‽

      Nein, ich – Hast du Hunger?, fragt Dostya schnell und wühlt nach dem Kastanienbrot, gibt es her. Iss doch.

      Den harten Kanten in der Faust wartet Lilja die Antwort ab. Noch fallen die Tropfen des Schauers.

      Was willst du hören?

      Die Wahrheit.

      Du meinst –

      Ob es seine Tränen sind.

      Brav aufgesagt. Seh dich vorn an der Tafel stehen, adrett im Kleidchen mit der Schleife. Jawohl, Herr Lehrer!

      Kennst mich doch gar nicht, keift sie zurück. Musst du das ständig machen?

      Dostya trinkt einen Schluck.

      Also?

      Das Weihnachtswunder? Frieden auf Erden und so? Keiner sieht, dass wir wie Kinder behandelt werden …

      Jetzt sag: Sind es seine Tränen?

      Weiß ich doch auch nicht, seufzt Dostya, die ihre Feldflasche verstaut und aufsteht. Es ist dumm, über solche Sachen nachzudenken. Und gefährlich.

      Zwischen den Stämmen blinkt die Sonne, wie Morsezeichen, während sie durch Pfützen waten, in denen Grünzeug schwimmt. Noch mal piekst Dostya ihren Regenschirm in den Schlick: unten Stein; läuft weiter ohne einzusinken, da –

      Ich spüre etwas, sagt Lilja.

      Ja, ich auch. Bleib, wo du bist.

      Was ist das?

      Das Filigran, erklärt Dostya und streckt die Hand vor, als würde sie eine Herdplatte prüfen. Wir müssen warten.

      Dieser Geruch …

      Gas, ich weiß. Siehst du die Flämmchen?

      Wo?, fragt Lilja.

      Dostya zeigt auf einen Baumstumpf mit dicken, gelben, wurmstichigen Wurzeln, danach auf ein Gebüsch. Dort, schwer zu erkennen bei Tag. Wenn die zu flüstern anfangen, rennst du weg. Kapiert?

      Sie stehen im Wasser und rühren sich nicht. Wie lange noch?, fragt Lilja. Meine Füße sind nass.

      Leise.

      Ein Wind geht,

      Blätter rauschen.

      Eine Amsel landet, um aus den Pfützen zu trinken; zitternde Kreise, als sie davonfliegt …

      Ein Vogellaut, schrill; Lilja erschrickt — und flieht, links an Dostya vorbei, wird von ihr an der Hüfte gepackt. Kind!, hört sie ihre Stimme, beide straucheln und –

      Mit Hurra zum Feind! Auf morschen Leitern und Säcken voll Dreck ins Trümmerfeld: Bis vor wenigen Tagen stand hier ein Dorf, übrig ein Schornstein, ein gusseiserner Ofen, im Schlamm versackt, Holzlatten, Ziegel, Mauerreste. Durch die Krater – sie springen rein, klettern raus, suchen neue, frisch gesprengte, wollen dem Zufall ein Schnippchen schlagen; werden zerrissen. Mörser knallen, Granaten splittern; und Dauerfeuer, das sie zu Boden wirft. In der Hand das Gewehr, der Stahlhelm drückt auf ihre Stirn, sie rennen, rennen. Dostya drängt Lilja zu einer Backsteinwand, zerrt sie runter; auch andere Soldaten kauern dort, spähen, schießen über Deckung, ziehen den Kopf ein. Detonation! Erdbrocken regnen. Jemand schleudert eine Stielhandgranate, sie zündet nicht. Weiter, bellt einer, und sie robben vor, den Gestank des

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