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Epikur. In dieser Ode wollte er dessen Philosophie beschreiben. Epikur traf sich mit seinen Schülern meist in Gärten und so beschreibt diese Ode – in einer Analogie zum Garten –, sinnlich Früchte zu pflücken. Weshalb wir auch die Übersetzung „Pflücke den Tag“ finden können. Zentral für Epikur war die Entwicklung der Lust und Lebensfreude, wobei die Sinnesfreuden keineswegs hedonistisch, also oberflächlich genusssüchtig, gemeint waren. Das höchste Glück ist das „stille Glück“, das stille Erleben mit allen Sinnen. (Begierden, vor allem ungestillte, galten als Widersacher der Lebensfreude.) Horaz zeigt uns, dass wir jeden Moment diese sinnliche Lebensfreude erfahren können und sollen.

      „Carpe diem“ lädt dazu ein, den kleinen, einfachen Dingen im Leben Aufmerksamkeit zu schenken, die Freude machen. Das können beglückende Momente in der Natur sein, der Genuss von köstlichem Essen, die Begegnung mit lieben Menschen, ein Sonnenuntergang, der Duft einer Blume – wenn wir dies mit Achtsamkeit und Bewusstheit erleben, voll im Moment, im Augenblick, im Jetzt verankert, dann erleben wir jede Menge Glück, für das wir dankbar sein können. Dann nützen wir den Tag, die Gunst der Stunde und leben unser Leben im Bewusstsein der Fülle.

      WIE möchte ich meine kostbare Zeit nützen?

      „Carpe diem“ stellt aber auch eine Frage: WIE möchte ich meine kostbare Zeit nützen? Eine Zeit, die begrenzt ist und jeden Moment verrinnt. Würde ich mich komplett fühlen, wenn ich jetzt diese Welt verlassen müsste und die Menschen, meine Umgebung, nie mehr sehen würde?

      Falls die Antwort lautet: „Nein, ich würde mich nicht komplett fühlen“, stellt sich die nächste Frage: Was braucht es noch? Was will ich in diesem Leben noch erreichen, vollenden, erleben?

      Um sich ein Bild zu machen, wo Sie in Bezug auf Ihr Leben stehen, können Sie ein Maßband zur Hand nehmen. Mit der linken Hand halten Sie es bei Zentimeter eins und zwischen den Fingern der rechten Hand bei Zentimeter 100. Nun nehmen Sie das Band mit der linken Hand bei der Zahl Ihres jetzigen Alters. Mit der rechten Hand wandern Sie zu der Zahl der durchschnittlichen Lebenserwartung. Bei Männern beläuft sie sich aktuell auf 79, bei Frauen auf 84 Jahre. Wie viel (Lebenszeit) bleibt noch?

      Diese Übung kann uns veranschaulichen, dass nicht mehr so viel Zeit bleibt, wie wir es uns vielleicht wünschen. Dies zu realisieren ist ernüchternd, ernüchtert sein heißt, eine Situation klar zu sehen, vielleicht auch aus einer Illusion aufzuwachen. Sie können auch auf der Website der Statistik Austria (www.statistik.at/Lebenserwartung) Ihr Geburtsdatum eingeben und die Jahre sehen, die Ihnen – laut Statistik – noch bleiben.

      Der eigenen Sterblichkeit und unumstößlichen Vergänglichkeit ins Auge zu sehen, ist nicht leicht und erfordert Mut und Stärke. Im ersten Moment kann es sein, dass wir auch von Bedauern, Reue, Schuld oder Scham geplagt werden. Menschen bereuen und bedauern meist nicht das, was sie getan haben, sondern das, was sie nicht getan haben. Bevor Sie die Vergangenheit loslassen können, müssen Sie sich diesen Gefühlen stellen. Verzeihen Sie vor allem sich selbst, aber verzeihen Sie auch anderen. Spüren Sie nach, was Sie brauchen, um verzeihen zu können. Erst dann ist es möglich, das, was geschehen ist, sein zu lassen – es GUT sein zu lassen.

      Nehmen Sie sich einen Moment Zeit, legen Sie das Buch zur Seite und beobachten Sie, was Sie im Moment sinnlich wahrnehmen können. Was hören Sie? Was sehen Sie? Was riechen Sie? Welchen Geschmack haben Sie im Mund? Wie spüren Sie Ihren Körper? Wie ist Ihr Gesichtsausdruck – entspannt oder angespannt? Wie ist die Raumtemperatur – angenehm warm oder kühl? Sitzen Sie entspannt?

      Was immer Sie wahrnehmen, manches wird angenehm, manches wird unangenehm sein, manches wird neutral sein. Wählen Sie das Angenehme aus und genießen Sie diese Wahrnehmung so lange, wie es für Sie angenehm ist. Lassen Sie sich ganz auf diesen Sinnesgenuss ein, ohne einen Gedanken der Interpretation. Wiederholen Sie diese einfache Übung mehrmals am Tag. Kurze Momente, in denen Sie einfach genießen, da zu sein, präsent zu sein. Pflücken Sie diese Momente, es sind Ihre Früchte, die Früchte, die es während eines langen Tages immer wieder zu ernten gilt.

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      Das ist der Ausgangspunkt dafür, geistige Ruhe zu entwickeln, um mit Lebenslust das Hier und Jetzt genießen zu können. Entwickeln Sie ein lebendiges Interesse an Ihrer Umwelt, einen aktiven Geist, der wach und gleichzeitig ruhig und zufrieden ist.

      Überlegen Sie, welche „stillen“ Qualitäten Sie in Ihr Leben einladen möchten, wie Sie achtsamer leben und mehr genießen können.

      In diesem Sinne: „Carpe diem!“

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      DANKBARKEIT

       Lichtspiel IV

      Strecke dein Gesicht in die Sonne. Zähle alle Strahlen, die deine Haut kitzeln. Bei Hundert beginn von vorne.

      Dankbarkeit heißt, in jedem Augenblick alles, was uns begegnet, als Gabe, als Geschenk und nicht als selbstverständlich hinzunehmen. Dann erwacht in uns eine neue „Lebendigkeit“ und wir finden unzählige Gelegenheiten, uns zu freuen – auch in Situationen, die uns zunächst einmal gar nicht als Geschenke erscheinen. Wer ist schon dankbar für ein Missgeschick, eine schlechte Nachricht, einen weiteren Stolperstein im Leben?

      Wenn wir jedoch erkennen, dass jeder Stolperstein eine Möglichkeit zu lernen und zu wachsen ist, können wir sogar dafür dankbar sein. Wenn ein umgestürzter Baum meinen Weg versperrt, kann ich durch Unachtsamkeit drüberstolpern oder ihn ganz bewusst als Klettermöglichkeit, als Fitnessgerät nützen oder mich darauf stellen, um eine bessere Aussicht zu genießen. Es kommt nur auf die Betrachtungsweise, auf den offenen Geist an. Den alltäglichen Schwierigkeiten und Missgeschicken mit Gelassenheit und Humor begegnen zu können und dankbar für diese Erfahrung zu sein, ist eine wichtige psychologische Ressource und gut für die seelische Gesundheit.

      So entwickeln wir uns weiter und reifen immer mehr zu einer Persönlichkeit, die der nächsten Herausforderung vielleicht schon mit einem Lächeln begegnet.

      Dankbarkeit ist die größte Kraft, wer dankbar ist, ist glücklich, wer dankbar ist, blüht auf.

      Dankbarkeit kann bewusst entwickelt und kultiviert werden: Es gibt jeden Tag unzählige Gelegenheiten zu danken. Wenn wir die eigene Wahrnehmung vom Mangel hin zur Fülle lenken, von dem, was nicht funktioniert, zu dem, was schon da ist, was gut und schön, was nicht selbstverständlich ist, fällt uns sicher viel ein, wofür wir dankbar sein können. In der Früh nach dem Aufwachen können wir schon dankbar sein für unseren Schlaf, für unseren Körper, für die Aussicht auf ein Frühstück. Wenn wir abends vor dem Einschlafen den Tag Revue passieren lassen, können wir dankbar sein für Begegnungen, schöne Momente, gelungene Aktionen oder sogar mit einem Schmunzeln für etwas, was nicht so gelungen war unter dem Motto: „Es muss nicht alles perfekt sein“, also Dankbarkeit für Lernschritte und Wachstumsmöglichkeiten.

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      Je mehr wir unseren Fokus auf das Positive, das Gelungene, das Schöne in unserem Leben lenken, umso mehr tritt das, was noch nicht so rund, geschweige denn perfekt ist, in den Hintergrund. Diese positive Ausrichtung nährt unser Gehirn, trainiert es um und wirkt sich auch positiv auf unseren Körper aus.

      „Nicht die Glücklichen sind dankbar. Es sind die Dankbaren, die glücklich sind.“

      (Sir Francis Bacon, englischer Philosoph, 1561–1626)

      DANKBARKEITSGLAS

      Besorgen Sie sich ein etwas größeres, dekoratives Konfekt- oder Marmeladenglas und kleine Notizzettel. Stellen Sie das Glas an einem gut sichtbaren Ort, z. B. in Ihrer Küche,

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