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An der Westfront

       28. Letzter Fronteinsatz

       29. Die Heimat im totalen Krieg

       30. Der Kriegsgefangenschaft erster Teil

       31. Die Heimat am Ende des Krieges

       32. Juttas Erinnerungen an das Jahr 1946

       33. Das Ende meiner amerikanischen Kriegsgefangenschaft

       34. Im Konzentrationslager Oranienburg

       35. In Moskau

       36. Die Heimat im Jahre 1947

       37. Im Steinkohlenbergbau bei Stalinogorsk

       38. Das vorletzte Lager

       39. Heimkehr nach Altenburg

       Literaturverzeichnis

       1. Ein neuer Jahrgang und eine neue Hoffnung

      Ich kam am 13. August des Jahres 1924 in dem vogtländischen Städtchen Auerbach zur Welt. Sechs Jahre waren seit dem Ende des Ersten Weltkrieges vergangen. Die Mehrzahl der Menschen in Deutschland schlug sich mehr schlecht als recht durch die bestehenden schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse jener Zeit, die von hohen deutschen Reparationszahlungen an die Siegermächte und den Auswirkungen einer Weltwirtschaftskrise geprägt war. Ein Hoffnungsschimmer auf eine Veränderung ihrer Situation ergab sich im selben Monat als das durch den verlorenen Krieg verarmte Land ein Münzgesetz erhielt, mit dessen Wirksamwerden die Flut an inflationären Geldscheinen verschwinden sollte. Per Gesetzesbeschluss verwandelte man damit jede Billion Reichsmark in jeweils eine Rentenmark. Für mich, den neuen Erdenbürger, blieben einige Tausenderscheine von wertlos gewordenem Papiergeld übrig, um mich später an die denkwürdigen Ereignisse im Monat meines Erscheinens zu erinnern.

      Das sichtbare Licht dieser Welt wird mir wohl zunächst aus einer elektrischen Stubenlampe entgegengestrahlt sein. Sie hing über dem großen runden Tisch in der Mitte des Wohnzimmers meiner Großeltern und war, wovon ich mich später überzeugen konnte, mit schönen bunten Perlenschnüren bekränzt. Das Liegen unter ihrem Lichtkegel, aus dem auch die Stimmen der mit mir beschäftigten Menschen zu kommen schienen, dürfte zu den ersten schwach erinnerlichen Wahrnehmungen meines Lebens gehören. Man hat mir später erzählt, ich sei auf diesem Tisch gewindelt worden, wobei gewöhnlich außer meiner Mutter auch ihre beiden Schwestern und meine Großeltern anwesend waren. Mein Vater dürfte damals selten zugegen gewesen sein. Als gelernter Schlosser befand er sich in der Gegend von Leipzig, um an einer weiterführenden Berufsausbildung für Lokomotivpersonal teilzunehmen. Meine Mutter arbeitete als Weißnäherin in einer der zahlreichen Auerbacher Textilfabriken. Meine Eltern waren also im Begriffe, für sich und für mich an einer hoffnungsvolleren Zukunft zu arbeiten.

      Da meine Mutter mit mir noch bei ihren Eltern wohnte, wurde ich während ihrer Abwesenheit von den beiden Tanten und der Großmutter betreut. An Fürsorge und lieben Menschen hat es mir damit von Anfang an nicht gefehlt. Besonders fühlte ich mich zu meiner Tante Marie hingezogen. Sie hatte im ersten Weltkrieg den Verlobten verloren und war unverheiratet geblieben. Sie führte Heimarbeit aus und konnte deshalb bei Bedarf jederzeit für die Betreuung des neuen Erdenbürgers zur Stelle sein.

      Auf dem Schoße der Mutter, Foto 1924

      Mein Großvater, der seinen Sohn und Geschäftsnachfolger durch den Krieg verloren hatte, übte seinen Beruf als Schmiedemeister noch aus, obwohl er dafür eigentlich schon zu alt war. Der Krieg und die nachfolgende Inflation hatten ihn wirtschaftlich ruiniert. Als Kleinkind habe ich ihn noch gemeinsam mit einem Gesellen in seiner Schmiede hantieren gesehen. Sie befand sich im Parterre unseres Hauses. Wenn man in das obere Stockwerk gelangen wollte, musste man auf einem mit Fließen belegten Gang an den drei nebeneinander aufgestellten Amboss Steinen vorbeigehen. Man sagte mir später, ich sei wie alle in diesem Hause geborenen Kinder, täglich in dem durch das Abschrecken von glühendem Stahl erwärmten Wasser aus Großvaters Schmiede gebadet worden. Noch zu einem viel späteren Zeitpunkt, als ich schon in Altenburg die Schulbank drückte und meinen Geburtsort nur noch in den Ferien aufsuchen konnte, begrüßte mich ein alter Nachbar jedes Mal mit den Worten: „D’r eis’nwass’rgebodene Fritz is wieder do!“

      Dieser „eisenwassergebadete“ Nachwuchs im alten Schmiedehaus wuchs zu einem lebhaften und auch recht sensiblen Burschen heran. In dem alten Haus gab es genug Nischen, Treppen und Truhen, wo sich ein Dreikäsehoch verkriechen, wo er herumklettern und Unbekanntes aufstöbern konnte. Sein Temperament wurde nur gebremst, wenn er von den Erwachsenen einmal wieder eine jener Schauergeschichten aufgeschnappt hatte, die manchmal bei den abendlichen Gesprächen zum Besten gegeben wurden. Dann bekam das alte Haus für ihn ein gespenstisches Innenleben, sodass er sich nicht mehr sorglos in jeden Winkel zu kriechen traute. Viele Frauen in jener damals besonders armen Gegend waren oft bis in die tiefe Nacht hinein mit Heimarbeiten beschäftigt, um ihren Lebensunterhalt verdienen zu können. Da verband man gern die Pflicht zur Arbeit mit dem Angenehmen einer Unterhaltung, indem man sich reihum in den Wohnungen traf. Während die Frauen mit sicherer und flinker Hand feine Spitzenmuster aus Stoffbahnen ausschnitten, wozu kleine sehr scharfe Scheren benutzt wurden, liefen die Neuigkeiten aus der Stadt, manche Erinnerung an frühere bessere Zeiten und manchmal auch die schaurigsten Geschichten in der Runde. Je mehr ich davon mithörte, umso neugieriger wurde ich auf eine Fortsetzung des Geschichtenerzählens. Mein Widerstand gegen ein rechtzeitiges Zubettgehen wuchs dabei immer mehr, jedoch nicht allein wegen meiner Neugier, sondern auch deshalb weil ich mich vor dem Alleinsein in der dunklen Kammer fürchtete. Die Schlafkammern befanden sich nämlich unter der Dachschräge. Sie hatten keine elektrische Beleuchtung. Man erreichte sie über eine knarrende Stiege. Dabei führten die Erwachsenen eine brennende Kerze mit. Nach dem Nachtgebet lag ich dann jedes Mal allein unter meinem dicken Federbett während meine Mutter oder die Tante mitsamt dem Kerzenlicht über die alte Holztreppe nach unten verschwand. Gespenstische Schatten drehten sich dabei noch einige Male um das rohe Gebälk des Dachbodens. Dann lag alles im tiefen Dunkel. Gelegentliches Knacken eines Balkens oder das Rütteln des Windes am Dach bewirkten, dass meine Phantasie oft noch lange an dem Faden aus der gehörten Erzählung weiterspann ehe ich endlich einschlief. Daran erinnere ich mich noch heute sehr gut, weil ich auch zu späterer Zeit noch häufig und für längere Dauer bei meinen Großeltern in Auerbach sein durfte, als meine Eltern schon längst eine gemeinsame Wohnung in Altenburg bezogen hatten.

      Bis in die Gegenwart hinein hänge ich mit einer besonderen Zuneigung an meiner Geburtsstadt und ihren Bewohnern, obwohl nun keiner mehr von denen am Leben ist, die ich einst kannte. Meine Tante Marie nahm mich fast immer mit, wenn sie Besuche oder Besorgungen zu machen hatte. Dadurch lernte ich alsbald die meisten Geschäfte und viele Menschen kennen. Beim Fleischer Müller um die Ecke, dessen Grundstück an das Unsere grenzte, erhielt ich manchmal ein warmes Würstchen aus dem stets angeheizten silberglänzenden Metallkessel vom Ladentisch. Aus dem Laden des Kaufmannes, in dem es geheimnisvoll nach Gewürzen, Kaffee und anderen Düften aus aller Welt roch, ging ich nie wieder heraus, ohne dass er mir ein paar Bonbons schenkte. Kolonialwarenladen

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