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weiteren Verhandlungen mit der Weltregierung zu warnen. Doch der russische Souverän winkte ab und ließ die Kritik seiner Berater ins Leere laufen. Tschistokjow betonte ihnen gegenüber, dass man keine Chance auf Frieden vertun sollte.

      Außenminister Wilden und die anderen Kabinettsmitglieder waren mit ihrem politischen Latein am Ende. Die zum ersten Mal verhältnismäßig positiven Berichte in der internationalen Presse schienen regelrechter Balsam für die Seele des russischen Staatsoberhauptes zu sein. Dieser genoss es offenbar, dass er endlich einmal nicht als „wahnsinniger Diktator“ oder „gefährlicher Kriegshetzer“ beschimpft wurde.

      So hielt Artur Tschistokjow nun auch im ganzen Land flammende Reden, in denen er seinen festen Willen zum Frieden beteuerte. Er sprach vom „Ende der Eiszeit“ und spielte damit auf den historischen Kalten Krieg zwischen der Sowjetunion und den USA an.

      „Einen solchen Zustand wollen wir nicht noch einmal haben. Jahrzehnte voller Misstrauen und Hass sind das, was unser kriegsbeuteltes Land zurzeit am wenigsten gebrauchen kann“, sagte Tschistokjow vor Tausenden seiner Rus bei einer Rede in Smolensk.

      Trotzdem schlug dem einst so revolutionären und radikalen Rebellenführer von Seiten seiner alten Kämpfer nach wie vor großes Unverständnis entgegen. Dass gerade er, der ansonsten immer seine unüberwindliche Feindschaft gegenüber den Logenbrüdern unterstrichen hatte, jetzt auf einmal vom Frieden mit dem Todfeind sprach, wirkte auf viele Rus nicht ganz zu Unrecht befremdlich.

      Frank und Alfred waren inzwischen wieder nach Minsk zurückgekehrt. Auch sie waren keineswegs von Artur Tschistokjows neuem Weg angetan und wandten ihre Aufmerksamkeit Wichtigerem zu. Frank verbrachte seine Zeit mit Julia und Friedrich, die sich schon riesig auf das Weihnachtsfest freuten. Für Anfang Dezember planten sie noch eine kleine Rundreise durch Weißrussland und wollten sich ein paar ruhige Tage in Brest gönnen.

      „Soll doch Artur erst mal machen, was er will“, meinte Bäumer zum Abschied zu den beiden. Und sicherlich war ein dauerhafter Frieden für sie alle auch nicht die schlechteste Option, wie sich Frank selbst eingestehen musste.

      Julia atmete die kühle, frische Luft tief ein, während sie von den Zinnen einer alten Burg auf die Stadt Brest hinabblickte. Heute schien die Sonne noch einmal mit aller Kraft durch den ansonsten wolkenverhangenen Dezemberhimmel.

      „Papa, was ist das für ein Ding?“, wollte Friedrich wissen. Er zupfte Frank an der Hose.

      „Meinst du dieses Gebäude?“

      „Ja! Wie heißt das?“

      „Das ist eine Burg, Friedrich! Dieses ganze Ding nennt man eine Burg!“

      „Burg?“

      „Ja, da haben früher Ritter gelebt …“

      Der Kleine runzelte die Stirn: „Ritter? Was sind denn das?“ „Das sind in der alten Zeit Soldaten gewesen“, erläuterte Frank, seinem Sohn zulächelnd.

      „So wie du, Papa?“

      Julia grinste und wandte ihren Kopf Kohlhaas zu. „Papa, der edle Ritter …“

      „Ja, so ähnlich. Aber die Ritter hatten Rüstungen und Schwerter – keine Sturmgewehre.“

      „Sturmgewehre?“, Friedrich kratzte sich am Kopf.

      „Nun erzähle dem Jungen doch nicht dieses militärhistorische Zeug, Frank!“, stöhnte Julia und ging zu einem kleinen Würstchenstand am Ende des Platzes.

      „Das ist jetzt etwas schwierig zu erklären, Friedrich …“

      „Sind das so Soldaten, wie du sie hast, Papa?“

      „Meinst du meine Orks aus Zinn?“, fragte Frank.

      „Ja, solche Monster. Die haben auch Schwerter und so.“

      „Aber die Ritter waren nicht grün“, scherzte Kohlhaas. „Komm ich zeige dir, wie ein Ritter aussah.“

      Vater und Sohn gingen ein wenig durch die alte Burg und kamen schließlich zu einem Gemälde, das einen Ritter darstellte. Friedrich kam aus dem Staunen nicht mehr heraus.

      „So sahen die Ritter aus. Sie hatten eiserne Rüstungen und Helme“, bemerkte Frank.

      „Oooh, ich wäre auch gerne so ein Ritter. Die sehen toll aus, Papa!“

      Kohlhaas schmunzelte. „Kannst du denn überhaupt kämpfen, du kleiner Winzling?“

      Friedrich antwortete auf diese Frage mit einem lauten Gejohle und versuchte, seinem Vater einen Tritt zu verpassen. Lässig wich Frank dem kleinen Beinchen aus. Er fing seinen Sohn auf, bevor dieser nach vorne über purzelte.

      „Klar! Ich kann auch kämpfen, Papa!“, quiekte Friedrich und krallte sich am Hosenbein seines Vaters fest.

      „Arrgh!“, rief er dann. Frank hob den Jungen hoch.

      Inzwischen hatten sich einige Besucher der Burg umgedreht und warfen den beiden verstörte Blicke zu. Friedrich lachte und johlte immer lauter, bis sich Julia hinter ihnen räusperte. Die hübsche Frau schüttelte den Kopf.

      „Musst du dem Kleinen denn immer diesen Mist beibringen und so wild mit ihm herumtollen?“, rügte sie Frank.

      „Wir haben doch nur ein wenig gespielt“, verteidigte sich dieser kleinlaut.

      „Ich frage mich manchmal, wer von euch beiden vier Jahre alt ist“, sagte Julia. Sie nahm Friedrich an die Hand.

      „Papa wollte mir zeigen, wie die Ritter kämpfen, Mama!“, versuchte der Kleine seiner Mutter zu verdeutlichen, doch diese winkte ab.

      „Jetzt ist Schluss mit diesem Unsinn und gekämpft wird heute gar nicht mehr. Iss jetzt erst einmal deine Wurst, Friedrich.“

      Wenige Minuten später waren die drei wieder in den Burghof gegangen; der Junge mampfte laut schmatzend vor sich hin.

      „If will auf mal ein Riffer werfen“, sagte Friedrich mit vollen Backen und schmiegte sich an seine Mama.

      „Aber zuerst musst du mal deine Wurst essen, klar?“, erwiderte Julia, dem Knirps den Kopf tätschelnd.

      So widmete sich der kleine Sohn erst einmal dieser Aufgabe und stellte seine Ritterkarriere hinten an.

      Die 12 Mitglieder des Rates der Weisen hatten sich heute in einem Chicagoer Hotel getroffen und waren gespannt, was der Weltpräsident bezüglich des jüngsten Treffens mit Artur Tschistokjow zu berichten hatte. Dieser wirkte zuversichtlich und strahlte eine gewisse Genugtuung aus. Um ihn herum hatten sich die anderen Mitglieder des obersten Gremiums der weltweiten Logenorganisation auf ihren Stühlen niedergelassen; neben dem Weltpräsidenten saß der Vorsitzende des Rates der 13.

      Der ergraute, zutiefst verschlagen wirkende Mann stand auf und verzog seine leicht wulstigen Lippen zu einem kurzen Lächeln.

      „Unser Bruder wird uns nun von seinem Treffen mit Artur Tschistokjow berichten.“

      „Danke, Meister!“, sagte der Weltpräsident leise, um dann mit seinen Ausführungen zu beginnen.

      „Es war schön in St. Petersburg, das vorweg. Dieser Tschistokjow ist ein hoffnungsloser Idealist. So wirkt er jedenfalls auf mich. Sicherlich ist er auch ein Fanatiker gegenüber denen, die sich ihm offen als Feinde in den Weg stellen, aber sobald man auf ihn versöhnlich einwirkt, wird er immer ruhiger und freundlicher.“

      „Was ist er für ein Mensch? Welche Aura hat er?“, redete ein Großbankier dazwischen.

      „Jetzt bitte keine Zwischenfragen! Darauf komme ich später zurück“, fuhr ihn der Weltpräsident an. Er erzählte seinen Brüdern in allen Einzelheiten von dem ersten Friedensgespräch; diese lauschten gespannt, wirkten erstaunt. Was die Führungsköpfe des Geheimbundes, die obersten 12 Auserwählten und Weisen, jetzt hörten, stimme sie, wenn sie diesen Gemütszustand überhaupt kannten, fröhlich.

      Der russische Staatschef hatte offenbar charakterliche Eigenschaften, die ihn gegenüber denen, die keinen Charakter besaßen, verwundbar

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