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Können als Fotograf schätzte und ihn als unbestrittenen Lehrmeister betrachtete. Aber es dauerte nicht lange, bis sie eine eigene Haltung zum fotografischen Sujet entwickelte und – im Gegensatz zu ihrem Lehrer – Menschen als wichtiges Element ihrer Bilder betrachtete. Dank ihrer Aufgeschlossenheit und dank der Tatsache, das sie leicht Zugang zu den Menschen auf der Straße fand, gelang ihr eine stärkere und dauerhaftere Identifikation mit Mexiko und den Mexikanern, die für Weston stets unergründlich und irritierend blieben.

      Anfang 1924 bildeten die mexikanischen Maler, die zu dieser Zeit die ersten Werke des später weltberühmt gewordenen Muralismus schufen, eine Gewerkschaft, die ihre Aufnahme in die Kommunistische Internationale beantragte. Ab März 1924 gaben sie die Zeitschrift EL MACHETE – wenig später offizielles Organ der Kommunistischen Partei Mexikos – heraus. In dieser Zeitschrift findet sich bereits im August 1924 der erste von Tina Modotti übersetzte Artikel über den italienischen Faschismus. Anders als Edward Weston diskutierte sie mit den mexikanischen Freunden nicht nur über die Kunst und ihre gesellschaftliche Rolle, sondern auch über die politischen Verhältnisse im Lande und in der Welt.

      Die Kommunistische Partei Mexikos war zu jener Zeit zahlenmäßig unbedeutend, aber zu ihren Mitgliedern und Führern gehörten einige der bekanntesten Künstler des Landes, fast alle enge Freunde Tinas. Auch die Freundschaft mit dem in Mexiko lebenden deutschen Wirtschaftswissenschaftler Alfons Goldschmidt, der die Sowjetunion aus eigenem Erleben kannte, sollte mitbestimmend für ihre politische Entwicklung sein, ebenso wie die Bekanntschaft mit Ella und Bertram Wolfe. Der Nordamerikaner Bertram D. Wolfe unterstützte die Mexikaner damals beim Aufbau der Kommunistischen Partei, und seine Frau Ella leitete die im Frühjahr 1924 gegründete mexikanische Sektion der Internationalen Roten Hilfe (IRH).

      Zwischen Dezember 1924 und August 1925 besuchte Edward Weston seine Familie in Kalifornien. Es ist auffällig, dass aus dieser Zeit nur wenige Briefe erhalten blieben, die Tina ihm aus Mexiko schrieb. Diese sieben Monate sind die am wenigsten dokumentierte Zeit in Tinas Leben, und mehrere Fakten scheinen die Hypothese zu untermauern, Tina könnte schon zu diesem frühen Zeitpunkt eine Reise nach Moskau unternommen haben.

      Leo M. Matthias, ein deutscher Schriftsteller, der im Jahre 1924 zu den ständigen Besuchern des Hauses Weston-Modotti gehört hatte, erinnert sich in seinen Memoiren an eine Begegnung mit Tina Modotti in Berlin im Jahre 1925, als sie »auf der Durchreise nach Moskau« war. Matthias versuchte, sie von der Sinnlosigkeit einer Weiterreise zu überzeugen und nannte als Argument »den Machtkampf zwischen Stalin und Trotzki«, bei dem Tina, wie er meinte, »leicht zwischen die Räder geraten« könnte. Es ist zwar möglich, dass sich Matthias im Jahre 1970, als er seine Memoiren schrieb, um fünf Jahre geirrt hat und dass er Tina erst 1930 in Berlin begegnete, aber zu diesem Zeitpunkt war der Hinweis auf den Machtkampf zwischen Stalin und Trotzki fehl am Platz, da Trotzki längst aus der UdSSR ausgewiesen worden war.

      Erstaunlich ist auch die Tatsache, dass Tina im Dezember 1924 ein Testament verfasste, das später unter Westons Papieren gefunden wurde:

      »Ich – Tina Modotti – vermache hiermit im Falle meines Todes an Edward Weston meinen gesamten persönlichen Besitz: Möbel, Bücher, Fotografien usw. sowie die gesamte Fotoausrüstung: Objektive, Kameras etc. Er kann für sich behalten, was er mag, und den Rest unter meinen Angehörigen und Freunden verteilen. Hiermit bekunde ich auch meinen Willen, verbrannt zu werden.«

      Was konnte eine Frau von nicht einmal 30 Jahren bewogen haben, ihr Testament zu machen? Der Gedanke an eine Reise nach Moskau liegt nahe, zumal Tina bereits im Jahre 1925 in der Einheitsfront für Sacco und Vanzetti und in der antifaschistischen Liga aktiv war. Aber hätte sie in Moskau einen politischen Kursus – etwa an der Universität der Völker des Westens – absolviert, so hätte sie Jahre später, als sie bei der Komintern ihre Kaderakte ausfüllte und ihren Lebenslauf schrieb, einen solchen Fakt auf keinen Fall verschwiegen. In ihrem 1932 verfassten Lebenslauf erwähnte sie auf die Frage nach ihrer politischen Bildung jedoch nur »die Bildung, die man sich aus revolutionären Büchern, bei Parteidiskussionen und auf Konferenzen erwirbt«. Und, wie sie besonders hervorhob, das, was sie von ihrem Mann Vittorio Vidali gelernt hatte, »der politisch viel weiter entwickelt ist als ich«. Wenn Tina also schon 1925 eine Reise nach Moskau gemacht hat, dann kommt als Anlass nur die Teilnahme an irgendeinem Kongress in Frage. Eine definitive Antwort können hier aber nur die Komintern-Archive in Moskau geben.

      Auf jeden Fall scheint Tina während Westons Abwesenheit nur wenig Zeit für die künstlerische Fotografie gehabt zu haben. Das beweist auch der Brief, den sie Edward Weston am 7. Juli 1925 schrieb:

      »Ich war nicht sehr kreativ, Edward: Weniger als ein Abzug im Monat – das ist schrecklich! Und doch ist es nicht so sehr mangelhaftes Interesse als vielmehr mangelnde Disziplin, mangelnder Wille. Ich bin jetzt davon überzeugt, dass Frauen, was das Schöpferische angeht (abgesehen von der Schöpfung der Spezies), uneffizient sind. Sie sind zu unbedeutend und es fehlen ihnen die Konzentrationskraft und die Fähigkeit, sich ganz von einer Sache absorbieren zu lassen. (…) Und da ich von mir persönlich spreche: Ich kann nicht, wie Du es mir einmal geraten hast, das Problem des Lebens lösen, indem ich mich im Problem der Kunst verliere – nicht nur, dass ich es nicht kann; ich fühle sogar, dass das Leben die Kunst beeinträchtigt. (…) In meinem Falle kämpft das Leben ständig darum, die Oberhand zu gewinnen, worunter die Kunst natürlich leidet. Mit Kunst meine ich Schöpfung jeder Art. (…) Ich kann das Leben nicht akzeptieren, wie es ist – allzu chaotisch, allzu unbewusst –, daher mein Widerstand dagegen, mein Kampf mit ihm. Ich strebe ständig danach, das Leben meinem Temperament und meinen Bedürfnissen anzupassen, mit anderen Worten, ich lege zu viel Kunst, allzu viel Energie in mein Leben und habe infolgedessen nichts mehr übrig, um es der Kunst zu geben…«

      Dass Tinas Kontakt zur sowjetischen Botschaft in diesen Monaten enger wurde, belegen ihre Porträtaufnahmen des ersten Botschafters Pestkowski und ihre Aufnahmen verschiedener Besucher von Empfängen und Feierlichkeiten. Im Juli 1925 begegnete sie auch dem sowjetischen Dichter Wladimir Majakowski, den sie ebenfalls fotografierte. Neben einem Foto Majakowskis mit dem mexikanischen Kommunisten Moreno, das sich im Besitz von Morenos Tochter Francisca befindet, konnten im Herbst 1993 im Moskauer Majakowski-Museum noch vier weitere Aufnahmen als Arbeiten Tina Modottis identifiziert werden.

      Ans Krankenbett ihrer Mutter gerufen, reiste Tina Anfang Dezember 1925 ihrerseits für einige Monate in die USA. Sie fand einen erwachsen gewordenen, politisch interessierten und in der antifaschistischen und kommunistischen Bewegung engagierten Benvenuto vor, mit dem sie die Entwicklung in Italien und in den USA, aber auch ihre mexikanischen Erfahrungen diskutieren konnte. Seltsamerweise ist ihr erster Brief an den mittlerweile wieder in Mexiko lebenden Weston im Januar 1926 datiert. Dass sie ihm erst einen Monat nach ihrer Abreise schrieb, mag an der zunehmenden Entfremdung zwischen beiden gelegen haben. Möglich ist aber auch, dass sie von ihren mexikanischen Freunden zur Teilnahme am Gründungskongress der nordamerikanischen Sektion der IRH delegiert worden war, der im Dezember 1925 stattfand. Das Exekutivkomitee der IRH in Moskau hatte enge Verbindungen zwischen der nordamerikanischen und der mexikanischen Sektion gefordert und es gab konkrete Pläne, von Mexiko aus die Bildung der Roten Hilfe in den Ländern Mittelamerikas und der Karibik zu koordinieren.

      Die von Robert D’Attilio erwähnte Tatsache, dass Tinas Name noch 1927 unter der Adresse ihres Bruders Benvenuto im Telefonbuch von San Francisco erschien, deutet ebenfalls darauf hin, dass die Beziehungen zwischen den Geschwistern nicht nur privater Art waren. Wahrscheinlich erleichterten sie auch den Kontakt zwischen kommunistischen Organisationen Kaliforniens und Mexikos. Das beweisen auch die Briefe, die Benvenuto um die Jahreswende 1928/29 an seine Schwester schrieb und in denen aktuelle politische Ereignisse sowie Probleme konspirativer und organisatorischer Art behandelt wurden. So gelangten beispielsweise die Nummern einer Zeitschrift, die im Jahre 1928 aus Mexiko nach Kuba geschickt und dort illegal verteilt wurden, auf dem Umweg über Benvenuto Modotti an ihren Bestimmungsort.

      Tina musste bei ihrem Aufenthalt in den USA feststellen, dass sich ihre früheren Freunde kaum für ihre Arbeiten interessierten. Ihr Brief an Weston vom 9. Februar 1926 – es war der vierte Todestag von Robo – lässt darauf schließen, dass sie in diesen Wochen intensiv über ihre Zukunft nachdachte:

      »Den ganzen Morgen bin ich durch meine alten Sachen gegangen, die hier in

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