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so. Öffentlich nenne ich stets nur den »Nom de Guerre«.

      Freunden gegenüber, die das genauso zu handhaben. Wenn uns die Polizei erwischt, sagt der Ertappte nichts über die anderen aus. Den Tipp habe ich vom Großvater. Der ist in der Résistance gewesen.“

      „Wer sagt dir, ob ich unter den Umständen überhaupt komme?“

      „Ich spüre deinen Drang, dieses Land zu verändern, wodurch du dich von den meisten Jasagern unserer Generation unterscheidest.“

      »ME« skizziert grob seine Vorstellungen auf die Rückseite eines Flugblatts.

      „Bekommst du das hin?“

      „Ich denke schon!“

      „Wir treffen uns nächsten Mittwoch, um zwei Uhr nach Mitternacht, auf der »Pont du Carrousel« vor dem »Louvre«.“

      Zwei Uhr in der Nacht. Vom »Place de la Concorde« kommend, rast ein Auto mit hoher Geschwindigkeit an Marcel vorbei. Kurz darauf schlendert »ME« in kurzen Hosen über die Brücke. »33« ist komplett in schwarz gekleidet. Der wohlhabende Sohn eines Winzers hat ein weißes T-Shirt und helle Halbschuhe an.

      „Bist du bereit?“, fragt »33« mit konspirativem Unterton.

      „Na klar!“, sagt »ME« emotionslos. „Zeig mir die Vorlage!“

      „Die Polizei sieht uns an dieser Stelle von weitem!“

      „Sei nicht so übervorsichtig! Je offensichtlicher, desto unauffälliger!“

      »33« holt vorsichtig den Karton aus der Tüte und hält das labile Gebilde mit der Schutzfolie in den Schein der großen Laterne neben der »Statue des Wohlstands«, in deren hohlen Sockel einst das Häuschen zum Abkassieren des Brückenzolls untergebracht gewesen ist.

      „Den Teufel hast du ausgezeichnet getroffen und die Buchstaben hast du perfekt hinbekommen. »ME33« als Signatur, übertrifft jede Erwartung!“

      „Die Schrift habe ich auf unserem Rechner mit dem Zeichenschnitt

      »Stencil« gestaltet und ausgedruckt.“

      „Bist du wahnsinnig! Wenn dein Vater die Datei findet!“

      „Ich bin nicht doof! Ich habe die Daten erst gar nicht gespeichert.“

      „Wer hält die Schablone? Wer sprüht? Hast du den Notizblock eingesteckt?“

      „Du bist mir einer! Bei der Nutzung des Computers rastest du aus, und im Gegenzug notierst du jede Straßenecke, an der wir sprühen auf dem Stadtplan. Wenn die Bullen uns schnappen, schreibt uns die städtische Reinigung spielend leicht die Rechnung für das Entfernen der Kunstwerke.“

      „Sind wir erst bedeutende Künstler, beweisen wir mit diesen Aufzeichnungen, an welchen Stellen wir die kleinen Botschaften hinterlassen haben.“

      „Warum sprayen wir nicht »Freestyle«? Das ginge schneller und das Ergebnis wirkt spontaner.“

      „Das nervige Geschmiere? »Zigoing« oder »Shaboom«? Das hat keinen Style. Wo bleibt die politische Aussage? Die Leute sind von den knallbunten Schmierereien genervt und viele schauen erst gar nicht mehr hin. Mit der Form hat das Statement Charakter, einen Wiedererkennungswert!“

      „Wir probieren die Wirkung des Graffitis besser erst einmal unten am Ufer aus?“

      „So vergeuden wir nur Zeit! Den ersten Schritt wagen wir gleich am Gebäude gegenüber!“

      „Am »Louvre«? Bist du von allen Geistern verlassen?“

      „Das Schloss ist das bekannteste Kunstmuseum der Welt. Wir verewigen uns an seinen Mauern und sind morgen früh berühmt! Ein Skandal! Das bestbewachte Bauwerk Frankreichs ist verschandelt! Denke nur an die Presse, die ihre Fotoreporter schickt!“

      „Und die Bullen?“

      „Siehst du einen?“

      „Jetzt nicht! Jeden Moment taucht eine Streife auf.“

      „Künstler zermartern sich nicht das Hirn über solche Nebensächlichkeiten. Angst vernebelt die Sinne. Lass uns endlich loslegen!“

      Die beiden Aktionskünstler überqueren den »Quai François Mitterrand« und schreiten auf den östlichen der fünf Torbögen zu. Auf dem anderen Ufer der »Seine« fährt ein Auto. Nervös zupft »ME« an einem Lederbändchen am Handgelenk. Das Brummen verhallt in Richtung »Palais Bourbon«. Unmittelbar unterhalb der italienischen Gemälden des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts hält »33« die Schablone an die halbhohe Wand mit steinernen Sitzgelegenheiten, die den Fußgängerbereich vom Verkehr trennt. Diese Ecke ist von zufällig vorbeifahrenden Fahrzeugen aus nicht einsichtbar. »ME« sprüht gleichmäßig – von links nach rechts und von oben nach unten – über die ausgeschnitten Stellen im Karton. Der erfahrene Hobby-Lackierer dreht die Dose auf den Kopf und bläst die restliche Farbe aus dem Ventil, um das Eintrocknen der Düse zu verhindern. Im Licht einer Taschenlampe holt »33« das Notizbuch aus der Tüte und notiert den Ort und die Uhrzeit. Ein erhabener Blick auf das gelungene Werk. Nach einer kurzen Trockenzeit verstauen die Freunde ihre Tatwerkzeuge wieder.

      „Wo sprühen wir als nächstes?“

      „Im Durchgang gegenüber zur »Rue de Rivoli«.“

      „Du läufst nicht allen Ernstes übers offene Gelände? An den Laternen sind Kameras installiert.“

      „Wir kriechen durch die Hecken. Dort sind wir für die Überwachungsbeamten unsichtbar.“

      „Am Ufer sind wir überhaupt nicht zu sehen!“

      „Für wahr! Und kein Mensch sieht dort unsere Botschaften!“

      Wenige Meter vor dem »Arc de Triomphe du Carrousel« leuchten im »Cour Napoléon« schlagartig gleißend helle Flutlichter. Schnell ducken sich die ihre Köpfe. Ein rechteckig geschnittenes Gebüsch dient ihnen als Deckung. Aus einem Seitenportal des Museums strömen schwer bewaffnete Soldaten auf den Platz und postieren sich in einer Linie vor der größten der gläsernen Pyramiden.

      „Ich habe dich vor den Überwachungsgeräten gewarnt!“, keucht

      »33« panisch. „Jetzt sind wir geliefert!“

      „Diese Veranstaltung ist staatlicher Natur und hat mit uns nichts zu schaffen. Einer der intriganten und korrupten Politiker empfängt vermutlich mitten in der Nacht einen geheimen Staatsgast. Die Medien sind aus leicht nachvollziehbaren Gründen nicht informiert.

      Ich sehe auf jeden Fall niemanden von der Presse.“

      „Und ich sehe keine Anzugträger. Nur Uniformierte. Das ist ein Manöver.“

      „Im Zentrum der Stadt? Aber egal, lass uns hurtig verschwinden!“

      Lautlos schwebt ein unbeleuchtetes Fluggerät heran. Das Luftfahrzeug, welches aus zwei durchdrungenen, ungleichen Zylindern mit einer komplizierten Oberflächenstruktur besteht, landet neben der großen Pyramide, ohne deren Glasfassade zu zerstören. Kurz bevor der seltsame Flieger aufsetzt, umgibt blaues Licht das Gefährt. Staub wirbelt auf. Eine Tür am Rumpf öffnet sich und eine Rampe fährt aus.

      „Ich traue meinen Augen nicht! Und ich bin der Auffassung gewesen, alle Flugzeuge der Welt zu kennen! Das Gerät widerspricht allen Regeln der Aerodynamik!“

      „Ich sehe weder Kennzeichen noch Flagge. Die Maschine scheint nicht aus Frankreich zu stammen.“

      „Das ist garantiert eine asiatische Neuentwicklung. Ungewöhnlich leise!“

      Ein Dutzend Männer und Frauen in Zivil schreiten andächtig durch das Tor des »Cour Carrée«, der seit dem Auszug des Finanzministeriums Teil der Ausstellung ist. Zwei Mitarbeiter tragen ein für den Louvre verhältnismäßig kleines Gemälde aus den Beständen der Kunstsammlung heraus.

      „Das sind die »Arkadischen

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