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neben der Fensterbank mit dicken bordeauxfarbenen Kordeln befestigt. Da das Haus nicht übermäßig geräumig ist, fragt sich der Junge, weshalb das Zimmer nicht längst einem anderen Zweck zugeführt worden ist.

      Eine Lampe aus den neunzehnhundertsechziger Jahren hängt leicht schräg von der Decke und ist neben dem Regal eines der modernen Elemente. Der Druck eines Gemäldes aus dem vierzehnten Jahrhundert, das die Altstadt von »Concarneau« zeigt, hängt über dem Bett. Dieses Bild lässt ihn träumen, wie einst die Segelschiffe vor der Kulisse der Wehranlage in See gestochen sind.

      „Hast du die leiseste Ahnung“, holt Tante Louane ihn aus seinen Wachtraum, „was das ist?“

      „Festung »Cornouaille« steht auf dem Bild. Demnach ist das die »Ville Close« von Concarneau.“

      „Das ist das »Tintargol« aus den alten Mythen! Das Heerlager unseres »Dux« Gorlois.“

      „Ich habe gelernt, »Tintagel« liegt im englischen »Cornwall«.“

      „Sprich »Cornouaille« mal ganz langsam aus! Da hast du dein »Cornwall«. Im Keltischen bedeutet »Cairn« Zuflucht und »Ouailles« Herde.“

      „Klingt nach Kuhstall.“

      „Das ist ein Hinweis auf den Beginn der Viehzucht, die weltweit ihren Ursprung in der Bretagne gefunden hat. Dort haben die ersten Hirten gelebt, bis Kain wegen des Brudermordes verschleppt worden ist.

      »Tintargol« ist das Römerlager und Wehrdorf, das vor dem Bau der Festung an dieser Stelle gestanden hat, denn für die Fundamente ist roter Lehm verwendet worden. »Tint« heißt Rot und »Argol« ist das keltische Wort für Lehm. Zur Zeit Artus standen in der Region weder Burgen noch Klöster oder Kathedralen, wie die Schriftsteller des Mittelalters das behauptet haben. Die Bretonen sind zu jener Zeit definitiv keine Christen gewesen.“

       432 nach Christus

      Merlin lässt die Sklaven, deren Zungen von Vortigern herausgeschnitten worden sind, das Gold aus dem eingestürzten Gewölbe des Turms bergen. Um das gewaltige Volumen zu reduzieren, befreien die Arbeiter das Material von Verzierungen, trennen über Quecksilberbäder andere Metalle heraus, schmelzen das Gold und gießen transportable Barren. Die Köhler holzen die Wälder ab. Anstelle der Bäume stehen immer mehr Schafe und Rinder auf den Freiflächen. Merlin versteckt den so gewonnenen Schatz in Höhlen des »Uhel Koat«1.

      Aurelius Ambrosius erhält in »Condate«, am Rande der Straße nach »Sulis«, eine nach römischer Sitte angelegte Ruhestätte in Form eines »Tumulus« für höhergestellte Persönlichkeiten. Sein Bruder Uther zieht – wie ihm der Seher prophezeit hat – nach »Gesogribate« und haucht »Léon« neues Leben ein. Die Provinz leidet seit damals an den Spätfolgen der Invasion unter Gaius Iulius Caesar und der Vernichtung sowie Deportation der »Osismier«.

      Uther wartet derweil ungeduldig auf seine Ernennung zum Heerführer. Aus »Ravenna« bleibt die kaiserliche Bestätigung aus. Das Machtvakuum ist höchst gefährlich. Deshalb greift der Stratege zu einer List und lässt seine Soldaten ihren »Reix« selbst bestimmen. In Miniou2 siegt Uther gegen den rebellischen »Reix« Pasgen von Buellt und Jouersunion3. Wie Merlin ihm aufgetragen hat, ist »Ker Léon«4 sein neues Hauptquartier. Das ehemals römische Feldlager »Saliocannus« liegt im oberen Teil der Halbinsel »Ben Trajon«, an der Nordküste des einstigen »Osismi-Reichs«. Zur Feier seiner Amtseinführung sind alle Stammesführer und Kriegsfürsten, die bei der Eroberung »Letavias« mitgewirkt haben, nach »Mons Relaxus«5 eingeladen. Auf einer weiten Lichtung in einem Tal an einem Ausläufer des Meeres steht ein großer, runder Tisch.6 Fortan nennt sich der »Reix« Uther Ben Trajon.

       Victor

      Der Riese »Reix von Léon«, Victor von Ker Ahes und Ker Mel-Karhez7, ist Uthers engster Vertrauter und hat das Fest organisiert. Erste graue Strähnen in den welligen Haaren und im Vollbart verraten sein Alter. Ebenso die erheblich verfärbten Zähne. Der kurze wettergegerbte Hals fließt über in einen muskulösen Körper mit Bauchansatz. Auffällig ist sein oft grundloses Grinsen, bei dem sein Gesicht knallrot anschwillt. Victor lehnt römische Lebensweisen ab. Bei ihm zuhause stehen nur Krüge mit vergärtem Apfelmost auf den Tischen. Wein und Cervesia passieren seine Landesgrenze nicht, obwohl Victor der Legion seinen Aufstieg und Besitz zu verdanken hat. Die Demütigungen durch den Dienstherren, zu Beginn seiner Laufbahn, sind nicht vergessen. Nach dem absichtlich herbeigeführten Sturz vom Reittier, der zur Erniedrigung erdacht gewesen ist, hinkt sein linkes Bein. Und genau diesem Vorgesetzten hat Victor, in der Hoffnung auf Anerkennung, in einer Schlacht das Leben gerettet. Dessen hämisches Lachen geistert ihm nach wie vor durch den Kopf. Die Wunde in seiner Seele, die das Zurückweisen der Hilfeleistung, dessen römischer Herkunft wegen bei ihm verursacht hat, heilt nicht. Nie vergisst Victor die dämonische Fratze des Prinzipals in jenem Augenblick, da sich im Zorn sein Schwert in dessen Seite versenkt hat und das römische Blut auf ihn zugeströmt ist. Erleichterung hat ihn überwältigt. Obgleich andere Römer ihn ignoriert oder sich einwandfrei verhalten haben, und ähnliche Vorfälle ausgeblieben sind, ist seine Ablehnung gegenüber dem Reich geblieben. Victor eilt aufgeregt, und alle Details kontrollierend, in seinen aus hochwertigem Wildleder gearbeiteten Halbsandalen um die Tafelrunde. Ihm folgt ein Duft von Pferd. Sein Gürtel, bestückt mit Kreiselementen aus Bronze und nach unten verlaufenden Zierketten, vermag nicht den korrekten Sitz der Kleidung zu gewährleisten. Des Umfangs wegen ist dieser stets bestrebt, nach oben zu rutschen. In der Folge hängt sein Herrenrock zu tief. Dazwischen drückt sich der mit Wachteln vollgestopfte Bauch heraus.

       Corneus

      Der verwitwete und zum zweiten Mal verheiratete »Dux« Corneus von Landévennec ist ein oftmals ungehorsamer Vasall gewesen. Beim Anblick des furchterregenden »Ex.Sal.Liburn« fällt der Abtrünnige vor »Reix« Uther Ben Trajon auf die Knie und schwört unbedingte Lehenstreue. Dank seiner Tapferkeit und Willenskraft, verzeiht ihm Uther diese Nebensächlichkeit und hält ihn im »Höchsten Collegium«. Vier Jahre zuvor sind die Sachsen erfolgreich vertrieben worden. Bis heute erinnern sich die Bewohner an die Siegesfeier auf »Ker Landévennec«. Corneus ist römischer Abstammung und eher kleinwüchsig. Sein kantiges, achtsam rasiertes aristokratisches Gesicht entspringt einem rechteckigen Kopf, der auf einem gedrungenen Hals sitzt. Seine Lachfalten, seine honigfarbenen Augen, seine verführerischen Brauen, seine ebenförmige Nase mit großen Nasenlöchern und sein kurz geschnittenes krauses Haar entsprechen dem aktuellen Schönheitsideal. Seine muskulösen Arme, den beträchtlichen Brustumfang und seine kurzen O-Beine verbirgt Corneus unter tadellos sitzender Toga und Tunika. Seine hochwertigen Sandalen stammen aus Rom, hat ihm der fahrende Händler versichert.

       Pellan

      Der von der »Insel« jenseits der »Garumna«8 stammende »Reix« Pellan von Listrac-Médoc ist bekannt für den verantwortungsvollen Umgang mit Finanzen. Sein Bruder Garlon ist ihm in seiner Heimat um ein Haar zum Verhängnis geworden. Während der winterlichen Belagerung durch die Goten hat jener den Speiseplan und sein Vermögen mit leichtfertigen Nachbarn aufgebessert. Vor Dank, in diesen Zeiten, nicht zu hungern, hat niemand nach der Herkunft der Ware gefragt. Mit der Zeit hat Garlon alle Vorsichtsmaßnahmen vernachlässigt. Als ein reicher Vater der Oberschicht Fleisch für seine Familie bei ihm gekauft hat, hing eindeutig erkennbar ein menschlicher Fuß am Knochen. Die aufgebrachten Dorfbewohner haben den Massenmörder hingerichtet und Pellan, für den Versuch ihn zu decken, vor das Tor getrieben. Der

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