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mit den Werken radikaldemokratischer Theoretiker wie z. B. Jean-Jacques Rousseau und später im Gefolge der Französischen Revolution und auch der popularen Reformbewegungen, die im Kontext des industriellen Kapitalismus und moderner Klassenformationen aufstiegen, entstand das Interesse an einem Staat auf der Grundlage eines universellen Systems der Repräsentation, verankert in einer schwachen Version des ›souveränen Volkswillens‹ (wie ihn Rousseau nannte) oder des Gemeinwillens. Dies wurde der Prototyp für die formalen Prozesse der repräsentativen Staatsführung. Dieses liberal-demokratische Herrschaftssystem musste sich hin zum ›liberalen‹ Staat transformieren. Dieser Prozess wurde in Großbritannien erst mit den Reformbewegungen der popularen und Arbeiterklasse des frühen 19. Jahrhunderts eingeleitet und war nicht vor dem erreichten Wahlrecht von Frauen im 20. Jahrhundert vollendet.

      Der Staat und gesellschaftliche Interessen

      Die Gesellschaft ist angefüllt mit machtvollen und konkurrierenden Interessen. Auf wessen Seite ist die Staatsmacht nun eingespannt? In welchem Interesse funktioniert der Staat?

      Gesellschaftliche Interessen sind sehr schwierig zu definieren. Die meisten Interessen konfligieren: Arbeiter brauchen höhere Einkommen, wollen aber den Preis für ihre Arbeitskraft nicht derart verteuern, dass sie ihre Lohnarbeit gefährden. Interessen sind auch historisch bestimmt: sie verändern sich im Laufe der Zeit und unter anderen Bedingungen. Geschichte erzeugt ›neue‹ Bedürfnisse und dementsprechend auch neue Interessen. Es gibt keine festgeschriebene, ewige Liste verallgemeinerter Bedürfnisse, die man einfach aus dem ›Menschsein‹ ableiten könnte. Unsere Interessen sind gesellschaftlich und kulturell bestimmt. Zudem können uns Interessen nicht schlicht auf der Grundlage unserer kollektiven Identitäten oder sozialen Position zugeordnet werden. Nicht alle ›Kleinbürger‹ wollen die Welt wie einen Kaufladen betrieben sehen. Nicht alle Arbeiter wollen eine revolutionäre Umwälzung der Gesellschaft. Nicht alle Bosse verfolgen ihr Interesse, indem sie die Armen immer weiter ausbeuten. Interessen neigen dazu, sich in bestimmten Weisen als eine Folge unserer sozialen oder Klassenposition, unserer Bildung und unserer Perspektiven herauszubilden. Aber es gibt keine festgeschriebene und unveränderliche Agenda der Klasseninteressen, die den gesellschaftlichen Gruppierungen formell zuschrieben werden kann, losgelöst von dem Prozess, in dessen Verlauf Interessen geformt und verändert werden, umkämpft sind und durch Kämpfe transformiert werden. Wenngleich die materiellen Interessen einen besonders starken Antrieb für das aktive Handeln bilden, sind sie nicht unwiderstehlich. Arbeitslosigkeit treibt nicht alle Arbeitslosen zwangsläufig dazu an, die Linken zu wählen. Probleme lassen sich nicht allein dadurch lösen, dass man sich auf die ›materiellen Interessen‹ beruft – auch wenn sie zugleich zu bedeutend sind, um sie außer Acht zu lassen. Auch ›Köpfe und Herzen‹ sind interessenlastig. Diese Voraussetzungen müssen berücksichtigt werden, wenn wir Theorien analysieren oder wenn wir Handlungen und Strategien von Gruppen erklären und uns dabei auf ihre Interessen beziehen, die sie gegenüber dem Staat durchsetzen wollen.

      Staatstheorien können auch dahingehend kategorisiert werden, wie sie gesellschaftliche Interessen und den Staat begreifen. Wie schon erwähnt, vertritt der Staat in liberalen Theorien die Interessen von individuellen Staatsbürgern. Seine Funktion ist das Schaffen von Bedingungen, unter denen Leben, Leib und Eigentum der Individuen geschützt und ihre ›Rechte und Freiheiten‹ gesichert werden können. In dieser Lesart werden Individuen als autonome Einheiten angesehen, angetrieben durch Eigennutz und durch ihr natürliches Wesen, das sie besitzergreifend konkurrieren lässt. Das ›Interesse‹ solcher Individuen dem Staat gegenüber ist die Öffnung der Gesellschaft für diese Antriebskräfte, aber zugleich, dass er den Zusammenbruch der Gesellschaft und ihr Zerfallen in einen destruktiven Wettbewerb verhindert: Hobbes’ Krieg aller gegen alle.

      Die pluralistische Vorstellung von Interessen und vom Staat erkennt an, dass moderne Gesellschaften nicht nur aus konkurrierenden Individuen bestehen. Es gibt große gesellschaftliche Gruppierungen – Klassen, ökonomische oder andere ›Interessengruppen‹ –, deren Interessen durchaus konfligieren können und in der Gesellschaft miteinander wetteifern. Um der ›freien Gesellschaft‹ willen muss es zulässig sein, dass dieser Wettbewerb fortschreitet; aber es muss nicht zugelassen werden, dass dieser Wettbewerb in Gewalt als Mittel der Konfliktbewältigung umschlägt. Eine ›Autorität‹ ist erforderlich, die die Konkurrenz innerhalb einer festgelegten Ordnung von ›Spielregeln‹ gewaltfrei hält; aber die ebenso gewisse gemeinsame Kompromisslösungen zustande bringt, die geeignet sind, den Konsens der Mehrheit des Volkes zu gewinnen. Dieser Schlichter ist der Staat. (Natürlich existieren noch weitere wohldurchdachte pluralistische Ansätze.)

      Der liberal-demokratische oder reformistische Ansatz argumentiert, dass es jenseits der Partikularinteressen, die der Staat repräsentiert, noch etwas anderes geben muss: z. B. die Gesellschaft oder die Gemeinschaft als ein Ganzes. Der Hüter dieses ›Gemeininteresses‹ ist der Staat. Der Reformismus erkennt an, dass, indem Individuen, Gruppen oder Klassen frei sind, um für ihren eigenen Vorteil in liberalen Marktwirtschaften zu konkurrieren, ein Bereich oder eine Klasse einen größeren Anteil an Wohlstand, Kapital, Profit und Macht akkumulieren wird. Der Staat muss daher zweifellos eingreifen, um die Bedingungen für eine Ausweitung von Gleichheit und sozialer Gerechtigkeit zu schaffen, ohne den zugrunde liegenden Wettbewerbsrahmen zu zerstören.

      Aber was, wenn konfligierende Interessen aus der Gesellschaftsstruktur selbst heraus entstehen? Marxistische Auffassungen vom Staat argumentieren, dass Klassen die tragenden Interessengruppen in der Gesellschaft sind; ihre Interessen stehen unvermeidlich im Widerstreit zu anderen (der Klassenkampf, nicht nur friedvolle Konkurrenz); diese Interessenkonflikte werden von der Struktur kapitalistischer Gesellschaften erzeugt. Klasseninteressen sind eigensinnig und strukturbedingt. Die Staatsmacht wird deswegen monopolisiert, entweder unmittelbar durch die herrschenden Klassen der Gesellschaft, oder sie wird eingespannt, um deren Gemeininteressen auszuweiten, zu schützen oder voranzubringen. 1884 schrieb Engels über die demokratische Republik: »In ihr übt der Reichtum seine Macht indirekt, aber um so sichrer aus.« (MEW 21: 167)

      Manche marxistische Auffassungen sehen den Staat als ein strukturelles Element, das beim Austarieren der Gewichte dem Gemeininteresse der herrschenden Klasse systematisch seine Überlegenheit sichert. Eine andere Auffassung sieht den Staat dergestalt eingreifen, dass er die Bedingungen für das ganze System erhält oder schafft, um es profitabler für die zu gestalten, die darin bereits bevorteilt sind. Es gibt gewiss noch weitere Auffassungen in marxistischer Perspektive.

      Solch vielfältig bestimmte – liberale, pluralistische, reformistische, marxistische – Auffassungen zielen darauf ab, alle möglichen Diskussionen über den Staat zu vermitteln. Diskussionen über den Staat mögen sachlich bestrebt sein, diese Auffassungen im Lichte empirischer Untersuchungen zu prüfen und weiterzuentwickeln. Aber all diese Debatten sind von ideologischen und theoretischen Vorverständnissen geprägt.

      Aus dem Englischen von Victor Rego Diaz

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