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Werdegang sind nicht die Summe ihrer Teile. Man kann den Ursprung nicht vom Endpunkt her zurückberechnen. Genauso wenig kann man voraussehen, wie sich ein Individuum entwickelt und welchen Verlauf dessen Leben nimmt. Viele herausragende Persönlichkeiten im positiven und negativen Sinn waren in Kindheit und Jugend ganz unauffällig und trugen weder Stigmata des Auserwähltseins noch Zeichen des Bösen.

      Was Hitler schließlich dazu bewog, Wien zu verlassen, die Stadt, mit der ihn nicht viel mehr verband als ein paar Bekanntschaften aus dem Männerwohnheim, war die Angst vor den Militärbehörden. Er hatte sich nämlich nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist zur Erfüllung seiner Wehrpflicht gemeldet. Und daraufhin war erst einmal drei Jahre lang nichts geschehen. Allein er traute diesem Frieden nicht und setzte sich im Frühjahr 1913 ins benachbarte Bayern nach München ab und damit seinen Fuß in das Land, von dem er immer behaupten sollte, dass es seines war: Deutschland. Bei seinem künftigen Vermieter, dem Schneidermeister Joseph Popp, gab er hochstaplerisch den Beruf des akademischen Architekturmalers an. Er behielt in München zunächst die Lebensweise bei, die er auch schon in Wien gepflegt hatte: Malte in seinem Zimmer Aquarelle und Ölgemälde und benutzte dabei Ansichtskarten als Vorlage. Nie malte er nach dem Original. Seine Arbeiten konnte er nun über eine Kunsthandlung verkaufen, das bedeutete einen gewissen gesellschaftlichen Aufstieg. Sein ereignisloses Einsiedlerdasein wurde allerdings durch eine Vorladung der Münchner Kriminalpolizei jäh unterbrochen. Den österreichischen Behörden war es gelungen, Hitlers Aufenthaltsort ausfindig zu machen. Daraufhin baten sie die bayrischen Kollegen um Amtshilfe. Es war der schauspielerischen Glanzleistung des auf diesem Gebiet unstreitig Begabten zu verdanken, dass es ihm glaubhaft gelang, den Polizeibeamten den kranken und armen Schlucker vorzuspielen. Bei der anschließenden Musterung am 5. Februar 1914 in Salzburg wurde diese Vorstellung durch das Ergebnis bestätigt: wegen schwacher körperlicher Konstitution vom Wehrdienst zurückgestellt.

      Nach der Ermordung des österreichischen Thronfolgers, befand sich Hitler am 2. August 1914 in der wartenden Menge auf dem Münchner Odeonsplatz und vernahm die Kaiserproklamation. Der junge Maler, der nicht für den habsburgischen Staat fechten wollte, war nun bereit für das Deutsche Reich zu sterben: „Mir kamen die damaligen Stunden wie eine Erlösung aus den ärgerlichen Empfindungen der Jugend vor. Ich schäme mich nicht, es zu sagen, daß ich, überwältigt vor stürmischer Begeisterung in die Knie gesunken war und dem Himmel aus übervollem Herzen dankte, daß er mir das Glück geschenkt, in dieser Zeit leben zu dürfen.“24 Diesen pathetischen Überschwang hatte er übrigens mit vielen gemein, allen voran Schriftstellern und Künstlern: Thomas Mann, Ludwig Thoma, Franz Marc, Gerhard Hauptmann und viele mehr.

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      Hitler (Kreis und Ausschnitt) in der kriegsbegeisterten Menge vor der Feldherrnhalle in München. Foto vom 2. August 1914.

      Adolf Hitler meldete sich als Freiwilliger. Dass er eigentlich Österreicher war, übersahen die Bayern im allgemeinen Trubel. Nach seiner soldatischen Grundausbildung wurde er am 1. September 191425 in das Königlich Bayrische 16. Reserve–Infanterieregiment eingesetzt. Sein Kommandeur Oberst Julius von List fiel bereits im Oktober 1914 in der Ersten Flandernschlacht, weshalb das Regiment hinfort ehrenhalber den Namen „List“ trug.

      Über sein erstes Fronterlebnis, der Einnahme des Dorfes Gheluvelt Ende Oktober in Flandern, schreibt der Frischling Hitler in seinem Bekenntnisbuch „Mein Kampf“, dass sein Regiment mit dem Lied „Deutschland, Deutschland über alles, über alles in der Welt“ vorangestürmt sei. Er führte über diesen Einsatz, den er als seine „Feuertaufe“ bezeichnete, weiter aus: „Nach vier Tagen kehrten wir zurück. (...) Die Freiwilligen des Regiments List hatten vielleicht nicht kämpfen gelernt, allein zu sterben wussten sie wie alte Soldaten.“26 Der Autor dieser Zeilen treibt die Selbstglorifizierung und Mystifizierung seiner Person rücksichtslos an der Wahrheit vorbei, wenn er schreibt: „Von meinem ganzen Haufen bleibt nur mehr als einer übrig außer mir, endlich fällt auch der.“27 Tatsächlich waren etwa 10 Prozent - 13 Mann von etwa 140 bis 160 Mann - aus der 1. Kompanie gefallen, zu der Hitlers Zug gehörte. Jedoch beleuchtet diese Passage Hitlers Vorstellung eines Sozialdarwinismus, nachdem nur der Starke überleben könne und er als der Stärkste von allen. Das Kriegserlebnis prägte sein Denken in dieser Hinsicht. Insgesamt war ihm allerdings dieses einschneidende Erlebnis in seinem Opus „Mein Kampf“ gerade einmal 25 Zeilen wert. Er resümiert: „Das war der Beginn. So ging es nun weiter Jahr für Jahr; an die Stelle der Schlachtenromantik aber war das Grauen getreten.“ 28 Bei einem anderen Autor dieses Satzes würde man eine gewisse Erkenntnis vermuten. Ein Begreifen der Sinnlosigkeit, die sich Tag für Tag um die Kämpfenden herum abspielte, das Leiden und Sterben, die Vernichtung und die Auslöschung.

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      Stellungskrieg in Ville-sur-Tourbe (Dép. Marne): “Avant l’assaut”- Französische Infanterie wartet im Schützengraben auf den Befehl zum Angriff.

      Kapitel 7

       Frontschweine und Etappenhengste

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      Tatsächlich aber war die Erstürmung des flandrischen Dorfes die einzige Kampfhandlung an der Front, an der Hitler teilnahm. Danach begann sein Einsatz als Meldegänger, als er am 9. November 1914 zum Stab des 16. Reserve-Infanterieregiments versetzt wurde. Sein Einsatzort, die Etappe, befand sich einige Kilometer hinter der Hauptkampflinie. Zwar wurden die sich dort befindenden Stabsquartiere auch ab und zu von einer Artilleriegranate getroffen. Aber dies war nichts im Vergleich zu der ständigen Todesgefahr, in der sich die sogenannten Frontschweine befanden. Sie standen unter Dauerbeschuss der feindlichen Maschinengewehre. Sein Einsatz als Melder kam seinem Naturell als verschrobenem Einzelgänger sehr entgegen: Geborgen zwischen den Kameraden und doch allein. Der Gefreite Adolf Hitler, zu dem er bald befördert worden war, wirkte auf die anderen Soldaten ein wenig wichtigtuerisch, aber harmlos und ein wenig verrückt. Seine Kameraden vermuteten augenzwinkernd, dass seine Kopfläuse ihm den Verstand vernebelt hätten und hielten ihn für einen Schwätzer und ein lächerliches Großmaul. Denn er hielt schon damals verworrene Ansprachen, dabei bezog er sein Wissen aus der Lektüre von Reclamheftchen.29 In seinen Reden war von Sieg und Veränderung der Gesellschaftsordnung die Rede und von der Errichtung eines freien Volksstaates. In seinen Aufzeichnungen betrieb er propagandistische Schönfärberei: „Ich bin jetzt beim Stab als Gefechtsmeldegänger. In Bezug auf Schmutz ist es da etwas besser, dafür aber auch gefährlicher. In Wytschaete allein wurden am Tag des ersten Sturmes 3, von uns 8 Mann, abgeschossen, einer schwer verwundet. Wir vier Überlebenden und der Verwundete wurden nun ausgezeichnet.“30 Hitler meinte das Eiserne Kreuz II. Klasse, das ihm bereits am 2. Dezember 1914 verliehen worden war. Das eiserne Kreuz I. Klasse sollte er für Tapferkeit vor dem Feind und persönliche Verdienste vier Jahre später, am 4. August 1918, auf Vorschlag des jüdischen Regimentsadjutanten Hugo Gutmann erhalten.

      Aber der Gefreite Adolf Hitler, dem sein Rang auch während seines politischen Aufstiegs noch lange verächtlich anhing, war keiner von denen an vorderster Front, die jeden Tag, jede Stunde und jede Minute ihr Leben riskierten und direkt in die Mündungen der Gewehrläufe der Feinde blickten. Das Niemandsland zwischen dem eigenen und dem gegnerischen Graben betrug manchmal nur fünfundzwanzig Meter.

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      Während eines Gasangriffs bringt ein Meldehund den Truppen Nachricht.

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