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waren diese Dinge ein schreckliches Räthsel, ich beklagte die Unglückliche, indem zugleich ein heimliches Entsetzen vor ihr Besitz von meiner Seele nahm. Ich weinte und ängstigte mich, ich wußte nicht warum, ich machte mir selbst Vorwürfe und konnte mich nicht besinnen, was ich verbrochen hatte. In diesem traurigen Zustande brachte ich den Morgen heran, da die Gräfinn von Rappersweil kam, mir die Nachricht von dem Tode der Unbekannten zu bringen. Sie war ganz erschöpft von den schrecklichen Auftritten dieser Nacht, ich fragte sie, ob sie keine Entdeckungen gemacht habe, die unsere Zweifel über diese seltsamen Dinge auflösen könnten, aber sie konnte oder wollte mir keine Auskunft geben. Wir wohnten in trauriger Stille der Beerdigung unserer elenden Mitgefangenen bey, sie ward in einen von den Höfen unsers Gefängnisses eingescharrt, und man führte uns von ihrem Grabe nach einer engen Wohnung in den vom Feuer verschonten Theil des Schlosses, welche derjenigen, aus welcher uns die Flammen getrieben hatten, fast ähnlich war; die wenige Freyheit, welche wir des vorigen Tages genossen hatten, war schon zu viel für die Härte unserer Hüter gewesen.

      Wir sanken einander in die Arme und weinten, trösteten uns, einander wieder zu haben, und weinten wieder, suchten uns von der traurigen Gegenwart durch Andenken an die Vergangenheit oder Hoffnungen für die Zukunft loszureissen, und fanden auch da wenig Beruhigung. Unser schrecklichster Gedanke war das Schicksal unsers kleinen Lieblings. Gott, was mochte aus ihm geworden seyn, wenn er auch dem Feuer entgangen war, das bald nach seiner Trennung von seiner Mutter hier so unaufhaltsam zu wüthen begunnte! Wir hatten des vorigen Tages die Stelle besehen, wo Hedwig ihn hinab ließ; die kleine Oeffnung war nicht hoch von der Erde, aber dicht von dem Platze, auf welchen er hernieder kam, senkte sich eine fürchterlich steile Klippe in die Tiefe hinab, und uns schauerte die Haut, wenn wir weiter dachten!

      Ich kann die Zeit nicht benennen, die wir in dem kläglichsten Zustande, durch nichts als gegenseitige Freundschaft getröstet, hier zubrachten, aber wie ich schon zuvor gesagt habe, Linderung und Hülfe war uns nahe.

      Unsere Hüter brachten uns eines Tages die Nachricht, der Graf von Vatz habe einen neuen Aufseher über dieses halb in Asche verwandelte Schloß herüber geschickt, und wir möchten nun zusehen, ob wir unter seinem Regiment nicht unser bisheriges Schicksal, den Gegenstand unserer unabläßigen Klagen zurückwünschen würden. Wir zitterten bey dieser prophetischen Warnung. Verdruß und Unwille über den neuen Diener von Graf Walters Rache lag sichtbar in den Zügen unserer bisherigen Kerkermeister, und doch getraueten sie sich kaum laut wider ihn zu murren; was für Aussichten für uns! Was mußte das für ein Mann seyn, welcher selbst jenen Unmenschen Furcht und Schrecken einjagen konnte!

      Er erschien wenig Stunden nach dieser Ankündigung, von unsern alten Hütern begleitet, in unserm Kerker, und wir wußten nicht, was wir aus ihm machen sollten. Walter Fürst, so hieß der künftige Gebieter über unser Schicksal, hatte ein Gesicht, welches Ehrfurcht und Zutrauen einzuflösen vermögend war, aber ein finsterer Zug entstellte es. Er würdigte uns kaum eines Anblicks, sondern sagte uns mit harter Stimme; wir sollten uns gefaßt machen gegen künftige Nacht diesen Ort zu verlassen, welcher für Gefangene unserer Art nicht mehr fest und sicher genug wär. Wir wollten einige Bitten um künftige gute Begegnung einschieben, aber er kehrte uns den Rücken, und ließ, wie uns dünkte, unsere Thür siebenmal fester als zuvor verriegeln.

      Doch gelang es dem Haupt unserer bisherigen Wächter, der sich, wie es schien, sein trauriges Amt ungern rauben ließ, zu uns zurück zu kehren, und unsere ohnedem genug beängstigte Herzen mit schrecklichen Erwartungen anzufüllen. Ich rathe euch, sagte er, euch diesem eingedrungenen Aufseher auf das möglichste zu widersetzen. Nichts als Verschlimmerung eures Schicksals kann eurer warten, wir wollen alle auf eure Seite treten, und euch hier zu behalten suchen. Was für Macht hat Fürst über uns oder über euch? Weigert er sich nicht so gar uns den Befehl des Grafen von Vatz zu dem, was er sich unterfängt, vorzuzeigen? – Und wer sind seine Begleiter? eine Handvoll schlecht bewaffnete Leute, die wir wenigstens durch unsere Menge überwiegen können!

      Der Mann, welcher uns vordem nur selten gewürdiget hatte, Worte mit uns zu wechseln, sprach noch lang in diesem Ton, und wir wußten nicht, was wir denken, oder welche Entschliessung wir fassen sollten, doch behielt endlich, als wir allein darüber zu rathe gingen, die Vorstellung die Oberhand, daß in einer Lage, wie die unsrige, jede Veränderung Verbesserung sey. Neue Gegenstände, andre Aussichten, vielleicht Gelegenheit zur Flucht, was ließ sich nicht alles von diesen Dingen erwarten! Wir waren einig unserm Schicksal nicht zu widerstehen, und Walter Fürst fand uns, als er um Mitternacht in unser Gefängniß trat uns abzuholen, bereit ihm zu folgen.

      Unser Widerstand hatte vielleicht das Signal für die Feinde des neuen Aufsehers seyn sollen, gegen ihn loszubrechen; wir fanden unser Vorgemach von ihnen erfüllt, alle waren bewaffnet, und ihre drohenden Blicke zeigten, was sie vorhatten, aber als sie uns gutwillig folgen sahen, so schien ihr Muth zu sinken, einige zuckten zwar die Schwerder, sich zu widersetzen, aber Fürsts Leute hatten auch gelernt, die Waffen zu gebrauchen, und unser Zug ward bald ungehindert fortgesetzt.

      Zittert, schrie unser Führer beym Abzug, zittert ihr Rebellen vor meiner Wiederkunft; ich werde den Willen meines Herrn bey euch geltend zu machen, euch zu zeigen wissen, daß ich das Amt, das Graf Walter mir anvertraute, behaupten kann.

      Man brachte uns, sobald der steile Bergweg zurück gelegt war, auf einen bequemen Wagen, und ich entdeckte meiner Freundinn, daß ich nicht wisse, was von dem ganzen Abendtheuer zu halten sey, weil mich gar eigen22 dünke, unter Fürsts Begleitern Henrichen von Melchthal erkannt zu haben. Hedwig kannte diesen Mann, den ich schon im Vorhergehenden genannt habe, gar wohl. Er war einer der redlichsten und muthigsten Männer im ganzen Zehngerichtenkreiß23, einer der treusten Unterthanen des Grafen Venosta, dem er noch jetzt, da diese Gegend in den Händen des Grafen von Vatz war, sowohl als mir mit vollem Herzen anhing. Henrich von Melchthal? rief die Gräfinn, o ist dieser in unserer Nähe, so sind wir mehr als halb gerettet; nur Gelegenheit, uns ihm kenntlich zu machen, die uns nicht fehlen kann, und er wird nicht ermangeln, unsere Fesseln zu brechen! Ich wollte ihr eben zu Stärkung ihrer süssen Hoffnungen sagen, wie dieser Mann der einige gewesen sey, der bey meiner Abführung nach Uspunnen es gewagt habe, laut zu murren, und wie ich festiglich glaube, er befinde sich nicht von ohngefehr unter unsern Begleitern, als Walter Fürst, mit einem ganz andern Wesen, als er zu Uspunnen annahm, an den Wagen kam, und uns mit ehrerbietigem Ton anredete. Edle Frauen, sagte er, ihr seyd gerettet, und hier ist derjenige, dem ihr eure Rettung zu verdanken habt. Es war dunkel, wir fühlten mehr als wir sahen, daß uns bey diesen Worten, nach welchen sich der Sprechende sogleich, ohne Antwort zu erwarten, entfernte, noch eine dritte Person auf unsern Wagen geliefert ward, aber wie konnten wir zweifelhaft seyn, wer es sey, als Hedwig ihren Nacken von ein paar zarten Armen umschlungen fühlte, und den Namen Mutter in ihre Ohren schallen hörte.

      Der Name des verlornen Kindes, das nun so unvermuthet wieder in unsern Armen lag, tönte zugleich aus unserm Munde. Die Gräfinn verlor vor Entzücken auf einige Augenblicke Sprache und Besonnenheit, und ich dachte bey der Freude, das verlorne Kind gerettet wieder zu sehen, und so nachdrückliche Winke von unsrer eigenen Rettung zu haben, kaum daran, meiner Freundinn zu Hülfe zu kommen. Als wir uns beyde erholten, ließen wir die Namen Walter Fürsts und Henrichs von Melchthal laut erschallen, weil uns eine nähere Erklärung dieser räthselhaften Dinge sehr am Herzen lag, aber man hörte uns nicht, Erklärungen und müssige Danksagungen waren hier unzeitig, unsere Flucht ging schnell wie ein Sturmwind durch das weite Thal. Jenseit jenes Gebürgs, oder auf der Fahrt über den Thunersee24, konnten wir erst völlige Erläuterung hoffen, und mußten uns vor der Hand nur an der einfältigen unzusammenhängenden Erzählung des kleinen Rudolfs genügen lassen, den Walter Fürst nicht ohne Grund unsern Retter nannte.

      Ach ja, die Vorsicht25 hatte Hedwigs verzweifelten Entschluß ihren Liebling aus ihren Armen zu lassen, zu unsern Besten gebraucht. Welche unbedeutende Kleinigkeit kann nicht in der Hand des weisen Regierers aller Dinge das Mittel unseres Glücks werden? Selbst unsere Unvorsichtigkeiten, selbst unsere Fehler sind in dem großen Gewebe der Zufälle nicht unbrauchbar, und haben oft, von höherer Hand gelenkt, ganz andre Folgen als sie wahrscheinlich haben konnten und sollten.

      Rudolfs guter Engel hatte ihn in jener Nacht einen gefährlichen Weg zwischen Klippen und Abgründen hinabgeleitet. Ein Landmann aus dem Frutigerthale26 fand

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