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und ungebrochenen ›Wir‹ gründet aber auf einer problematischen Auffassung von Identität. ›Wir‹ zu sagen, setzt Identität immer schon als gegeben voraus und gründet damit auf einem kollektiven Konzept von Identität, das einer Projektion entspringt. Denn kollektive Identität entsteht erst in Prozessen der Identifikation. Es gibt keine eigene Identität ohne das Andere; das Eigene ist allenfalls im Singular mit sich selbst identisch. Ein identitäres ›Wir‹ überträgt die Gleichheit einer Sache auf problematische Weise auf eine Gruppe, für die es keine Identitäten in einer bereits schon feststehenden singulären Form gibt. Jede Gruppenidentität setzt sich aus vielen Identitäten zusammen. In diesem Sinne ist Identität hier nicht von sich selbst her, sondern immer vom Anderen her zu denken und in ihrer Pluralität anzuerkennen. Das Andere ist die Bedingung dafür, dass es überhaupt Eigenes geben kann. Die problematische Konstruktion eines einheitlich gedachten ›Wir‹ übersieht die Tatsache, dass die Möglichkeit von Identität erst über den Anderen gegeben ist. Die Vorstellung einer ungebrochenen und vom Anderen radikal abgetrennten Identität negiert den Anderen in seiner konstitutiven Funktion und grenzt das Andere bzw. den Anderen gewaltsam aus. Für Kermani liegt in der Annahme einer »einzigen Identität« deshalb ein »Gewaltpotential«, das aus der »pragmatischen Einschränkung, die jede Art von Identifizierung bedeutet, eine reale Verstümmelung der Persönlichkeit« macht.4 Die Anerkennung einer schon immer plural verfassten, in sich gespalteten Identität, fordert letztlich auch eine Art der Selbstbeschränkung, die jedes Identitätspostulat anerkennen muss.

      Was mit dieser Einsicht gewonnen wird, ist die Möglichkeit eines offenen Dialogs. Um überhaupt in einen Dialog treten zu können, ist zunächst ein Akt der Selbstbeschränkung und Selbsttransformation notwendig. Denn erst die Anerkennung der Tatsache, dass sich über kulturelle Identität nur sprechen lässt, wenn Alterität mitgedacht wird, schafft die Möglichkeit des Dialogs, nämlich in einer ebenso selbstkritischen wie erkenntniskritischen Haltung gegenüber Identität. In dem prekären Balanceakt, zwischen dem Eigenen und dem Anderen das Wagnis einzugehen, vermeintlich eigene Sicherheiten aufs Spiel zu setzen, wird der Raum eröffnet, um miteinander ins Gespräch zu kommen.

      Kermanis Plädoyer für eine Politik der epistemischen Selbstbeschränkung heißt letztlich auch auszuhalten, dass Identität niemals ein Wesensmerkmal von Personen ist, sondern erst über Verfahren der Ein- und Ausgrenzung hergestellt wird. In diesem Sinne ist Identität ein eminent politischer Begriff, denn Individuen können Identität erst über bestimmte Normen und Wertvorstellungen herstellen, die geteilt werden müssen. Deshalb basiert die Vorstellung einer kulturellen Identität auf einer Projektion. Kultur lässt sich nicht auf einen Nenner bringen, sondern gründet auf Konzepten der Alterität und Pluralität. Schon in dem zunächst harmlosen Bemühen, Identität festzustellen, liegt bereits eine gewaltsame Seite kollektiver Identifikation. Denn die für diesen Diskurs der kulturellen Selbstbehauptung notwendigen Prozesse der Ein- und Ausgrenzung können nicht ausgeschlossen bleiben. Die oft beschworene Formel einer kulturellen (europäischen) Identität stellt also eine Konstruktion dar, die dann gefährlich wird, wenn damit die Bemühungen der Fest-Stellung eines allseits verbindlichen Konzepts, eines homogenen Gebildes verknüpft sind. Was auf den ersten Blick harmlos erscheint, wird dann problematisch, wenn mit dem Begriff von Identität normative Aufforderungen gesetzt und politisch instrumentalisiert werden. Demgegenüber liegt die ebenso zivilisatorische wie politische Aufgabe einer Kultur gerade darin, Unschärfen, Unsicherheiten und Ambivalenzen von Identität auszutarieren, statt sie einer gemeinsamen Identität zu unterstellen.

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      Es gibt keine Positionierung außerhalb der uns umgebenden Bedingungen. Vielmehr entsteht auch individuelle Identität nur aus den Verbindungen heraus, in die wir immer schon eingelassen sind. Mit diesem Gedanken schließen wir an Judith Butlers Konzept des Angewiesenseins an: Das Subjekt lässt sich keineswegs als Zentrum eines bedingungslos Über-sich-Verfügens denken, sondern es wird erst im Austausch mit anderen und damit im Modus der Ent-Eignung konstituiert: »Wir werden vom Anderen dekomponiert«, schreibt Butler und betont damit die Verwiesenheit eines exponierten und zum Anderen hin geöffneten Selbst.5 Deshalb muss auch eine Politik der Identität und Selbstbestimmung eingestehen, dass selbst noch ein generalisiertes ›Wir‹ sich allein über Prozesse der Ausgrenzungen konstituieren lässt und in jeder Form eines kollektiven ›Wir‹ immer schon die Möglichkeit von Kritik bereits eingeschlossen ist. Die nur scheinbar einfache Frage: »Wer gehört dazu?« öffnet sich einem Hinterfragen: Für wen spreche ich und was ist die Position, von der her ich spreche? Bei Fragen nach Identität und Subjektivität sind diese Verflechtungen und Verstrickungen der eigenen Position mitzudenken, bevor wir politische Selbstbehauptungen aufstellen. Weil diese Ambivalenzen weder ausgeräumt noch verhindert werden können, kann erst aus ihrer Anerkennung individuelle wie politische Handlungsfähigkeit entstehen.

      In diesem Sinne möchte der Band einen Beitrag für eine Kultur des gegenseitigen Zuhörens leisten. Dazu müssen zunächst wichtige Hintergrundinformationen geliefert werden, um mit der erforderlichen Sorgfalt thematisieren zu können, welche Hindernisse bestehen, welchen Grund die Schwierigkeiten haben und wie sie entstanden sind. Kommunikative Dissonanzen sind ebenso ein kulturelles Phänomen wie der Umgang mit ihnen und die Suche nach Verständigung. Kommunikationshemmnisse entstehen, wenn Menschen mit unterschiedlichen Vorgeschichten und Lebensformen aufeinandertreffen. Im umsichtigen Umgang mit anderen können sie zu Kommunikationskernen werden. Der ethische Kerngehalt von ›Integration‹– ein aktuelles Schlagwort – ist die Anerkennung. Anerkennung kann, wie es Hegel 1805 formulierte, nur als wechselseitiges Verhältnis, als Beziehung, gedacht werden: »Der Mensch wird notwendig anerkannt und ist notwendig anerkennend.«6

      Mit den hier versammelten Beiträgen von zwei europäischen Islamforschern und zwei muslimischen Intellektuellen werden solche auf wechselseitige Anerkennung ausgerichteten Perspektiven zur Auseinandersetzung mit dem Islam eröffnet: Es geht um zeitbezogene Alltagsbeobachtungen zur Ausgrenzung islamischer Kultur (Rifa’at Lenzin), um die Verflochtenheit von Islamfeindlichkeit und europäischer Kolonialgeschichte (Richard Nennstiel), um die verschlungenen Pfade der Überlieferung antiken Wissens (Ulrich Rebstock) sowie um die existenzielle Dimension religiösen Denkens in der Gegenwart (Ahmad Milad Karimi). Als Herausgeber wollen wir mit diesen Texten dazu beitragen, Denkräume und Vorstellungswelten zu erkunden, Einseitigkeiten aufzubrechen, Ambivalenzen auszuloten und so Vorurteile abzubauen. Jenseits von Stereotypen wird der Islam als Kultur befragt und gleichzeitig im Kontext europäischer Kulturen zur Sprache gebracht. Wir verstehen die Texte als eine Aufforderung, Handlungsweisen vielstimmiger zu machen.

      Wir danken der Hanseatischen Universitätsstiftung für die Unterstützung des Studium generale in Lübeck und Brita Dufeu für die sorgfältige Betreuung der Manuskripte.

       Cornelius Borck, Christoph Rehmann-Sutter und Birgit Stammberger

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