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vielen Dank. Bis morgen also.“

      Kala sagte: „Ja, bis morgen.“

      „Doktor Ranjini?“ Jayas Frage kam schnell und unüberlegt. „Ist alles in Ordnung? Oder habe ich mich in irgendeiner Weise falsch benommen Ihnen gegenüber?“

      Er höre ihr feines Lachen. „Nein, nichts dergleichen. Aber auf der Säuglingsstation herrscht das Chaos, ein paar unvorhergesehene Problemfälle sind eingetroffen und ein paar Engpässe im Personalplan tun ihr Übriges. Ich kann hier gerade einfach nicht weg.“

      Erleichtert sagte er: „Sie scheinen Ihren Beruf sehr zu lieben. Wird Ihr Mann da nicht manchmal eifersüchtig?“ Er hatte es fragen müssen, um sicherzugehen, um zu erfahren, ob sie verheiratet war und nur unverheiratet wirkte, und wartete angespannt auf ihre Antwort. „Ich bin nicht verheiratet“, kam es vom anderen Ende der Leitung. Ihre Gegenfrage stand unausgesprochen im Raum und er ersparte es ihr, sie formulieren zu müssen. „Ich bin selbst auch unverheiratet“, sagte er von sich aus.

      Sie lachte wieder und fragte scherzhaft: „Und warum hat man für einen Mann wie Sie keine Ehe arrangiert?“

      Er überlegte kurz, was und wie er es sagen sollte, und entschied sich für einen kurzen Satz: „Die Menschen scheinen schon immer gedacht zu haben, dass ich ein Typ bin, der allein zurechtkommt.“ Jaya selbst merkte erst in der abwartenden Stille zwischen ihnen, dass seine Antwort nicht eindeutig gewesen war und in zwei Richtungen interpretiert werden konnte. Er ärgerte sich über seine Formulierung, sie kam ihm unfair vor, als wolle er ihr Rätsel aufgeben, und sagte schnell: „Ich meinte damit, dass ich mich, entgegen allen Traditionen, wohl auch um diese Frage selbst kümmern muss.“

      Sie spürte, dass in dieser Antwort viel Humor und gleichzeitig die Wahrheit lag, viel Einsamkeit wahrscheinlich obendrein. Sie entdeckte sich selbst in seiner Antwort wieder. Eine neue Art der Nähe zwischen ihnen war spürbar. Sie gaben beide einen zustimmenden Seufzer von sich und verabschiedeten sich voneinander.

      „Bis morgen“, sagte Jaya und wiederholte noch ein paar Mal, auch als sie schon längst aufgelegt hatte, ihren Namen.

      „Bis morgen, Kala.“

      Am Abend, nach dem Essen, alle Hausaufgaben waren erledigt, das Geschirr wieder gespült und die Tische wieder sauber, der Boden gefegt, spielten die Jungen in ihren Zimmern. Die Gäste hatten ihnen mehrere Sets Mikado mitgebracht und jetzt saßen sie jeweils zu viert oder fünft auf dem Boden und übten sich in Geschicklichkeit.

      Raja spielte mit und als er eine Spielrunde gewann, strahlte er über das ganze Gesicht. Das Großartige an diesem Moment des Erfolgs aber war, dass sich, wie bei jedem anderen auch, die anderen Jungen alle mitfreuten, ihm auf die Schulter schlugen, gratulierten, ihn lobten. So ging das jetzt seit über einer Stunde und einer der Gäste, der Journalist, der die Kinder beim Spielen beobachtete, traute schon die ganze Zeit über seinen Augen nicht. Er verstand nicht, wie man so eifrig spielen konnte, sich so ins Zeug legen, um zu beweisen, dass man es schaffen konnte, und dann trotzdem den anderen so von Herzen ihren Erfolg gönnte. Irgendetwas war hier völlig anders, als er es sonst kannte.

      Gegen neun Uhr gingen die beiden Erzieher durch die Zimmer und riefen alle Kinder zum Abendgebet zusammen. Sie setzten sich im Gemeinschaftsraum, in dem auch gegessen wurde, in einem großen Kreis auf Matten auf den Boden, einige hatten Trommeln mitgebracht, alle ihre selbst gestalteten Liederbücher, und dann begannen sie laut zu singen. Raja setzte sich mit in den Kreis und hörte fasziniert zu. Die Gäste hatten sich außerhalb des Kreises auf Stühle gesetzt und waren auf ihre Weise ebenso begeistert von dem Gesang der Kinder.

      Nach ein paar Liedern sagte Jaya: „Heute erzähle ich euch eine Geschichte, die mir eine schwarze Freundin aus Amerika einmal erzählt hat. Unsere Gäste haben weiße Haut, aber auch in ihrem Land gibt es Menschen, die dunkelhäutig sind. Ihr könnt sie gerne danach fragen, wie es dazu gekommen ist, nicht wahr?“ Er wandte sich fragend an die vier Männer, die sofort bereitwillig nickten.

      Jaya sagte: „Ich bin der Dunkelste in meiner Familie, aber meine Mutter hat mir immer gesagt, dass ich schön bin und liebenswert. Und ich habe mich entschieden, ihr zu glauben. Sie hat uns Kinder immer alle gleich behandelt. Sie war darin ein großes Vorbild, finde ich. Andere würden zum Beispiel die Jungen vorziehen, aber meine kleine Schwester bekam genauso viel zu essen wie wir Brüder. Aber jetzt Schluss damit, kommen wir zur Geschichte.“

      Jaya hatte für diesen Abend eine Geschichte ausgewählt, die die Kinder verstehen würden und die die Gäste an seinen Gedanken teilhaben lassen konnte. Und so begann er zu erzählen:

      „Es war zu der Zeit, als Schwarze zum allerersten Mal Land kaufen durften, ein kleines Grundstück und ein eigenes Haus bauen; leicht, aus Holzbrettern; Kälte hielt das nicht ab, aber den Regen. Joanne wohnte zusammen mit ihren Eltern und vielen Geschwistern, ihren Tanten und Onkels und vielen Cousinen und Cousins, insgesamt an die zwanzig Kinder, in der Farmgegend. Hier arbeiteten die Erwachsenen auf dem Feld.

      Eines Tages spielten die Kinder zusammen, als es plötzlich anfing zu regnen. Ein Sturm zog auf, der Himmel wurde dunkel, Tante Serena war die Einzige, die da war, und sie rief die Kinder ins Haus.

      Ein Gewitter krachte und blitzte. Es regnete wie aus Eimern und der Sturm rüttelte an dem kleinen Haus.

      Und dann traute Joanne ihren Augen nicht. Sie saßen alle zusammen in ihrem Holzhäuschen und plötzlich wurde eine Ecke des Hauses hochgehoben; es war einfach zu leicht. Da sagte ihre Tante Serena:

      ,Kinder, haltet euch an den Händen und geht mit mir zu der Ecke, wo das Haus wegfliegt, der Stelle, wo das Haus am leichtesten ist, und stellt euch mit eurem ganzen Gewicht gegen das Wetter.`

      Sie taten sofort, was sie sagte. Alle blieben, niemand rannte weg und ließ das Haus im Stich. Sie waren eine Gruppe wie wir, an die zwanzig Kinder, Verbündete, die sich an den Händen hielten und die dann mal da und mal dort in die nächste Ecke gingen, sich an die Wand lehnten und wieder zurück in die Ecke gingen. Der Sturm zog vorbei und das Haus war stehen geblieben.“

      Jaya schwieg für einen Moment und sagte dann: „Ich sage euch, warum ich diese Geschichte mag und was sie mir sagt. Dieses Erlebnis von Joanne ist eine Erfahrung, die ich auch immer wieder mache. Das Leben nimmt uns an die Hand. Wir stehen zusammen auf. Jeder einzelne Mensch hat Gewicht. Wir sollen uns gegen das Wetter stellen. Wir müssen zusammen in die Ecken gehen, wo diese Welt am schwächsten ist, wo das Lebenshaus von Familie Mensch am leichtesten auseinanderfliegen kann.“

      Und damit stand er auf und sagte: „Kommt, lasst uns einen großen Kreis bilden und auch unsere Gäste und Raja mit hineinnehmen. Lasst uns einander an den Händen fassen und beten.“ Mit ein paar wenigen Worten bat Jaya seinen Gott um Segen und Schutz für die Nacht. Sie sangen ihr Gutenachtlied, ein Kinderlied, untermalt von Trommeln:

       Segensreiche Nacht.

       Die Engel singen.

       Denn das Licht des Himmels kam zur Welt, liegt in seinem Bett, in einer Krippe.

       Seine Mutter gibt ihm einen Kuss und singt ihm ein Schlaflied.

       Segensreiche Nacht.

      Kapitel 7

      Das Geräusch des Motorrollers unterbrach Priya in ihren Gedanken. Sie lief, um das kleine Tor zu öffnen, aber als sie dort ankam, war Ganesh bereits vor ihr angekommen und ließ Jaya in den Hof fahren. Wo war der Kleine denn plötzlich hergekommen? Er war so leise und so unauffällig wie ein Chamäleon, das sich seiner Umgebung anpasste, um nicht entdeckt zu werden. Er schien jahrelange Übung darin zu haben, nicht aufzufallen, man musste das schon fast als eine besondere Fähigkeit betrachten.

      Jaya war um das Haus herumgefahren, hatte geparkt und kam jetzt auf sie zugelaufen. Er grüßte mit einem Lachen und hielt

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