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Sie thront exakt an jener Stelle, wo 1968 muslimische Handwerker die „Lichtgestalt“ erstmals bemerkt hatten.

      IN DER KATHEDRALE

      Bei der Pforte gibt es Probleme. Ahmed wird der Eingang verweigert! Als Muslim darf er nicht hinein. Das irritiert, denn tags davor hatten wir „ungläubigen“ Europäer problemlos das Innere mehrerer Moscheen in Alt-Kairo besucht. Nach einem Sicherheitscheck und der erneuten Bestätigung, dass wir wahre Christen seien, dürfen zumindest wir passieren. Zwei „Aufpasser“ begleiten uns über eine Treppe zum Portal, öffnen das Kirchentor und schenken uns gnädig eine halbe Stunde für die Besichtigung. Wir betreten das majestätische Kirchenschiff, das bis zu 2000 Gläubigen Platz bieten könnte. Wir sind die einzigen Besucher.

      Ich suche nach Darstellungen der Marienerscheinungen und finde sie im Chorbereich auf der linken Seitenwand, knapp unter der Kuppel. Hier ist die Erscheinungsstätte gleich dreimal als zeitgenössisches Fresko verewigt worden. In der Mitte mit einer überdimensional großen Jungfrau Maria, die ihre segnenden Hände ausbreitet. Links davon sind ein mysteriöses „Wolkengebilde“ und „weiße Tauben“ abgebildet. Und ganz rechts erblicken wir das Haus Mariens mit der schemenhaften „Lichtgestalt“. Es sind die einzigen Gemälde in der Kathedrale, die an die Ereignisse von 1968 erinnern (siehe Farbteil Seite 66).

       Deckenfresko in der Kathedrale

      SONDERBARE RELIQUIENKAMMER

      Unsere „Leibwächter“ deuten auf die Uhr. Wir haben gesehen, was wir wollten, und pilgern weiter. Zum Ausklang erhalten wir das Angebot, die Prunkräume des verstorbenen Patriarchen Schenuda III. zu besichtigen. Man zeigt uns den kurzen Fußweg zum koptischen Verwaltungsgebäude hinter der Kirche. Im ersten Stock betreten wir die mit allerlei Pomp überladene Reliquienkammer. Auf dem vergoldeten Sterbebett seiner Heiligkeit liegen gefaltete Papierstückchen. Fürbitten, die fromme Seelen hinterlassen haben.

      Ausgestellt sind Gewänder und Gebrauchsgegenstände aus dessen Amtszeit, vom kirchlichen Telefon bis zu heiligen Teetassen. Daneben Urkunden und Kugelschreiber, die dem Patriarchen zur Unterzeichnung päpstlicher Schriftstücke dienten. Originell sind Kunstwerke, die Schenuda III. verklärt darstellen. Auf einem der Gemälde sieht man den Patriarchen im Krankenbett mit Heiligenschein. Vor ihm die himmlische Erscheinung Marias. Wir sagen „Vergelt’s Gott“ und steuern die wahre Erscheinungsstätte im Garten auf der gegenüberliegenden Straßenseite an (siehe Farbteil Seite 65 rechts unten).

       Reliquienkammer des koptischen Papstes Schenuda III.

      DIE ERSCHEINUNGSKIRCHE

      Das Betreten des schmucken Kirchleins offenbart ein ganz anderes Bild als jenes in der großen Kathedrale. Hier tummeln sich auch jede Menge Gläubige, die „Maria im Licht“ huldigen. Gleich nach dem Portal bilden sich Warteschlangen. Das Innere der Erscheinungskirche ist mit Ikonen der Heiligen Jungfrau und dem Erlöser, den Evangelisten sowie christlichen Märtyrern geschmückt. Überragendes Zentralmotiv ist das blaue Deckenfresko unter der Kirchenkuppel. Es zeigt die Gottesmutter im Sternenhimmel. Die überirdische Dame blickt samt Heiligenschein herab zu den Gläubigen und hat beide Arme rechtwinkelig nach oben gerichtet. Ihre Armhaltung entspricht der Hieroglyphe „Ka“ und steht für „Lebenskraft“. Die erhobenen Hände galten im Alten Ägypten als Zaubergeste, um böse Mächte abzuwehren, waren aber ebenso ein Aspekt des Überirdischen, das den Tod eines Menschen überdauert.

      Das erinnert mich an alte Darstellungen, die den ägyptischen Schöpfergott Chnum zeigen, wie er mit „Ka-Magie“ auf der Töpferscheibe Menschen formt und ihren geklonten Astralkörper gleich mit. Berühmt ist die Holzstatue des Pharaos Hor I. (13. Dynastie, um 1732 v. Chr.) im Ägyptischen Museum in Kairo. Der König trägt auf seinem Haupt das geistig-seelische Kraftzeichen „Ka“. Es bleibt ungewiss, ob die analoge Gestik von Maria in der Erscheinungsstätte vom Künstler beabsichtigt war oder doch nur auf unbewusstem Gleichklang beruht (siehe Farbteil Seite 67 oben).

       Erscheinungsort: die kleine Kirche der Jungfrau Maria in Zeitoun, schräg vis-à-vis der Kathedrale

      Der Verdacht, dass die Ursachen und Hintergründe von „Marienerscheinungen“ bereits in vorchristlichen Epochen ihren Anfang genommen haben könnten, scheint mir nicht abwegig. Ein Indiz dafür liefert ein heiliger Ort, der nur zwei Kilometer von der Wallfahrtskirche in Zeitoun entfernt liegt: der Marienbaum von El Matarija. Der Legende nach ein weiterer Platz, wo die Heilige Familie auf ihrer Flucht aus Judäa eine Zeit lang wohnte: heute eine von Mauern umfriedete Gartenoase, die von Wachpersonal geschützt wird. Dank ägyptischer Begleitung dürfen wir in den heiligen Bezirk. Hier finden sich Spuren einer Süßwasserquelle sowie die Überreste des legendären Marienbaumes, der bereits Jesus, Maria und Josef Schatten gespendet haben soll.

      Der Urbaum soll vor über 2000 Jahren geblüht haben. Bereits Kleopatras Balsamgärten haben an diesem Platz verführerisch geduftet. Die Überlieferung erzählt, dass der Marienbaum mit jenem mythischen Baum identisch sei, unter dem bereits Jahrhunderte zuvor die altägyptische Isis (Göttin der Magie, Geburt und Wiedergeburt) den vom toten Osiris empfangenen Horusknaben gesäugt habe. Götterdichtung? Oder übernahmen orthodoxe Kleriker eine mystisch-fromme Vorstellung, die bereits lange Zeit zuvor an diesem heiligen Ort existierte?

       Statuette der altägyptischen Göttin Isis mit dem Horusknaben

       Vergilbte Postkarte aus dem 19. Jahrhundert: So hat der Baumriese einst ausgesehen.

       Seit 2015 keimt der Marienbaum wieder neu.

      Als wir vor dem Wunderbaum stehen, stockt uns der Atem: Leider war an der uralten, denkmalgeschützten Sykomore (auch „Maulbeer-Feige“ oder „Esels-Feige“) um 2013 ein grauenvoller Vandalenakt verübt worden, entweder im Auftrag der Behörden, von dilettantischen Stadtgärtnern oder fanatischen Islamisten. Irgendwann in diesem Zeitraum wurden von irgendjemandem große Teile des heiligen Baumes mittels Kettensäge abgesägt.

      Ein Frevel sondergleichen, der weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit geschah. Immerhin: Als wir die geschändete Stätte besuchen, keimen frische grüne Zweiglein auf dessen verstümmelten Überresten. Für uns ein kleines Wunder, denn der Baum galt bereits als abgestorben (siehe Farbteil Seite 67 unten).

      SELBSTPRODUZIERTER FOTOSPUK?

      Metaphysisch mutet noch etwas an: Gleich neben dem Marienbaum steht ein Gebäude, das als kleines Museum dient. Hier sind die Fluchtroute und die Aufenthaltsorte der Heiligen Familie mittels Bildern und einer Landkarte rekonstruiert. Ich habe in dem Häuschen fleißig fotografiert. Wieder daheim in Wien sticht mir bei der Durchsicht der Reisebilder ein Foto ins Auge. Es zeigt in der Bildmitte unten einen gleißenden Lichtfleck mit Halo. Hatte ich in El Matarija eine „Erscheinung“ dokumentiert? Oder einen Geist geknipst? Vermutlich gibt es eine irdisch-vernünftige Erklärung dafür. Am ehesten wohl eine Spiegelung. Doch dort, wo das grelle Lichtgebilde hinweist, gab es weder am Boden noch an anderer Stelle eine Lichtquelle, die den Effekt hätte auslösen können. Wunderlich ist dies allemal (siehe Farbteil Seite 68 oben).

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