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Der Schatz der Kürassiere. Herbert Schoenenborn
Читать онлайн.Название Der Schatz der Kürassiere
Год выпуска 0
isbn 9783960080138
Автор произведения Herbert Schoenenborn
Издательство Автор
Die beiden Soldaten gehörten zur Besatzung von Fort Plappeville im Westen der Stadt. Seit der Mobilmachung am 15. Juli war es mit dem bis dahin doch recht geruhsamen Soldatenleben zu Ende.
Die Besatzung der Festung stand seitdem in andauernder Kampfbereitschaft, mit all ihren unangenehmen Begleiterscheinungen, wie Ausgangssperre, häufigen Alarmen und Appelle zu allen Tages- und Nachtzeiten und den alle vier Stunden stattfindenden Wachwechseln.
Seit dem Rückzug der Rheinarmee nach Metz, durften sie sich noch nicht einmal mehr außerhalb des Forts bewegen. Obwohl sie mit einem festen Dach über dem Kopf in diesen Kriegstagen zu den previligierten Armeeangehörigen gehörten, empfanden sie ihre Situation trotzdem alles andere als angenehm. Um für ein paar Stunden dem kräftezehrenden Dienstrhythmus und der Enge des Forts zu entfliehen, hatten sie sich freiwillig zur Begleitung von Grau und Muller gemeldet.
Richard Fréchencourt öffnete eine schwere Eichentür und bat die beiden Besucher einzutreten. Interessiert sahen Grau und Muller sich um. Die Größe des Raumes war imponierend. Er maß ungefähr zehn mal fünfzehn Meter. Die Stirnseite beherrschte ein Buntglasfenster mit militärischen Motiven aus der Zeit Napoleon Bonapartes, das die Bibliothek in gedämpfte Farben tauchte. In der Mitte der linken Längswand befand sich ein großer marmorner Kamin, der an kalten Tagen spielend in der Lage sein musste, die gesamte Bibliothek mit wohliger Wärme zu versorgen. An der rückwärtigen Wand, direkt neben der Türe, glorifizierte ein, vom Parkettfußboden bis zur eichenholzener Fassettendecke reichendes Bild den siegreichen Napoleon Bonaparte, offenbar nach der Schlacht von Austerlitz.
Die freien Wandflächen bedeckten Regale, die vom Boden bis zur Decke lückenlos mit Büchern gefüllt waren. Auch der obligatorische Globus in der Mitte des Raumes fehlte nicht. Komplettiert wurde die Einrichtung durch eine gemütliche Leseecke vor dem Fenster, bestehend aus vier mit dunkelrotem Samt bespannten Sesseln und einem quadratischen Tisch mit einer gekachelten Oberfläche. Fréchencourt bat die Besucher dort Platz zu nehmen. Nachdem sich auch der Hausherr gesetzt hatte, ergriff Muller sofort das Wort.
„Zunächst einmal unser Beileid zum Tode Ihres Vaters. Wir sind von seinem Tod etwas überrascht, denn wir hatten fest damit gerechnet, ihn hier in Metz anzutreffen.“ Fréchencourt entgegnete seufzend:
„Auch für mich und meine Familie kam sein Tod unvorhergesehen, denn ich wusste bis vor zwei Tagen nichts von seinen Herzbeschwerden, die erst in den letzten beiden Monaten vor seinem Tod aufgetreten sein mussten. Bei der Feier anlässlich seines sechzigsten Geburtstags im Oktober vergangenen Jahres sagte mein Vater in seiner Tischrede noch, er habe eine Menge Ideen, die er unbedingt verwirklichen wolle. Gleichzeitig ließ er durchblicken, dass er deshalb einen Ort brauche, an den er sich zurückziehen könne, um ungestört arbeiten zu können.
Um zu unterstreichen, wie ernst er es damit meinte, ersteigerte mein Vater im März aus der Erbmasse eines Kunsthändlers dieses Stadthaus hier, einschließlich des kompletten Inventars.“ Der Hausbesitzer machte eine ausladende Handbewegung. „Dazu gehören auch die gesamten Bücher dieser Bibliothek, bei denen es sich hauptsächlich um wertvolle Kunstbände handelt. Ich habe leider bis heute noch keines davon durchblättern, geschweige denn lesen können.“ Fréchencourt lehnte sich zurück, schlug die Beine übereinander und nahm den Faden wieder auf.
„Alors, mein Vater hielt sich seit Anfang April fast ausschließlich hier in Metz auf. Er reiste ein-, zweimal im Monat für jeweils zwei, drei Tage nach Paris, um nach dem Rechten zu sehen, wie er scherzhaft zu sagen pflegte. Zuhause in Paris schien er mir immer sehr abwesend zu sein und konnte es offenbar kaum erwarten, wieder den Zug nach Metz zu besteigen. Meine Mutter und ich vermuteten daher, dass er sich mit etwas außerordentlich Bedeutsamen befasste.“
„Oui, Ihre Vermutung war absolut richtig, Monsieur Fréchencourt. Ihr Vater hat an Entwürfen für ein neues Geschütz gearbeitet, und deshalb sind wir hier“, entgegnete Muller, und Grau fuhr fort:
„Er beabsichtigte seine Entwürfe am 25. August, also heute in vier Tagen, im Kriegesministerium dem Militär vorzustellen. Hier ist ein entsprechender Brief Ihres Vaters vom 5. August.“ Er übergab Fréchencourt den Brief. Nachdem der Hausherr ihn gelesen hatte, sah er seine Besucher nachdenklich an.
„Messieurs, wenn es um militärische Dinge ging, war mein Vater sehr zugeknöpft. Selbst mich hat er nur selten eingeweiht. Er hielt es für besser, dass niemand wusste, woran er gerade arbeitete, offenbar auch um die Familie zu schützen.“
Das Gespräch wurde unterbrochen, als sich die Tür öffnete und Philippe einen Servierwagen mit dampfenden Tee und einem silbernen Tablett mit verschiedenen Käsesorten in die Bibliothek rollte.
„Ich hatte eben vergessen zu erwähnen, dass Weißbrot bereits in der Frühe nicht mehr zu bekommen war. Da Mehl rationiert ist, gehen den Bäckern so langsam die Vorräte zur Neige“, grantelte Philippe.
„Schade, da kann man nichts machen.“ Fréchencourt sah Philippe an. „Mon ami, seien Sie doch nicht so mürrisch wegen der Geschichte von vorhin“, sagte er beschwichtigend, und an seine Besucher gewandt fügte er erklärend hinzu: „Nun ja, ich kann seinen Zorn sehr gut verstehen, vor allen Dingen, weil Sie sich gewaltsam Zutritt zum Haus verschafft haben, Messieurs. Auch ich bin der Meinung, dass es auch anders gegangen wäre.“
„Sie haben vollkommen Recht, Monsieur Fréchencourt“, gab Grau zerknirscht zu. „Verzeihen Sie uns!“
„Schon gut, vergessen wir´s. Alors, Philippe lässt sich gewöhnlich nicht so leicht überrumpeln, denn er ist nicht wie es den Anschein hat, einer meiner Dienstboten, sondern eigentlich mein Sekretär und Leibwächter. Einige Aufgaben des Dienstpersonals hat er nur übernommen, weil ich ihn darum gebeten habe. Denn die Haushälterin und den Hausdiener meines Vaters habe ich vor Tagen bei einer mir bekannten Familie untergebracht. Ich beabsichtige dieses Haus wieder zu verkaufen. Unsere Familie benötigt es nun nicht mehr, aber ich will zunächst einmal den Ausgang des Krieges abwarten.“
Fréchencourt beobachtete amüsiert seinen Sekretär, wie dieser professionell Tee in die Tassen füllte.
„Wie Sie sehen, Messieurs, hätte Philippe sicherlich auch einen guten Butler abgegeben.“ Philippe warf Fréchencourt einen bösen Blick zu, setzte die Teekanne hart auf den Rechaud und verließ erhobenen Hauptes die Bibliothek. Fréchencourt empfand, dass die Tür ein klein wenig lauter ins Schloss fiel als üblich. Muller grinste und setzte das Gespräch fort:
„Monsieur Fréchencourt, Sie können sich sicher vorstellen, dass man sich in unserem Ministerium wegen Ihres Vaters große Sorgen machte.“
„Sie meinen wegen der Pläne“, warf Fréchencourt mit hochgezogenen Augbrauen ein.
„Das auch, aber in erster Linie wegen Ihres Vaters, denn die Pläne alleine hätten uns ohne seine Erläuterungen sicher nicht viel genützt“, gab Muller zu.
„Alors, aufgrund der prekären Lage rund um Metz mussten wir befürchten, dass Ihr Vater mitsamt den Plänen bei seiner Reise nach Paris von der Gegenseite abgefangen werden könnte, eine Katastrophe. Wir beide hatten daher vom Kriegsminister den Auftrag erhalten, Ihren Vater unter Militärschutz zu stellen, ihn hier abzuholen und nach Paris zu geleiten. Allerdings hatten wir uns die Sache etwas einfacher vorgestellt“, seufzte Muller und schob sich ein Stück Käse in den Mund. Nach einiger Zeit berichtete er weiter:
„Obwohl unser Ministerium sowohl über alle Bewegungen der eigenen und gegnerischen Truppen, als auch über den Verlauf der Gefechte immer auf dem neusten Stand war, hatten wir gehofft, mit etwas Glück unseren Auftrag ohne Probleme erfüllen zu können. Pierre und ich konnten nicht damit rechnen, dass sich die Lage unserer Truppen innerhalb so kurzer Zeit dermaßen verschlechtern würde.
So benötigten wir leider, entgegen unserer Erwartungen, von Paris nach hier vier ganze Tage, da wir größere Umwege in Kauf nehmen mussten. Wir waren bereits am 15. frühmorgens aufgebrochen. Weil wir wussten, dass die Eisenbahnstrecke Paris – Metz direkt hinter Nancy durch deutsche Verbände unterbrochen war, blieb uns nichts anderes übrig, als auf eine andere Eisenbahnroute auszuweichen. Wir sind daher mit dem Zug über Reims bis Mézières gefahren. Von Mézières aus