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durch irgendetwas, was nicht gut für sie war, durcheinandergebracht worden sei. Fragte mich, ob ich bemerkt hätte, dass Angels die meiste Zeit gesprächig und normal und fröhlich war, aber immer dann, wenn sie anfing, über Kunst oder irgendein anderes abstraktes Thema zu sprechen, in eine andere Welt abzudriften schien, in der man ihr nicht mehr recht folgen konnte. Dachte darüber nach und kam zu dem Schluss, dass sie recht hatte. Später am Abend zum Beispiel teilte uns Leonard noch etwas über seine neue Freundin mit.

      »Angels ist Tänzerin, nicht wahr, Angels?«

      »Nun, ja, das stimmt – das ist mein Beruf.«

      »Wirklich!«, rief Anne. »Wie interessant. Davon haben wir so gut wie keine Ahnung. Darf ich fragen, was Tanz für Sie bedeutet, Angels?«

      Wieder dieser abwesende Ausdruck in ihren Augen, aber auch noch etwas anderes – eine Furcht, etwas Drängendes. Beim Sprechen machte sie elegante, wedelnde Bewegungen mit ihren Fingern, doch die Worte kamen aus ihrem Mund wie tote Blätter, die ziellos im Wind wehen.

      »Was Tanz bedeutet? Nun, für mich geht es beim Tanzen im Wesentlichen darum, die philosophischen Parameter eines spezifischen kreativen Prozesses zu erfassen und dann den Mut aufzubringen, sie mit künstlerisch kohärenten Kommunikationslinien miteinander zu verknüpfen. Ich sehe den Tanz als eine fundamentale Neuausrichtung spiritueller Energie, die sich verbindet mit der Vision eines konkreten Anderen oder auch innerhalb der eigenen selektiven Vorstellungswelt. Für Tänzer ist es wichtig, sowohl den Fluss als auch die Unterströmungen des menschlichen Herzens als Schöpfer von Wellen und Gezeiten auf dem Ozean der menschlichen Erfahrung zu empfinden. Das ist es, künstlerisch ausgedrückt, was Tanz für mich bedeutet.«

      Erneute widerhallende Stille. Dann sagte Thynn: »Dann geht es also nicht darum, nach einem bestimmten Muster die Beine zu bewegen?«

      Angels machte die Augen wieder weit auf und sah ihn schmachtend an. »Doch, Leonard, das hast du sehr gut ausgedrückt. Du bist ein Mann mit außerordentlichem Einsichtsvermögen.«

      »Bin ich das?«, sagte Leonard und machte ein überraschtes, geschmeicheltes Gesicht. »Bisher haben mir eigentlich alle zu verstehen gegeben, dass ich alles andere bin als das. Mein alter Schuldirektor sagte mir, ich sei das primitivste Überbleibsel neandertalscher Begriffsstutzigkeit, dem er je zu begegnen das Missgeschick gehabt habe.«

      Er lächelte nicht ohne einen gewissen Stolz.

      »Das habe ich mühelos auswendig gelernt. Er hat es mich nämlich hundertmal abschreiben lassen, nachdem er so kleine weiße Flecken in den Mundwinkeln bekommen hatte, weil er mir etwas partout nicht beibringen konnte – irgendetwas mit einer x Zentimeter tiefen Badewanne, die sich in y Stunden füllte, wenn z Liter Wasser alle was weiß ich für ein Buchstabe Minuten hineinflossen.«

      »Wisst ihr was? Das ist doch großartig!«, sagte Anne. »Wir könnten eine Tänzerin für unsere Tournee gebrauchen, meinst du nicht, Adrian? Besonders jetzt, wo Barry uns so ein großzügiges Angebot gemacht hat?«

      »Äh, ja – ja, warum nicht?«

      Versuchte, mir gegenüber Anne nicht anmerken zu lassen, wie sehr mich dieser angedeutete Vorschlag erschreckte. Ich habe gelernt, den Instinkten meiner Frau zu vertrauen, aber ich muss zugeben, dass ich mit Tänzern in der Kirche selbst unter günstigsten Voraussetzungen nicht viel anfangen kann. Mir kommt es immer so vor, als ob sie sich in Gewänder hüllen, die verhindern, dass man sieht, was für Bewegungen sie machen oder welchen Geschlechtes sie sind, und dann mit einer von ungefähr vier verschiedenen flehenden Gesten nach oben deuten und mit einem Knie in der Luft anbetend auf die Lampenschirme starren. Außerdem konnte ich mich des Gedankens nicht erwehren, dass Angels, wenn ihr Tanz von der gleichen Qualität war wie ihre Lyrik, sich vermutlich in der Tat gleichzeitig vorwärts und rückwärts bewegen sowie in die Luft springen und zu Boden fallen würde. Vermutlich würden wir nicht einmal eine Chance haben, Angels selbst tanzen zu sehen, bevor die Tournee begann.

      »Sagen Sie, Angels«, fragte Anne, als hätte sie meinen letzten Gedanken gelesen, »treten Sie in den nächsten Tagen irgendwo auf, damit wir kommen und Sie tanzen sehen können?«

      Angels blickte zu Boden. Ihre Stimme hörte sich deutlich leiser an.

      »Ich habe schon seit Langem nicht mehr viel gemacht. Es war schwierig. Aber morgen Nachmittag mache ich etwas bei den alten Leuten im Seniorenstift Clay House. Keine große Sache, aber wenn Sie wirklich Lust haben …«

      Vereinbarten, morgen Nachmittag zum Zuschauen zu kommen.

      »Übrigens«, sagte Angels, »was ist das eigentlich für eine Tournee, auf die Sie gehen?«

      Thynn wurde bleich und sah Anne und mich beschwörend an.

      »Es ist eine christliche Vortragsreise«, sagte Anne freundlich, aber bestimmt. »Wir sind Christen. Adrian schreibt christliche Bücher, die die Leute – nun, sie finden sie ziemlich witzig und manchmal auch hilfreich. Die Tournee ist für uns eine Gelegenheit, den Leuten mehr über Jesus zu erzählen.«

      »Ach so«, sagte Angels. Sie runzelte die Stirn und wandte sich an Leonard. »Dann bist du auch Christ, Leonard?«

      »Manchmal«, sagte Thynn unglücklich, »aber nicht wirklich, na ja, ich schätze schon.« Plötzlich geriet er in Panik:

      »Aber ich kann jederzeit damit aufhören, wenn du mich deswegen nicht mehr magst! Mir ist es egal, was ich bin, ehrlich! Was bist du? Ich werde auch einer.«

      »Warum hast du mir das nicht gesagt?«, fragte Angels. »Ich bin froh, dass du einer bist. Wahrscheinlich hilft dir das dabei, so ein guter Mensch zu sein.«

      Schaute zu, wie Erleichterung, Verwirrung und Verlegenheit auf Thynns Gesicht Ringelreihen tanzten.

      »Und Sie, Angels?«, fragte Anne. »Haben Sie auch irgendeinen Glauben?«

      Wieder der abwesende Blick.

      »Ich glaube an eine heilige Verantwortung, sich auszustrecken und die Berührung des schlechthin Anderen zu empfangen, und ich glaube, wir sollten stets danach streben, die ätherischen Stränge zu zelebrieren, die in das wahre Menschsein eingewoben sind.«

      »Methodistin also«, sagte Gerald.

      Alle lachten, Angels genauso wie wir anderen.

      Fragte Anne beim Schlafengehen, was sie von Angels hielte.

      »Ich mag sie sehr«, sagte sie, »und es ist schön, Leonard so glücklich zu sehen. Sie hat wohl ziemlich schwere Zeiten hinter sich und es fällt ihr schwer, gewissen Dingen ins Gesicht zu sehen. Wir sollten sie in unsere Reihen aufnehmen, meinst du nicht? Vielleicht ist sie genau das, was wir brauchen, um unserer Tournee mal einen anderen Touch zu geben. Warten wir mal ab, wie es morgen ist.«

      Hmm! Ich mag Angels auch. Kann aber einfach die leise Sorge nicht abschütteln, dass die »philosophischen Parameter eines spezifischen kreativen Prozesses« sich am Ende als ein bisschen Herumhüpfen und Mit-den-Armen-Wedeln entpuppen werden. Wir werden sehen.

      Anne, Gerald und ich machten uns heute Nachmittag auf zum Seniorenstift, um Angels beim Tanzen zuzuschauen. Riefen vorher noch mal an, um uns zu erkundigen, ob das geht. Die verantwortliche Person meinte, das sei kein Problem. Ihre alten Damen und Herren sähen gern mal neue Gesichter, sagte sie uns, aber wir müssten darauf gefasst sein, dass sie ein bisschen komisch reden und sich benehmen würden, da etliche von ihnen schon ziemlich abständig seien.

      »Wie Tante Felicity im ›Eight Bells‹«, sagte Anne, als ich ihr davon erzählte.

      Die Erinnerung an unsere früheren Ausflüge ins Eight-Bells-Wohnheim für Matrosenwitwen machte mich ein bisschen nervös. Die gute Tante Felicity, inzwischen längst dahingeschieden, behauptete immer stocksteif, ich sei vor einigen Jahren gestorben, und wenn Anne und ich sie besuchten, schien sie mein Aussehen als endgültige Bestätigung dieser fest verwurzelten Überzeugung aufzufassen. Einmal, als ich selbst im Zimmer stand, sogar direkt vor ihr, gab sie Anne den dringenden Rat, mich kremieren zu lassen, bevor ich anfinge

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