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Co. Dann leitete er das China-Büro der großen englischen Handelsfirma Jardine, Matheson & Co. 1886 erhielt er die Vertretung für Krupp-Produkte in China und gründete ein Jahr später seine eigene Firma H. Mandl & Co. Nach 1888 war Mandl de facto Alleinvertreter für Kruppsche Produkte in China, sowohl für Kriegsmaterial und Geschütze wie auch für Friedensmaterial, vor allem Eisenbahngerät. Mandl hatte auch die Generalvertretung für Steyr-Mannlicher-Gewehre in China und übernahm die China-Vertretung für Siemens & Halske; auch an mexikanischen Minen war er beteiligt. Er agierte als Lobbyist, mit Bestechungsgeldern, Wiener Charme und dicht behängter Ordensbrust. Immer wieder geriet er zwischen die Fronten der Gegner, so im Ersten Japanisch-Chinesischen Krieg und im Russisch-Japanischen Krieg. Nach 1894 ließ sich Mandl formal in Paris und Hamburg nieder. 1907 kehrte er nach Wien zurück, mit einem Berg von Kunstwerken und Kunsthandwerk im Gepäck, mit dem er die Wiener Museen reichlich bedachte. 1909 wurde er dafür mit der Nobilitierung bedankt.

      Angesichts der Vermögen, die einzelne unternehmungslustige Österreicher im Nahen und Fernen Osten zu schaffen vermochten, wird deutlich, wie negativ sich Österreichs geringe Repräsentanz auf internationalen Märkten für seine Exportwirtschaft auswirkte, verglichen mit der hohen Dichte englischer oder französischer oder selbst auch deutscher Unternehmen auf diesen Märkten.

      „Sie kennen ihn ja!“, sagt Genia über ihren Mann, den Fabrikanten Hofreiter in Schnitzlers Weitem Land: „Seine neuen Glühlichter müssen die Welt erobern, sonst macht ihm die ganze Sache keinen Spaß.“ Schnitzler porträtierte in der Gestalt des Friedrich Hofreiter das allgemeine Prinzip des Kapitalismus und im Speziellen den Industriellen Louis Friedmann, Gesellschafter der Fa. Alexander Friedmann. Diese erzeugte jedoch keine Glühlampen, sondern Armaturen, Ventile und Pumpen für Dampflokomotiven. Mit rastlosem Einsatz hatte Alexander Friedmann sen. das Unternehmen aufgebaut. Dieselbe Rastlosigkeit prägte auch die beiden Söhne, als Unternehmer, Innovatoren, Bergsteiger, Sportler, Kunstförderer, Parlamentarier und Interessenvertreter.128

      Während der zu Ende gehende Habsburgerstaat und seine Hauptstadt für ihre Beiträge zur Geburt der Moderne in Architektur, Literatur, Malerei, Musik und Design oder auch in Medizin und Natur- sowie Geisteswissenschaften gefeiert werden, wird der Beitrag zur technischen und industriellen Entwicklung meist negiert. Doch diese Beiträge stellen sich sehr vielfältig dar: in der Schwerindustrie und Waffentechnik ebenso wie in der Nachrichtenübermittlung, Lebensmittelindustrie, Kleiderkonfektion, Erdölraffinerie oder Papiererzeugung. Multinationale Unternehmen waren im Aufbau. Erfindungen wurden gemacht, Patente wurden angemeldet, Auslandsniederlassungen aufgebaut.

      Die Übergänge von den Banken zum Handel ebenso wie vom Handel zur Industrie waren fließend. Es gibt keine Industrie ohne Handel. Die österreichische Großindustrie stach dadurch hervor, dass sie von den Banken dominiert war. Die Schoeller, die bis in die jüngere Vergangenheit als Privatbank agierten, bezeichneten sich 1910 als Großindustrielle. Die Miller-Aichholz verwalteten ihr Industrieimperium über ein Großhandelshaus. Ein beträchtlicher Teil der Textilindustriellen, aber nicht nur dieser, war über den Handel zur Industrie gekommen.

      Die Industrie ist das Kernstück der Ringstraßengesellschaft. Sie stellte mehr als ein Drittel der Millionäre. Diese produzierten jene Güter, die den Reichtum des Wiener Fin de Siècle möglich machten und seine Modernität begründeten: von Rübenzucker und Lagerbier über Textilien, Seifen und Chemikalien bis zu Tafelgeschirr, Essbesteck, Fahrrädern, Automobilen, Aufzügen und Elektrogeräten. 351 Millionäre sind der Industrie zuzuordnen. Es sind bis heute bekannte Namen darunter: Böhler, Krupp, Wittgenstein, Heller, Manner und Mautner-Markhof, aber auch Namen, die längst vergessen sind oder die von der Geschichtsforschung völlig übersehen wurden. Millionär konnte man in nahezu jeder Branche werden, ob als Sargfabrikant (Otomar Maschner als Inhaber der Nobelmarken Beschorner und Maschner & Söhne), als Erfinder der öffentlichen Bedürfnisanstalten (Wilhelm Beetz), als Zündholzerzeuger (Bernhard Fürth, mit dessen Familie Bruno Kreisky mütterlicherseits verwandt war) oder als Insektenpulverfabrikant (Johann Zacherl). Weltgeltung konnte man in Nischen wie der Schreibfedernerzeugung erreichen, aber auch im neuen Feld der Gas- und Elektrizitätswirtschaft. Österreicher standen um 1900 an vorderster Linie in der Automobiltechnik, aber auch der Lochkartentechnik oder Telefonautomatisierung, in der Hefe-, Malz- und Bierindustrie und in der Zuckererzeugung. Man musste nur eine gewinnbringende Idee haben. Und man musste immer wieder neue Ideen haben. Wo sie ausblieben, war das oft mit dem Ende des Unternehmens verbunden. Untergegangen sind die Huterzeuger, die Kutschenbauer, die Sättel- und Zaumzeughersteller, die Sensenherren, die alle 1910 noch große Herren waren. Es gibt kaum noch Familien aus der Millionärsliste von 1910, die sich bis heute als Industrielle erfolgreich behaupten konnten: Häufig glänzen noch die Namen, der Reichtum hingegen ist längst verblasst oder ganz untergegangen.

      Zwischen 1870 und 1910 wuchs Österreichs Wirtschaft stärker als die der westeuropäischen Industriestaaten, vornehmlich in den beiden letzten Dekaden.129 Der Abstand zu Großbritannien, Frankreich und Belgien verringerte sich. De Industrie war das Herz der wirtschaftlichen Dynamik der späten Habsburgermonarchie. Die innovatorische Dynamik war groß. Man begann auf die Weltmärkte vorzustoßen, mit neuen Produkten und Niederlassungen, von England bis Russland. Um die Jahrhundertwende bot sich für die Habsburgermonarchie die letzte Chance, auf wirtschaftlichem Gebiet aufzuholen. Ab 1896 begann ein langer wirtschaftlicher Aufschwung, der häufig auch als „Zweite Gründerzeit“ bezeichnet wird. Neue Produktionszweige, die Großchemie, der Fahrzeugbau und die Elektroindustrie gaben Impulse. Die letzten großen Eisenbahnen wurden gebaut, die ersten Strecken elektrifiziert, das Wiener Straßenbahnnetz seit 1898/​99 von Pferdebetrieb auf elektrischen Antrieb umgestellt. Man diskutierte über ein großes Kanalnetz, das Rhein und Donau, Donau und Oder und Donau und Weichsel verbinden sollte. 1909 erhielt Österreich die erste Seilbahn. Erstmals schienen um die Jahrhundertwende auch die Massen etwas von den Früchten der industriellen Revolution ernten zu können. Zucker und Schokolade begannen zu Massenprodukten zu werden. Man konnte sich ein Fahrrad leisten, Inbegriff individueller Fortbewegung und weiblicher Emanzipation.130

      Die Liste der Industriemillionäre gibt einen erstaunlich guten Aufschluss über Stand und Struktur der österreichischen Industrie vor dem Kriege. Die Industriellen stellten zwar die größte Gruppe unter den Millionären des Jahres 1910. Doch verglichen zu Deutschland waren sie viel weniger reich. Das Ansehen der österreichischen Industriellen war geringer als das der Händler oder Bankiers oder gar der Großgrundbesitzer. Die Bankiers und Handelsleute besetzten hier die Spitze der Einkommenspyramide. In Deutschland waren es die Schwerindustriellen: Krupp, Henckel-Donnersmarck, Henschel, Thyssen, Haniel … Die Spitzenverdiener unter den österreichischen Industriellen finden sich in der Lebensmittelindustrie: die Bierbrauer und Zuckerindustriellen, Spirituserzeuger und Hefeproduzenten. Während in Österreich der Bankier Rothschild die Liste der Spitzeneinkommen anführt, ist das in Deutschland die Industriellenfamilie Krupp.

       Millionäre in der Industrie 1910

       Eigene Auszählung

      Das letzte Jahrzehnt vor dem Ersten Weltkrieg war die Zeit der großen Börsengänge und Industrieaktiengesellschaften. Es war auch die große Zeit der Kartelle. Ihre Zahl wuchs rasch an. 225 Industriekartelle zählt man im Jahr 1912, die meisten in der Textilindustrie, die mächtigsten in der Eisenindustrie und die stabilsten im Nahrungs- und Genussmittelsektor: das Zuckerkartell, das Bierkartell und das Spirituskartell.131 Die Zahl der Kartelle sagt allerdings noch nicht viel aus. Entscheidend waren Zutrittsbarrieren, Organisationsmacht und von der Politik bereitgestellte Rahmenbedingungen. Das industrielle Rentseeking war dort am erfolgreichsten, wo es vom Staat mit einer entsprechenden Schutzpolitik unterstützt wurde. Instabil hingegen waren die Kartelle im Maschinenbau. Nicht erfolgreich waren sie im Erdölbereich. Mit hohen Schutzzöllen und institutionellen Auflagen wurden Eintrittsbarrieren geschaffen. Hohe Exportsubventionen, die aus der Zuckersteuer finanziert wurden, begünstigten die Zuckerindustrie ebenso wie das Saccharinverbot, das nicht nur den Markt der Zuckerindustriellen schützte, sondern auch die Etablierung von Chemieunternehmen

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