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passiert und beginnt am Horizont zu verschwinden.

      Dr. Brandt kehrt aus dem Inneren des Kriegsschiffes wieder zurück auf die Brücke. Dort wartet schon Hans Thomsen voller Ungeduld auf ihn.

      „Und, Doktor? Wie sieht es aus? Bitte kurz fassen, keine fachmännischen Ergüsse, Doktor.“

      „Also gut. Zum ersten Mal gibt es Grund zu einem verhaltenen Optimismus. Das Fieber ist gefallen. Auch der Puls des Herrn Kapitän hat sich stabilisiert. Kurzum: Der Patient scheint auf dem Weg der Besserung zu sein. Aber das bedeutet noch keine Entwarnung“, setzt Dr. Brandt mit ernster Stimme hinzu.

      Trotzdem macht sich Erleichterung auf der Brücke breit, besonders aber bei Hans Thomsen.

      „Dr. Brandt, das sind erfreuliche Nachrichten. Ich freue mich außerordentlich, dass unser Kapitän anscheinend auf dem Weg der Besserung ist. Das macht meine Entscheidung erfreulicherweise leichter.“

      Nach diesen Worten wendet er sich an den Steuermann.

      „Kurs ändern. Kurs Manila.“

      „Ausguck, Schiff zu sehen?“, fragt Kapitän Rochester in immer kürzeren Abständen. Die Antwort ist immer dieselbe: „Keine Schiffe zu sehen, Captain.“

      „Verdammt, das kann doch nicht sein. Steuermann, Kurs überprüfen.“

      „Ay, ay, Captain. Kurs nach wie vor wie befohlen, Sir!“

      „Wo bleiben die verdammten Deutschen nur?“, murmelt Kapitän Rochester auf der Brücke mit verschränkten Armen hinter dem Rücken hin und hergehend.

      „Ausguck, Rauchfahne zu sehen?“

      „Keine Rauchfahne zu sehen, Captain!“, kommt die nicht unerwartete Antwort.

      „Kurs beibehalten!“

      „Ay, ay, Captain. Kurs beibehalten!“

      Die Offiziere auf der Brücke schauen sich mittlerweile fragend an. Wie lange will der Alte den Kurs noch beibehalten? Anscheinend haben es sich die Deutschen anders überlegt oder sind mit ihrem Schiff untergegangen oder sonst was. Ihnen ist das völlig egal.

      Auch Kapitän Rochester bleiben die fragenden Blicke nicht verborgen. Alles war so schön eingefädelt mit diesen teuflischen chinesischen Piraten. Die hätten das dreckige Geschäft vollendet und wir Briten hätten uns mal wieder die Hände nicht schmutzig gemacht, aber erreicht, was wir wollen. Nur die verdammten Deutschen scheinen heute nicht mitzuspielen. Wo bleibt bloß das verflixte Kanonenboot Iltis? Kapitän Rochester ist klar, dass er den Kurs nicht mehr lange beibehalten kann. Wenn in den nächsten zehn Minuten nichts geschieht, muss er abdrehen. Dann ist die Operation gescheitert.

      Wie er es hasst, diese Nachricht nach seiner Rückkehr nach Hongkong Gouverneur Sir Henderson zu überbringen. Eigentlich ist er für einen britischen Gouverneur ganz umgänglich, aber Fehlschläge lässt er nicht gelten.

      Zehn Minuten lang herrscht Schweigen auf der Brücke. Dann ertönt noch einmal die Stimme von Kapitän Andrew Rochester: „Ausguck, Schiff in Sicht?“

      „Kein Schiff in Sicht, Captain!“, kommt ohne zu zögern die Antwort.

      Alle auf der Brücke blicken nun auf Kapitän Rochester.

      Eine Minute des Schweigens.

      „Steuermann, Kurs ändern. Kurs Hongkong!“

      „Ay, ay, Captain. Kurs Hongkong!“

      Schon beginnt der Leichte Kreuzer Iphigenia einen Steuerbordschwenk, um nach Hongkong zurückzukehren.

      Derweil zermartert sich Kapitän Rochester sein Gehirn, was mit den verdammten Deutschen geschehen sein könnte. Der Kurs hat definitiv gestimmt. Das hat er mehrmals überprüfen lassen. Auch das Wetter war in dem gesamten Seeraum recht ruhig. Keine Sturm- oder gar Taifunwarnung. Nichts. Gar nichts.

      Mmmh, eine Möglichkeit gäbe es da noch, malt sich Kapitän Rochester aus. Vor kurzem ist die Lage in Manila eskaliert. Die Vereinigten Staaten von Amerika hatten wegen Kuba den Spaniern den Krieg erklärt. Die Philippinen gehören zum spanischen Kolonialreich und das amerikanische Asiengeschwader hat Hongkong Richtung Manila verlassen, um mit den Dons aufzuräumen. Wenn die Yankees nicht selbst in Grund und Boden gebohrt worden sind. Was auch immer. Es könnte natürlich sein, dass auch die Deutschen ihre Schiffe nach Manila beordert haben, um dort, wie die anderen Großmächte auch, Flagge zu zeigen. Vielleicht hat ja Iltis irgendwie der Befehl ereilt, den Kurs Richtung Philippinen zu ändern. Möglich, denkt sich Kapitän Rochester. Wäre zumindest eine Erklärung für das Nichtauftauchen von Iltis.

      Trotzdem nicht gut. Seine Gedanken kreisen jetzt darum, wie er Sir Henderson den Fehlschlag am besten überbringen kann.

      Währenddessen gleitet der Leichte Kreuzer Iphigenia gleichmäßig durch die Wellen des Südchinesischen Meeres Richtung Hongkong.

      4. KAPITEL: DER ABSCHIED

      „Verflixt und zugenäht“, murmelt Agnes vor sich hin. Dann erschrickt sie. Mit nunmehr leicht geröteten Wangen schaut sie sich um. Nein, das hat niemand gehört. Vor allem nicht ihr Onkel Ferdinand. Der kaiserlich-deutsche Konsul mit Dienstsitz in Manila. Trotzdem ist sie beschämt, dass ihr solch ein gewöhnlicher Ausdruck über die Lippen gekommen ist. Als Beamtentochter aus dem hanseatischen Hamburg hat man sich zusammenzureißen, egal, in welcher Situation man sich auch immer befinden mag. Das war eine der Grundregeln im Hause Kröger.

      Der Verzweiflung nahe lässt sie sich in den geräumigen Rattansessel plumpsen, legt ihre Arme auf die breiten Lehnen, presst ihre Lippen zusammen und runzelt die Stirn.

      „Warum nur? Warum ausgerechnet jetzt?“, seufzt Agnes leise vor sich hin.

      Ihr Blick fällt auf das große Bett mit dem engmaschigen Moskitonetz. Das Bett ist ein großer Rahmen auf vier Beinen aus Rattan, ein Rohrgeflecht, auf dem eine dichte Matte das Lager bildet. Die vier Pfosten verlängern sich über das Rohrgeflecht und sind oben mit leichten Leisten verbunden. Diese dienen dazu, das Moskitonetz zu tragen. Das ist ein dünnes Gewebe, das der Luft, aber nicht den kleinen, stechenden Plagegeistern Durchgang gewährt. Beim Schlafen hilft das Moskitonetz außerordentlich, aber zugleich lässt es doch nur wenige Luftzüge durch, sodass das Schlafen durch das ständige Schwitzen zur Qual wird.

      Aber nicht nur die Moskitos plagen die Menschen. Auch kleine Ameisen sind so verbreitet, dass sie quasi überall sind. Nicht so sehr ihr Biss ist zu fürchten, sondern vielmehr ihr schier massenhaftes Auftreten. Nichts ist vor ihrer Fressgier sicher. So muss der Tisch mit der Mahlzeit mit den Beinen im Wasser stehen und darf nicht die Wand berühren. Sonst schleichen sich die Tierchen ein. Auch die Bettpfosten stehen im Wasser, damit man nicht des Nachts von umherkrabbelnden Ameisen übersät aufwacht. Aber es ist darauf zu achten, dass alle paar Tage das Wasser in den Becken, in denen die Beine stehen, erneuert wird. Der sich auf dem Wasser ablagernde Staub bildet ansonsten eine Brücke, die die emsigen Ameisen gerne nutzen.

      Ein festes Kopfkissen mit roher Baumwolle vollgestopft und eine Rolle, „abrazador“ genannt, ebenfalls gefüllt mit Baumwolle, die zum Einlegen zwischen die Beine dient, damit die Knie nicht aufeinander liegen, vervollständigen das Bett. In der kühleren Jahreszeit nimmt man eine leichte Wolldecke zum Zudecken dazu.

      Die kleinen, surrenden Quälgeister haben Agnes schon ganz schön zugesetzt. Dabei schaut sie auf ihre Arme, die von rötlichen, geschwollenen Stichen übersät sind. Auch ihre Knöchel haben etliche Stiche abgekommen. Wie das juckt. Fürchterlich. Dabei hat sie immer darauf geachtet, dass ihre Arme und Beine bedeckt sind. Aber diese Biester haben sie durch ihre Seidenstrümpfe und dünnen Ärmel ihrer Bluse hindurch traktiert. Eine schöne glatte weiße Haut, auf die sie immer so stolz ist, sieht anders aus. Zum Glück sieht das ja niemand. Aber Agnes machen die rötlichen Flecken schon zu schaffen. Mit ihrer recht schlanken Figur und den kastanienbraunen lockigen Haaren sieht sie eher durchschnittlich aus. Nicht besonders hübsch, so ihre Selbsteinschätzung.

      Aber darüber will sie nicht jammern. Onkel Ferdi kümmert sich reizend um sie und versucht, es ihr so bequem wie nur möglich zu machen. Die

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