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Studenten halten und es an Respekt mangeln lassen.«

      Der Herr hat Sorgen, dachte Gelsenrath, aber er nickte beflissen.

      »Die jungen Leute denken immer, sie müssten alles ganz anders machen.« Möbius strich mit der Hand durch seinen Bart und guckte wie ein strenger Lehrer. »Doch Sie müssen bedenken, dass die Zeit ohnehin nicht stillsteht. Und häufig sind es die Menschen mit einem großen Maß an Wissen und Lebenserfahrung, die Neues erschaffen.«

      Gelsenrath dachte an die Häuser, die Möbius baute. Mit ihrer Pracht prägten sie nicht selten das Bild einer ganzen Straße. Dennoch fehlte ihnen der Pomp älterer Bauwerke. Möbius baute mit Stil, ohne falsche Bescheidenheit, aber mit sicherem Geschmack – und das überall in der Stadt. Nun ging Möbius sicher auf die vierzig zu und machte mit seinen unübersehbaren Geheimratsecken alles andere als einen jugendlichen Eindruck. Doch der Mann veränderte das Stadtbild mehr als die Studenten mit ihrer modischen Kleidung.

      »Es ist natürlich für mein Büro von großem Vorteil, dass Sie mit Ihrem Fahrrad in Minutenschnelle an die Baustelle gelangen, ohne weitere Kosten zu verursachen«, fügte Möbius hinzu. Er klang dabei wie ein Jockey, der einem Gaul nach einer schwierigen Übung ein Zuckerstück reichte. »Lassen Sie es die Handwerker einfach nicht bemerken!«

      »Sehr wohl, Herr Möbius.«

      Möbius strich sich erneut durch den Schnurrbart und wandte sich zum Gehen. Nach ein paar Schritten blieb er an der Tür stehen und wies auf den Zeichentisch. »Sie haben einen feinen Strich, möchte ich noch anmerken. Wie mir scheint, sind Sie nicht nur den Leibesübungen zugetan, sondern auch den schönen Künsten. Ist es an dem, Herr Gelsenrath?«

      »In der Tat verkehre ich mit einigen jungen Malern und besuche regelmäßig die Galerien der Stadt.«

      Möbius wiegte den Kopf, als suche er nach den rechten Worten. Für einen Augenblick blieb die Zeit stehen. Gelsenrath traute sich kaum noch zu atmen.

      »Es ist Folgendes, Herr Gelsenrath.« Möbius sprach die Worte so langsam aus, dass seine Stimme noch tiefer klang. »Die Familie Kronenbaum lädt am Abend in den Salon. Der Herr des Hauses trat an mich mit dem Ansinnen heran, ihm neue Gäste zu empfehlen.«

      Gelsenrath merkte, wie er auf einmal gerade stand. Fast kam es ihm so vor, als wüchse er und blicke von weit oben über den Zeichentisch.

      »Also, was sagen Sie? Nehmen Sie sich heute Abend die Zeit?«

      »Selbstverständlich, nichts lieber als das!«

      »Sehr gut.« Möbius nahm den Kneifer von der Nase und drehte sich zum Flur.

      Gelsenrath dachte an Rosalinde. Sicher wäre sie beeindruckt von einem Salonabend in der Kronenbaum-Villa. Möbius stapfte derweil bereits aus dem Raum. Es galt, allen Mut zusammenzunehmen. Schnell!

      »Herr Möbius …«, sagte Gelsenrath, etwas zu leise, wie er selbst fand. Hoffentlich hörte Möbius gut.

      »Ja, bitte?« Der Architekt blieb tatsächlich stehen und blickte fragend vom Flur herein.

      »Darf ich in Begleitung kommen?«

      »Aber sicher.« Unter dem Schnurrbart huschte ein spöttisches Lächeln über Möbius’ Gesicht. »Dann können wir immerhin ausschließen, dass Sie mit dem Fahrrad anreisen.«

      Edgar Wank schritt die Stufen zum Polizeiamt in der Wächterstraße hinauf. Sein Kopf schmerzte, die Glieder fühlten sich an, als steckten vertrocknete Äste und nicht etwa Knochen in ihnen. Er hätte sich den Krug Bier zu Hause sparen sollen – nach dem Reinfall am Abend.

      Vor dem Künstlereingang am Alten Theater hatte er sich mit seinem Blumenstrauß in einer langen Schlange von Verehrern wiedergefunden. Eleonore Rada gewährte jedem der Männer fünf Minuten. Wank hatte die Blumen nach einer guten Stunde Warten in die Ecke gepfeffert und war in die Wirtschaft geeilt, um noch einen Humpen Bier zu bekommen.

      Vom Trost des Alkohols spürte er nichts mehr, den Kopfschmerz dafür umso mehr. Wank trat in das Gebäude.

      In den Fluren des Polizeiamtes herrschte zur morgendlichen Stunde eisige Stille, nur seine Schritte hallten durch den Gang. Der Diensthabende erkannte ihn und winkte ihn durch, ohne ein Dokument sehen zu wollen. Die meisten Beamten kannten Wank. In der Regel wurde er behandelt, als sei er selbst ein Angehöriger der Polizei.

      Die Treppe ins Obergeschoss war so breit, dass die Schutzmänner vermutlich ganze Banden von Delinquenten auf einmal hinauf- und hinabbefördern konnten. Die Stufen kamen Wank an diesem Morgen höher vor als sonst.

      Im ersten Stock schnaufte er. Zum Glück waren es nur ein paar Schritte bis zum Dienstzimmer von Hauptwachtmeister Machuntze. Wank klopfte an die schwere Holztür und trat, nachdem er ein Gebrummel von drinnen vernommen hatte, ein.

      »Herr Wank, das is mir ja eene Freude!«, rief Machuntze im Dialekt des Leipziger Umlands.

      »Ganz meinerseits, Herr Hauptwachtmeister.«

      »Nu kommen Se rein. Setzen Se sich!« Machuntze sprang von seinem Stuhl auf. Der Hauptwachtmeister reichte Wank allenfalls bis zur Schulter. Der Polizist ließ sich seine Uniformen bestimmt vom Änderungsschneider bearbeiten, denn Wank fiel auf, dass der Beamte sehr kurze Beine hatte. Der Hauptwachtmeister wies auf einen Schemel vor dem Schreibtisch. Wank nahm Platz. Im Sitzen sah die Welt schon viel besser aus. Wenn er gänzlich stillhielt, spürte er nicht einmal mehr Schmerzen im Kopf.

      »’s is gut, dass Se heute doch vorbeigekommen sind, Herr Wank!« Der Polizist nahm auf seinem Dienstsessel Platz und hob ein Blatt Papier in die Höhe. »Ich habe noch was für Se. Das is ’ne Geschichte, sag ich Ihnen!«

      »Doch nicht etwa ein Mordfall?« Wank hob den Kopf und spürte sofort einen Stich hinter der Stirn. Also verharrte er einen Augenblick und ließ den Kopf dann langsam wieder sinken.

      »Na, das nu nich gleich«, antwortete Machuntze ohne den Blick von seinem Papier zu lassen. »Aber wir ham einen ordentlichen Strolch erwischt. Einbruch in Taucha, am Brühl, in der Katharinenstraße und bestimmt noch e paar mehr. Wir ham Kleidung im Wert von vielen Tausend Mark und nochemal so viel Bargeld bei dem Kerl gefunden.«

      Wank zog Notizbuch und Stift aus dem Jackett, langsam und ohne überflüssige Bewegungen zu machen. Er überprüfte die Spitze des Crayons – der Bleistift war für die Konversation präpariert.

      »Geht es Ihnen gut?«, fragte Machuntze, dabei schaute er ihn über das Blatt hinweg an wie bei einem Verhör.

      »Ja, ja. Es ist noch zeitig, und die Woche schon lang«, erwiderte Wank.

      Der Polizist schaute wieder auf sein Blatt und sprach, als diktiere er. »Der Täter ist ’n 26-jähriger Bäckergeselle. Wir haben ihn in Braunsbedra bei Eckartsberga verhaftet.«

      Wank notierte die Fakten. »Das ist eine schöne Geschichte. Da wird mein Herr Direktor sich freuen – zumal wir einen Erfolg der Beamten vermelden können.«

      Machuntze legte das Blatt auf den Schreibtisch und zögerte einen Moment. Dann sagte er: »Ich werde am Nachmittag versuchen, dem Herrn Polizeidirektor die Leipziger Zeitung zukommen zu lassen. Bei der Gelegenheit würde ich ihn über unsere hervorragende Zusammenarbeit in Kenntnis setzen. Das wäre doch auch in Ihrem Sinne, Herr Wank?« Das Fragezeichen schwebte durch den Raum, vielleicht auch deshalb, weil Machuntze die letzten Worte so leise gesprochen hatte, als verabrede er eine Verschwörung.

      »Selbstverständlich, Herr Hauptwachtmeister! Ganz in meinem Sinne. Ich werde versuchen, noch einmal bei meiner Leitung vorstellig zu werden.« Wank überlegte kurz, ob er das Treffen der beiden Direktoren erwähnen sollte. Er entschied sich dagegen, denn der Polizist wusste offenbar Bescheid. Ihre Übereinkunft bedurfte keiner weiteren Worte.

      Auch für Machuntze schien das Thema erledigt zu sein, denn der Hauptwachtmeister widmete sich wieder seinen Papieren.

      »Was gibt es noch?«, fragte Wank.

      Der Polizist blätterte und zählte auf. »’ne Kindesaussetzung, ’n schweren Unfall in der Augenheilanstalt an der Liebigstraße

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