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Mister, promise not to forget us.«

      Wer Afrika und ihre Menschen ebenfalls nie vergessen hat, ist der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler. Ich hatte ihm immer wieder von meinen Erlebnissen in Gulu berichtet und ihm den ersten Teil von Hopes Biografie gegeben. Offensichtlich war ich damit an die richtige Adresse geraten. Köhler plante einen Staatsbesuch in Uganda, und obwohl Präsident Yoweri Museveni alles andere als begeistert davon war und sogar behauptete, man könne den Bundespräsidenten nicht standesgemäß nach Gulu einfliegen, ließ sich Köhler nicht davon abbringen, die Stadt selbst in Augenschein zu nehmen. Museveni hätte ihm lieber den halbwegs intakten Süden des Landes vorgeführt, aber gegen Köhlers Beharrlichkeit kam er nicht an, in einem persönlichen Telefonat gab er schließlich zähneknirschend sein Okay. Mit einer eigens vom Horn von Afrika nach Entebbe beorderten Transall-Maschine der Bundeswehr kamen wir im Februar 2008 in Gulu an, Köhler nahm seine Ohrenschützer ab und verließ das Flugzeug, ich fing den Blick des Bundespräsidenten auf und konnte ihn lesen, er sagte: Na also, geht doch. Köhler unterhielt sich lange mit Hope, Presse und andere Delegationsmitglieder waren nicht zugelassen, denn es ging dem Bundespräsidenten nicht um schöne Bilder, sondern darum, zuzuhören, sich auf Hope einzulassen und so vielleicht in einen Dialog zu kommen, über alles Trennende hinweg. Auch davon ist in diesem Buch die Rede.

      Und davon, dass zwischen dem Start und dem Ziel immer ein Moment liegt, der das Vergangene abschließt und der Beginn von etwas Neuem ist.

      Wolfgang Niedecken, Juni 2012

      Einleitung des Autors

      Wie es tatsächlich in Afrika aussieht, das weiß im Europa des 18. Jahrhunderts kaum jemand. Auf den Landkarten steht schlicht: Hic sunt leones – hier gibt es Löwen. Will sagen: Es ist gefährlich, seien wir besser vorsichtig.

      Die Angst vorm unbekannten Kontinent ist bis heute nicht gewichen. Auf viele Menschen, speziell in Deutschland, dessen Kolonialzeit fast 100 Jahre zurückliegt, wirkt Afrika noch immer fremd, schwer verständlich und unwirklich. Die Bewohner kennen die meisten Menschen hierzulande nur durch die Medien, wenn wieder mal ein Bürgerkrieg ausbricht, eine Hungerkatastrophe aufflammt, über Aids, Korruption oder Kindersoldaten berichtet wird. Ich weiß, ich bediene das Klischee, aber es ist, was es ist.

      Fakt ist: Derzeit gibt es schätzungsweise 300 000 Kindersoldaten, die meisten davon in der Tat in Afrika. In den zurückliegenden 20 Jahren sind mehr als zwei Millionen Kindersoldaten bei Kämpfen ums Leben gekommen, über sechs Millionen sind zu Invaliden geworden, ganz zu schweigen von den bis zu zehn Millionen Jungen und Mädchen, die für den Rest ihres Lebens unter seelischen Schäden leiden werden. Nüchterne Zahlen, die aus den Archiven der Vereinten Nationen stammen. Aber was genau verbirgt sich hinter dem Wort Kindersoldat?

      Das Kinderhilfswerk UNICEF bezeichnet »alle Kämpfer und deren Helfer, die unter 18 Jahren sind«, schlicht und einfach als Kindersoldaten. Eine klare Definition, die bis heute aber nicht von der internationalen Staatengemeinschaft geteilt wird. Obwohl alle Länder dieser Welt im Verlauf ihrer Geschichte Kinder als Soldaten missbraucht haben. Ausnahms­-los. Fakt ist also auch: Kindersoldaten sind keine Erfindung Afrikas.

      Nur einige Beispiele: Bereits die römischen Heere kämpfen mit Tausenden von Kindern, als sie bis nach Großbritannien vordringen; während der Kreuzzüge gibt es zwei ganze Armeen von Kindersoldaten, eine in Deutschland und eine in Frankreich, die in den Orient marschieren. Napoleon verheizt unzählige Kindersoldaten auf seinen Feldzügen; während des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges kämpfen sie auf allen Seiten; zum Ende des Zweiten Weltkriegs setzt die Waffen-SS Kinder ein, so ist etwa Günter Grass mit seinen nur 14 Jahren ein Kindersoldat gewesen. Ähnlich wie das Mädchen namens Christine Hope, von ihren Freunden und der Familie schlicht Hope genannt, das Sie in meinem zweiten Teil ihrer Biografie näher kennenlernen werden.

      Ich bin mit Hope, zum Schutz ihrer Person habe ich den Namen geändert, seit nunmehr zehn Jahren eng befreundet. Sie ist ein Teil meiner Familie geworden, so wie ich zu ihrer Familie gehöre. Hope ist die Betroffene eines Bürgerkriegs, der von 1986 bis 2006 in Norduganda stattfand. Die Konsequenzen sind über Generationen hinweg zu spüren und werden wohl noch der nächsten mit in die Wiege gelegt werden. Den Begriff Opfer vermeide ich gezielt. Dies würde Hopes Persönlichkeit nicht gerecht werden. Sie will nicht als Verlust betrachtet werden. Obwohl sie ihr Dasein immer wieder in Frage stellt, sie zwischen den Stühlen steht, zwischen Tradition und Moderne. Wie Uganda. Wie der gesamte afrikanische Kontinent.

      Für Hope ist es ein »unsagbar ernstes Glück«, leben zu dürfen, trotz aller Schwierigkeiten. Sie hält ihren Kopf über Wasser, auch bei stürmischer See, wenn alles um sie herum fast verloren scheint. Hope und andere junge Frauen in Nord­uganda sorgen unermüdlich für ihre Familien. Sie verdienen dafür mehr offizielle Unterstützung seitens ihrer eigenen Regierung in Kampala und unserer in Berlin. Dies zu fordern ist für mich keine neokoloniale Einmischung, sondern eine weltbürgerliche Verpflichtung, der ich in meiner Eigenschaft als Mensch und Christ Rechnung trage, weil ich an Hopes Zukunft glaube, so, wie ich an die Zukunft Afrikas glaube. Selbst wenn sich die Dinge nicht nach unseren westlichen Zeitvorstellungen ändern.

      Hope und ich haben uns entschieden, dass sie den zweiten Teil ihrer Geschichte aus ihrer Perspektive erzählt, um authentisch zu bleiben. Im März haben wir uns in Norduganda getroffen und für mehrere Wochen zusammengesetzt. Das Buch ist das Ergebnis unserer Gespräche. Es will Ihnen Einblicke in die Gedankenwelt und das Seelenleben von Hope und den Menschen um sie herum geben. Hope indes möchte nichts weiter als ein gewöhnlicher Mensch sein. Doch die außergewöhnlichen Umstände in Norduganda hindern sie daran. Noch. Trotzdem wagt sie jeden Tag einen frischen Anfang. Weil Hope weiß, dass die Welt nur so gut ist, wie ihre Menschen es sein wollen. Egal, ob es dort Löwen gibt oder nicht.

      Sönke C. Weiss, Juni 2012

      Was bisher geschah

      Am frühen Morgen des 12. Dezember 1996 weiß Hope noch nicht, dass sich ihr Leben in nur 17 Stunden für immer verändern wird.

      Das Mädchen geht an diesem Tag zum Markt im nord­ugandischen Ayam, um dort Tomaten zu verkaufen. Die Zwölfjährige träumt von einem weißen Kleid, das sie sich am liebsten schon zu Weihnachten leisten möchte, um schön auszusehen im Kirchenchor, in dem Hope jeden Sonntag singt. Doch niemand kauft ihr Gemüse.

      Enttäuscht kehrt sie nach Hause zurück und beginnt, auf dem Platz zwischen den Hütten ihrer Eltern ein Feuer zu machen. Zum Abendessen gibt es Maniokbrei. Wie immer. Hopes Familie ist sehr arm.

      Wegen des Krieges und weil immer mehr Kinder von der Widerstandsarmee des Herrn unter der Leitung von Joseph Kony entführt werden, sind Hopes Eltern beunruhigt. Sie fürchten um Hopes Sicherheit und die ihres älteren Bruders James.

      Hopes Großvater sagt: »Die Regierung in Kampala hat kein Interesse an uns. Wir sind Acholi. Wir sind die Feinde des Südens. Dieser Krieg ist unser Problem. Sagt unser Präsident. Das muss man sich vorstellen. Freiheit haben wir erst, wenn wir unser Land als einen Staat sehen und uns nicht mehr als Angehörige von Stämmen bezeichnen.«

      Es muss so gegen 22 Uhr gewesen sein, daran kann sich Hope viele Jahre später noch genau erinnern, als schwere Stiefel gegen die Tür ihrer Hütte treten.

      Gemeinsam mit 35 anderen Kindern werden Hope und James von den Rebellen entführt, wie auch ihr Vater. Hopes Großvater wird erschossen, die Vorräte der Familie geplündert. 14 Tage Fußmarsch in den Südsudan folgen.

      Von hier aus operiert die Widerstandsarmee des Herrn. Hier gewährt Khartums Regierung den Rebellen Asyl. Nicht aus Sympathie für Joseph Kony und seine Bewegung, sondern schlicht aus Eigennutz. Die Rebellen legen Landminen und töten die einheimische Bevölkerung, sie heizen den Konflikt zwischen Nord- und Südsudan weiter an. Dafür bekommen sie Waffen und Lebensmittel, und Khartum kann die Ölvorkommen im Süden ausbeuten. Käme es zum Frieden, müsste Präsident Umar al-Baschir den Gewinn teilen.

      Auf dem Weg in den Südsudan sterben viele der Kinder an Erschöpfung und Durst. Das ist so gewollt. Die Widerstands­armee des Herrn will nur

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