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Selbst ein Kreuz hielten die Briten nicht für angemessen: die Sautratten heute.

      Als ich auf der Mähmaschine saß, spürte ich auf der Stelle, wo seinerzeit die Leiche beigesetzt worden war, eine deutliche Vertiefung. Es ist mir noch erinnerlich, dass am gleichen Tage, als die vorgeschilderte Beerdigung stattfand, innerhalb der Gemeinde Paternion öffentlich davon gesprochen wurde, dass ‚sich der Gauleiter Globocnik im Schlosshof Paternion vergiftet hatte‘.

      Aus diesem Grunde nahm ich an und bin auch gegenwärtig der Meinung, dass im gegenständlichen Grabe Gauleiter Globocnik beigesetzt worden war. Die Bevölkerung von Paternion sprach zwar öffentlich davon, dass Globocnik ‚auf der Sautratten‘ beerdigt wurde, den genauen Platz kannte jedoch niemand. Ich habe auch niemals bemerkt, dass nach dem Krieg das Grab gepflegt worden war. Offensichtlich kennen auch die nächsten Verwandten des Globocnik das Grab desselben nicht.

      Ich war bis zum Jahre 1952 bei meinem Vater Johann Santer als landwirtschaftlicher Arbeiter beschäftigt. Aus diesem Anlass habe ich jährlich die Umgebung des Grabes mehrmals betreten und die Feldbestellung durchgeführt. Es ist mir niemals eine Veränderung in der Umgebung des Grabes aufgefallen, weshalb mit ziemlicher Bestimmtheit angenommen werden kann, dass niemals eine Exhumierung stattfand. Es ist auch kaum anzunehmen, dass irgend jemand anderer die Stelle kannte und eventuell den Leichnam eigenmächtig entfernte.

      Ich bin jederzeit in der Lage, die Stelle des Grabes aufzufinden. Sonst habe ich meinen Angaben nichts Wesentliches mehr hinzuzufügen.“

      Für den ermittelnden Polizeibeamten, der sich von Köfler den Platz in der „Sautratten“ zeigen lässt, ist es „mit Rücksicht auf die von Köfler geschilderten Umstände wahrscheinlich, daß an dieser Stelle das Grab Globocniks liegt“; da in den von Lore Globocnik bereitwillig zur Verfügung gestellten Augenzeugenberichten britischer Offiziere – darunter auch ein Schreiben des Commanding Captain, Squadron 4th Queen’s Own Hussars, vom 16. Januar 1949 – der Selbstmord des Naziführers bestätigt wird, resümiert die Staatspolizei am 4. September 1964, dass „mit großer Wahrscheinlichkeit“ angenommen werden könne, „daß der ehemalige SS-Gruppenführer und Generalleutnant der Polizei, welcher als SS- und Polizeiführer Lublin das ausführende Organ Himmlers für die millionenfachen Morde an Juden im Raume von Lublin gewesen ist, am 31. 5. 1945 sich durch Selbstmord gerichtet“ habe. Mit dieser Erkenntnis werden die Nachforschungen eingestellt, von einer Exhumierung der Leiche wird trotz letzter Zweifel schließlich abgesehen; für das offizielle Österreich stellen sich keine Fragen mehr.

      Es ist eine körperliche Erfahrung, die Helmut Köfler über lange Jahre hinweg an das Vorhandensein des Globocnik-Grabes erinnert: Bei den Mäharbeiten in der „Sautratten“, so erzählt er uns, habe er die Unebenheit im Gelände immer wieder deutlich gespürt …

      Sie waren treue Diener des Kaisers in Wien: Rochus Globotschnig, der Urgroßvater Globocniks, war Arzt in Neumarktl (Tržič) in Oberkrain, einer deutschen Sprachinsel unweit der Kärntner Grenze gelegen, und nahm 1809 als Wundarzt am Feldzug der Österreicher gegen Napoleon teil. 1825 wurde dem Kriegsveteranen der Sohn Franz Johann geboren, der es zum Professor am Realgymnasium in Laibach brachte. 1870, im Alter von 45 Jahren, wurde Franz Johann Globotschnig Vater eines Sohnes, den man auf den Namen Franz taufte. Franz Globotschnig, der sich nun schon „Globočnik“ schrieb, schlug die Laufbahn eines aktiven Offiziers in der k. u. k. Armee ein. Als Franz Anna Pecsinka, die Tochter eines Beamten aus Werschetz (heute das serbische Vrsac) im Banat, kennen lernte und beschloss sie zu heiraten, musste er sich in den Stand der Reserve zurückversetzen lassen: Aus dem Oberleutnant wurde ein Postbeamter – es war dem jungen Paar unmöglich, die geforderte „Kaution“, die zum Ausscheiden aus der Armee berechtigte, aufzubringen. Anna und Franz Globočnik heiraten am 28. Oktober 1898 und lassen sich zunächst in Triest nieder; ihre Wohnung befindet sich in der Via della Caserma Nr. 9, heute die Via XXX Ottobre. Hier wird ihnen als drittes Kind nach der früh verstorbenen Tochter Hildegardis (geb. 1900) und der Tochter Lydia (geb. 1901) am 21. April 1904 ein Sohn geboren, der am 19. Juli dieses Jahres in der Kirche San Giovanni Decollato auf den Namen „Odilo Lothar Ludovicus“ getauft wird; Taufpaten sind Ludovicus und Elisa Hullerl, vermutlich Verwandte der Familie. Der erste Vorname „Odilo“ ist ein Programm, niemand in der Familie hat bisher so geheißen: Da schwingt, nicht zuletzt in der Verbindung mit den beiden König- und Kaisernamen „Lothar Ludovicus“, altdeutsch-germanische Heldenmystik mit; Odilo hieß ein Bayernherzog aus dem Geschlecht der Agilolfinger (vor 700 – 748), der Name selbst leitet sich wohl von odhil („Gut, Besitz“) her. Und er zeichnet sich durch Vokalharmonie mit dem Familiennamen aus – für Franz und Anna Globočnik daher die perfekte Lösung.

      Im Herbst 1910 beginnt Odilo in Triest die Volksschule zu besuchen. Der Unterricht findet in italienischer Sprache statt; der Sohn der Globočniks, die streng darauf achten, dass in der Familie nur Deutsch gesprochen wird, muss daher Italienisch lernen. Der aufgeweckte Junge hat damit jedoch keine Schwierigkeiten; er bringt durchwegs gute Noten nach Hause und ist außergewöhnlich ehrgeizig – eine Charaktereigenschaft, die später immer wieder genannt werden wird.

      Am 26. August 1913 erfolgt Franz Globočniks (in der Folge: Globocnik) letzter Karriereschritt – er wird von der k. k. Post- und Telegrafendirektion für Triest, Küstenland und Krain zum Postoberoffizial ad personam mit der Einreihung in die IX. Rangklasse der Staatsbeamten ernannt. Sein Jahresgehalt legt die hohe Behörde mit 2.800 Kronen fest, dazu kommt er noch in den Genuss einer „Aktivitätszulage“ von jährlich 960 Kronen.

      Odilo hat vier Klassen Volksschule absolviert, als die Schüsse von Sarajevo den Auftakt zum Untergang der Welt von gestern markieren. Als Reserveoffizier erhält auch der Postoberoffizial Franz Globocnik den Einberufungsbefehl, wegen eines Magenleidens bleibt ihm die Front erspart; Einsatzort ist die ungarische (heute slowakische) Gemeinde Cseklész (Landschütz, heute Bernolákovo) in der Nähe von Pressburg, wo er in der Etappentrain-Werkstätte Nr. 100 tätig ist. Der Vorteil dieser Regelung: Er kann die Familie nach dem Norden mitnehmen.

      Auch wenn Franz Globocnik nur in der Etappe eingesetzt wird, so würdigt man doch seine Verdienste um das Vaterland: Am 1. November 1917 wird er zum Hauptmann ernannt, 1918 zum Rittmeister. Eine Offizierskarriere in der Armee des Kaisers sieht Franz Globocnik offenbar auch für seinen Sohn noch immer als erstrebenswert an und so wird der elfjährige Odilo nach St. Pölten geschickt, wo dieser am 13. Dezember 1915 nach bestandener Aufnahmsprüfung in die Militär-Unterrealschule eintritt. Er erhält als Sohn eines Offiziers einen „ganz freien Ärarialplatz“ zugesprochen, die Kosten werden also vom k. k. Ministerium für Landesverteidigung übernommen; es bleibt pro Schuljahr ein bescheidenes Schulgeld von 28 Kronen zu bezahlen. Das Ziel der Ausbildung: Die Schüler sollen im Laufe von vier Jahren für die weitere Ausbildung an einer Militärakademie vorbereitet werden. Die Militär-Unterrealschule in St. Pölten, die seit 1875 als solche geführt wird, genießt durchaus einiges Ansehen; ihr bekanntester Schüler, Rainer Maria Rilke, der hier von 1886 bis 1890 militärischem Drill unterzogen wird, spricht allerdings in einem Brief an einen seiner ehemaligen Lehrer von den „St. Pöltener Gefängnismauern“, vom „Block eines undurchdringlichen Elends“, der damals über „die zartesten Keimblätter“ seines Wesens gewälzt worden sei. Die Vergewaltigung seiner Kindheit wird Rilke zeit seines Lebens als „Fibel des Entsetzens“ in Erinnerung behalten; die Jahre in St. Pölten bleiben „abgelehnte Vergangenheit“, er habe die Militär-Unterrealschule als ein „Erschöpfter, körperlich und geistig Mißbrauchter“ verlassen.

      Der junge Odilo Globocnik scheint mit den Herausforderungen der Militärerziehung besser zurechtgekommen zu sein. Eine im Österreichischen Staatsarchiv, Kriegsarchiv, erhaltene Abschlussklassifikation für das Schuljahr 1916/​1917 zeichnet das Bild eines Musterschülers: Unter 49 Zöglingen des Jahrgangs wird Odilo der 8. Rang zugesprochen; seine „Gemütsbeschaffenheit“ wird mit „willig, ruhig, ehrgeizig, strebsam“ beschrieben, die „Geistesgaben“ klassifiziert die Schule mit „recht gut begabt, fleißig“, die Umgangsformen mit „anständig und gefällig“, die „Adjustierung“

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