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Krankenhaus bringe. Radu sagte daraufhin, es seien andere Mächte am Werk. Kein Arzt der Welt könne diesem seelenlosen Geschöpf helfen.

      ›Wenn Gott es nicht kann, kann es keiner, nicht einmal ihr Wissenschaftler, auch wenn ihr diesem Land helfen wollt, wofür ich euch dankbar bin. Die Mädchen, die in Krankenhäusern und Irrenanstalten untergebracht wurden, sind längst tot, weil sie frisches, warmes Blut brauchen. Bekommen sie es nicht binnen drei bis fünf Tagen, sterben sie.‹

      Ich fragte wieder, was mit diesem Mädchen passieren werde. Radu erwiderte daraufhin: ›Wenn wir den Dämon aus ihr nicht rauskriegen, wird sie heute oder morgen sterben. Danach verbrennen wir ihren Körper, bis er zu Asche wird.‹

      So geschah es auch, sie starb noch am gleichen Abend und ihre Leiche wurde vor dem Klosterfriedhof eingeäschert. Sie war nicht die erste Leiche, die hier verbrannt wurde. Wir lernten noch viel voneinander. Die Mönche hassten diese Gestalt ebenso wie wir. Sie nannten ihn Drac, Teufel, den Fürsten der Finsternis. Keiner von ihnen hatte je das Gesicht dieses Unheils gesehen, und wer es doch tat, der war schon gewiss im Jenseits. Mitte Mai besserte sich das Wetter, die Straßen konnten wieder befahren werden. Die Eistäler waren geschmolzen. Das Wasser, das über die Flüsse übergeschwappt war und die Straßen unter sich begraben hatte, ging wieder zurück. Danach kam jeden ersten Tag des Monats ein Kutscher aus dem nahegelegenen Dorf mit Fleisch, Käse und Tinte fürs Kloster. Er nahm uns schließlich mit in die Stadt. Wir verabschiedeten uns und bedankten uns bei den Mönchen für ihre Hilfsbereitschaft und Gastfreundlichkeit. Wir brachen im Morgengrauen auf. In den sechs Monaten, die wir in der Abtei verbracht hatten, sahen wir Drac nicht ein einziges Mal. Er mied das Kloster und seine Umgebung, weil der Ort gesegnetes Land war, so die Mönche. Lediglich die Wölfe umkreisten das Gelände Nacht für Nacht und heulten bis zum Morgengrauen. Es war zum Verrücktwerden und wir alle bekamen Albträume, die so real waren, dass sie mich jetzt noch ab und zu verfolgen. Dieses Land war verflucht, es machte andere Menschen aus uns, wir alle ließen einen Teil unseres Lebens zurück. Ein paar Tage später erreichten wir Bucaresti. Ich blieb mit meinen türkischen Kollegen ein paar weitere Wochen dort in der osmanischen Botschaft. Schließlich bestiegen wir in der Hafenstadt Varna ein Schiff, um nach Hause zu fahren. Van Helsing und ich versprachen uns, zurückzukommen, um das Ding zu töten. Ich machte mich dann auf den Weg zu deinem zweitältesten Onkel Yusuf nach Giresun am Schwarzen Meer, um in meinem Heimatdorf darüber nachzudenken, was ich aus meinem Leben machen sollte. Wollte ich weiterhin als Wissenschaftler arbeiten und nach Istanbul zurückkehren? Nach reiflicher Überlegung reiste ich doch wieder nach Istanbul, wo deine Eltern vier Jahre später verstarben, als du gerade mal acht Monate alt warst. Als Folge bist du in mein Leben getreten«, sagte Sahin Hodscha voller Stolz und beendete seine Ausführungen.

      »Es ist spät geworden«, sagte Mehmet, den die Worte seines Onkels zwar berührten, dennoch stand er dessen Erzählung skeptisch gegenüber. Für ihn kam das Gehörte einer Gutenachtgeschichte gleich.

      »Du wirst noch sehen, kleiner Neffe, du wirst noch sehen«, sagte Sahin Hodscha. Mehmet ging hoch in sein Zimmer, sah auf die Kiz Kulesi und schlief ein. Er wachte erschrocken auf, als er einen Wolf heulen hörte. So laut, dass die Leute vor Schreck in jedem Haus die Kerzen anzündeten. Die Stadt erhellte sich förmlich im Schein des Kerzenlichts. Mehmet lief panisch in das Zimmer seines Onkels.

      »Hast du das gehört?«

      »Natürlich!«, antwortete der Professor aufgeregt. »Er ist hier! Dracula ist hier! Hier in Istanbul!«

      Mehmet schüttelte ungläubig den Kopf und ging wieder in sein Zimmer. Die Wölfe heulten erneut und ängstlich zog er sich die Decke bis zum Mund, schaute nach links und rechts und schlief nach einer Weile ein.

      14. März, das Wasser zog sich zurück. Sahin Hodscha und Mehmet machten sich auf den Weg zur Universität. Sie gingen nach Beyazit und durchschritten den großen Basar, Kapali Carsi, der sich über einunddreißigtausend Quadratmeter erstreckte und rund zweitausend Geschäfte mit den verschiedensten Angeboten beherbergte. Hier konnte man frische Fische aus dem Bosporus, Gemüse und Obst aus dem eigenen Land, Gewürze aus dem Orient sowie exotische Früchte aus aller Welt erwerben, da die Osmanen noch einige wichtige Seelinien kontrollierten. Jeder musste Steuern an sie entrichten – eine finanzstarke Zeit für die Türken. Mitunter erhielten sie auch Waren wie Ledergewänder Seide oder Gewürze als Steuerersatz.

      Als die beiden an der Universität ankamen, war die Stimmung vor Ort aufgebracht. Die Universität in Istanbul war im 19. Jahrhundert die meistgefragte in Europa und Asien; junge Männer aus aller Welt studierten dort. Gegenwärtig standen Polizisten und Mitarbeiter des Geheimdienstes des Sultans vor dem Gebäude und befragten die Studenten. Der Polizeichef und der Direktor eilten zu Professor Sahin Hodscha und baten ihn, mitzukommen zu den Schlafsälen der Studenten, welche sich im dritten Stock der Universität befanden, um eine Leiche zu inspizieren. Ein indischer Schüler namens Amar hatte einem Zimmergenossen die Kehle aufgeschlitzt. Auf dem Körper des Opfers waren okkulte, satanische Zeichen zu erkennen, überall war Blut. Sämtliche Spuren wiesen auf ein Opferritual hin. Amar saß auf seinem Bett und starrte kalt und leer in eine Richtung. Als die Polizisten und der Professor ihn befragten, antwortete er: »Die Ankunft des Meisters naht. Es ist bald so weit, es ist bald so weit.«

      Der Polizeichef fragte stirnrunzelnd: »Wovon redest du? Was für ein Meister?« Aber Amar wiederholte immer wieder dieselben Worte. Daraufhin wurde er verhaftet und vorläufig in die Irrenanstalt gebracht, bis vom Gericht entschieden würde, was mit ihm geschehen sollte.

      Sahin Hodscha wusste genau, was mit den verwirrten Worten des Studenten gemeint war. Ihm stockte der Atem, er wurde blass im Gesicht und stand kurz vor einer Ohnmacht. Die Beamten hielten ihn am Arm fest und setzten ihn auf einen Stuhl. Der Direktor Osman Bey fragte ihn, ob alles in Ordnung sei.

      »Mein Kreislauf ist wohl zu niedrig und ich bin nicht mehr der Jüngste. Mein Alter macht sich bemerkbar. Ich kann heute nicht lehren und bleibe lieber zu Hause«, antwortete Sahin Hodscha.

      »Selbstverständlich«, meinte der Direktor.

      »Komm mit, wir müssen gehen«, flüsterte Sahin Hodscha zu Mehmet. Seine Stimme klang angstvoll und versagte ihm fast.

      »Aber wohin Onkel?«, wollte Mehmet wissen.

      »Komm einfach!«

      Es regnete kräftig und donnerte. Sie liefen zum großen Hafen. Sahin Hodscha stolperte vorwärts und schien nervös zu sein. Als Mehmet ihn fragte, was los sei und ihn aufforderte, endlich zu sprechen, sagte dieser nur: »Beeil dich!«

      An der Anlegestelle wandte sich Sahin Hodscha an einen Gemicibasi, Schiffsaufseher, eine Person, die alle Schiffe kontrollierte und die Ankunftspläne koordinierte. Sahin Hodscha fragte den Schiffsaufseher, ob ein Schiff aus Europa hierher unterwegs sei, und gab ihm zwei Silbermünzen.

      »Ja, gleich morgen Früh erwarten wir ein Schiff aus Venedig in Italien und eins aus Frankreich.«

      »Nicht Rumänien?«

      »Nein, denn das wüsste ich als Erster«, antwortete der Hafenmitarbeiter.

      Sie bedankten sich und gingen. Sahin Hodscha blieb trotz erkennbarer Erleichterung skeptisch. Das alles ergab für ihn keinen Sinn.

      »Was soll das Ganze? Erzählst du mir endlich, was los ist? Was für ein Schiff aus Rumänien? Dachtest du etwa, Dracula kommt, nur weil der Schüler irgendeinen Unfug erzählt hat? Das war ein verwirrter, vom Teufel besessener, kranker Mensch! Morde passieren überall auf der Welt«, sagte Mehmet.

      »Diesen Unfug habe ich damals oft vernommen, und zwar von den Leuten, die Bisswunden aufwiesen, und die wir als geistesgestört ansahen, exakt die gleichen Worte! Wir müssen wachsam bleiben, Augen und Ohren offen halten.«

      Mehmet schüttelte den Kopf und schmunzelte.

      »Wir müssen unverzüglich ein paar Vorkehrungen treffen«, sagte Sahin Hodscha mit besorgniserregender Stimme.

      Sie begaben sich auf den Heimweg, kehrten unterwegs kurz in der Botschaft ein. Sahin Hodscha schickte ein Telegramm nach London zu Van Helsing mit der Nachricht: Er ist hier in Istanbul, komm bitte so schnell du kannst.

      Mehmet

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